Grünflächen in der Stadt: Osnabrücks bedrohter Schatz

Vielerorts sind die „Grünen Finger“ in Osnabrück geschrumpft. Eine Studie der örtlichen Hochschule macht jetzt Druck, sie zu erhalten.

Eine grüne Wiese vor städtischen Häusern

Grün mitten in der Stadt: Osnabrück hat bislang elf „Grüne Finger“ Foto: Hochschule Osnabrück

OSNABRÜCK taz | „Grüne Finger“: Wenn der Begriff dieser Tage im niedersächsischen Osnabrück fällt, kocht der politische Streit hoch. Rund ein Dutzend Grünzug-Radialen, orientiert an Hügelkuppen und Tälern, verbindet die Natur des Umlands mit den Freiflächen der Innenstadt.

Doch wie es um die künftige Stellung der Radialen steht – ob sie also aus Klima- und Naturschutzgründen gesichert oder aber aufgrund benötigter Flächen zum Wohnen und Arbeiten reduziert werden sollen – ist noch offen. Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts sprechen für einen Erhalt, doch die lokale CDU will sich dafür bislang nicht aussprechen.

Mitte der 1920er-Jahre hatte der damalige Stadtbaurat Friedrich Lehmann die Grünen Finger festgeschrieben in einem Ge­neralbe­bau­ungs­plan. Einerseits gibt sich Osnabrück stolz auf Lehmanns Weitsicht. Schließlich dienen die Finger der Gewinnung von Trinkwasser und dem Einstrom von Kaltluft, ermöglichen Nah­erho­lung und Nahrungsmittelproduktion, fungieren als Hochwasser-Überschwemmungs­gebiete und Puffer für Starkregen, fördern als Lebensraum für Pflanzen und Tiere die Biodiversität.

Andererseits werden sie immer wieder gekappt, verengt, zerschnitten, denn Osnabrück dehnt sich aus. Bauland ist begehrt, für Wohnraum, für Gewerbe.

„Sonntagsreden“ und „unverbindliche Selbstverpflichtungen“

Bürgerinitiativen haben sich zum Schutz der Finger gebildet. Das Umweltforum Osnabrück, der Dachverband der örtlichen Natur- und Umweltverbände, fordert, die Finger müssten „vor den Begehrlichkeiten der Tagespolitik geschützt werden“. Das Forum, nicht zuletzt Initiator einer Langzeit-Unterschriftensammlung, bei der sich Tausende Unterzeichner gefunden haben, fordert eine Erhaltungssatzung. Es kritisiert „Sonntagsreden“ und „unverbindliche Selbstverpflichtungen“. Wichtig sei, „dass wir der nicht-menschlichen Natur wieder Rechte geben und dass wir sie nicht laufend weiter schwächen und zurückdrängen“.

Jüngst hat das Forum dafür Unterstützung bekommen. Nach dreijähriger Arbeit hat das Forschungsprojekt „Produktiv. Nachhaltig. Lebendig. Grüne Finger für eine klimaresiliente Stadt“ der Hochschule Osnabrück seine Ergebnisse vorgelegt. „Wir brauchen eine Änderung der Planungskultur“, sagt Projektleiter Hubertus von Dressler, der an der Fakultät für Agrarwissenschaften und Landschaftsarchitektur tätig ist. „Wir müssen Stadt neu denken, als Ganzes. Nur so können wir verhindern, dass immer mehr der Finger schwindet.“

Das Projekt, vorbildlich in prozesshafter Bürgerbeteiligung – vom Szenario-Workshop bis zum Erkundungs-Walk, von der künstlerischen Wahrnehmungswerkstatt bis zum Hofgespräch mit der Landwirtschaft – sieht die Entwicklung von Landschaft und Freiraum als Zentralelement der Stadtentwicklung. Indem es Osnabrück attestiert, eine Stadt der Grünen Finger „werden“ zu können, setzt es Politik und Verwaltung unter Handlungsdruck. Eine Neuabgrenzung der Grünen Finger sei dafür nötig, teils eine Erweiterung. Und eine Vernetzung der Finger untereinander, mit Stadt und Umland.

Für von Dressler steht fest: „Die Stadt ist aus den Grünen Fingern heraus zu entwickeln. Es geht darum, sie zu sichern, das Bewusstsein für ihre Bedeutung zu stärken.“ Erfolge „in begründeten Ausnahmefällen“ dennoch Bebauung, fordert seine Studie, setze dies „eine verbindliche Festlegung von Maßnahmen der Freiraumentwicklung innerhalb des jeweils betroffenen Grünen Fingers voraus“. Das bedeutet aber auch: Es brauche keine Kompensierung für versiegelte Flächen an anderer Stelle.

Von Dressler sieht jedoch für all das eine „Aufbruchstimmung“. Aber es gibt Widerstände. Ende Juni stand im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt eine Beschluss­vorlage des Fachbereichs Umwelt und Klimaschutz zur Diskussion, die Ergebnisse des Projekts „zu prüfen“ und bei der Erarbeitung des neuen Stadtentwicklungsprogramms „als Abwägungsbelang zu berücksichtigen“.

Die CDU steht auf der Bremse

Die Grünen im Stadtrat sahen in diesen vagen Formulierungen ein Alarmsignal. Volker Bajus, ihr Fraktionsvorsitzender, brachte einen Änderungsantrag ein, zusammen mit SPD und Volt. Der Rat, heißt es darin stattdessen, „erkennt den Wert der Grünen Finger als identitätsstiftendes und strukturgebendes Freiraumsystem mit herausragender Bedeutung für eine zukunftsfähige, klimaresiliente Stadt an“ und „verpflichtet sich zu ihrem Schutz“.

Zu einem Beschluss kam es nicht. Die CDU verhinderte ihn. Ihre Begründung: Sie sehe Beratungsbedarf. Auch der Ratsbeschluss, vorgesehen für Anfang Juli, wurde daraufhin gestrichen. Nach der Som­mer­pause soll ein neuer Versuch erfolgen, um von Dresslers Studie zu implementieren.

„Dass die CDU das torpediert hat, wirkt für mich wie eine Verzögerungstaktik“, sagt Marita Thöle, Sprecherin einer der Bürgerinitiativen zur Rettung der Finger. „Nicht ausgeschlossen ist, dass Teile der SPD bis zum Herbst einknicken.“ Thöle, inhaltlich an von Dresslers Seite, nimmt ihre Kampagnenarbeit daher wieder auf, Demos inklusive. „Ich fürchte, da soll etwas verwässert werden.“ Dass der Fachbereich Umwelt und Klimaschutz die Ergebnisse der Studie „prüfen“ soll, wundert sie: „Der war bei ihrer Erarbeitung doch dabei, als enger Partner der Hoch­schule.“

Auch Andreas Peters, Vorsitzender des Umweltforums, lobt die Studie. Von Dressler stelle „einen Wert heraus“. Der müsse jetzt aber auch wertgeschätzt werden. Ob und wie das passiert, ist offen. Die Osnabrücker CDU, in der Vergangenheit oft vehementer Verfechter neuer Baugebiete, steht auf der Bremse.

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