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Bundestag sagt Ja zu Nato-ErweiterungGrünes Licht für Nordländer

Der Bundestag stimmt für den Nato-Beitritt von Finnland und Schweden. Nur die Linksfraktion votiert dagegen – wegen des Deals mit der Türkei.

Der Bundestag am Freitag: Abstimmung zum Beitritt Schwedens und Finnlands in die Nato Foto: Michel Tantussi/reuters

Berlin taz | Mit breiter Mehrheit hat der Bundestag grünes Licht für die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato gegeben. Bei der Abstimmung am Freitag votierte nur die Linksfraktion gegen das entsprechende Gesetz zur Ratifizierung des Beitritts.

„Wir erleben, wie europäische Geschichte geschrieben wird“, sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) in der Plenumsdebatte. „Der historische Schritt von Finnland und Schweden stärkt die Nato und damit uns alle.“ Sie verwies darauf, dass die beiden nordischen Länder dadurch Jahrhunderte alte Traditionen aufgeben.

Bislang sei ihre Neutralität „Staatsräson und stolze diplomatische Praxis“ gewesen. Von so einer grundsätzlichen Überzeugung verabschiede man sich nur, wenn etwas wirklich Einschneidendes geschehen sei. „Der brutale Angriffskrieg Putins auf die Ukraine ist ein solches einschneidendes Ereignis“, sagte Lambrecht.

Sowohl die Red­ne­r:in­nen der Regierungs- als auch der beiden größeren Oppositionsfraktionen sprachen sich unisono für den Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens aus. Die deutsche Zustimmung sei ein „wichtiges Signal an Russland, dass wir es nicht dulden, dass zwei Oststeepartner bedrängt und erpresst werden“, sagte der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul.

Die Sicherheit im Ostseeraum werde „durch den Beitritt der beiden Länder enorm ansteigen“, sekundierte der Vize-FDP-Fraktionschef Alexander Graf Lambsdorff. Angesichts der angespannten Sicherheitslage in Europa bestehe zwar kein Anlass zum Jubel, „zu einem realpolitischen Willkommen schon“, sagte der AfD-Ehrenfraktionschef Alexander Gauland.

Von der Bundestagsdebatte gehe die „klare Botschaft“ aus, dass Finnland und Schweden „sowas von herzlich Willkommen sind in unserem Verteidigungsbündnis“, verkündete die stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Agnieszka Brugger. Darüber könne auch der „irrlichternde Beitrag“ Gregor Gysis nicht hinwegtäuschen.

Streit über Deal Finnlands und Schwedens mit der Türkei

Gysi hatte unmittelbar vor der Grünen die Ablehnung der Linksfraktion begründet. Angesichts der russischen Aggression müsse zwar das Sicherheitsbedürfnis von Finnland und Schweden respektiert werden, sagte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion. Deswegen hätte er trotz seiner grundsätzlich kritischen Haltung gegenüber der Nato eigentlich eine Enthaltung empfehlen wollen.

Doch das sei aufgrund der schriftlichen Zusagen Finnlands und Schwedens an die Türkei zu Lasten der Kur­d:in­nen und türkischer Re­gie­rungs­geg­ne­r:in­nen nun nicht mehr möglich. „Erdogan wird noch dreister werden nach seinem Erfolg“, sagte Gysi. Der Preis, der an die Türkei gezahlt werden müsse, sei „zu hoch“.

Der SPD-Abgeordnete Michael Roth wies die Vorwürfe Gysis schroff als „abenteuerlich“ zurück. „Die Gregorschen Märchenstunden sind immer wieder unterhaltsam“, kanzelte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses seinen linken Parlamentskollegen ab. Finnland und Schweden seien „ein Leuchtfeuer der Freiheit, der Menschenrechte und der Demokratie“. Deswegen sei es „völlig inakzeptabel“, empörte sich Roth, diesen Staaten zu unterstellen, sie würden internationales oder europäisches Recht schleifen, „weil es eine Vereinbarung mit Herrn Erdogan gibt“.

Schwierige Beitrittsverhandlungen

Ganz so einfach ist es indes nicht. Zur Verärgerung der anderen Alliierten hatte die türkische Regierung zunächst den Start des Beitrittsprozesses mehrere Wochen herausgezögert. Sie begründete dies unter anderem mit der angeblichen Unterstützung Schwedens und Finnlands von Organisationen wie der kurdischen Arbeiterpartei PKK, der syrischen Kurdenmiliz YPG und der Gülen-Bewegung. Zudem warf die Türkei ihnen vor, Waffenlieferungen an Ankara gestoppt zu haben.

Erst als beide Länder in der vergangenen Woche am Rande des Nato-Gipfels in Madrid in einem trinationalen Memorandum der Türkei zusicherten, auf mehrere ihrer zentralen Forderungen einzugehen, gab diese den Widerstand gegen den Start des Aufnahmeverfahrens auf.

Allerdings droht Präsident Recep Tayyip Erdogan weiterhin damit, dass er die Beitrittsprotokolle dem Parlament nicht zur Ratifizierung vorlegen werde, wenn Schweden und Finnland nicht ihr Wort hielten. Konkret nannte er dabei beispielsweise ein angebliches Versprechen Schwedens, mehr als 70 „Terrorist:innen“ auszuliefern.

Linkspartei folgt schwedischer Schwesterpartei

„Das vermeintliche Mehr an Sicherheit für zwei Länder wurde auf Kosten der Menschen in den kurdischen Gebieten und türkischer Oppositioneller erkauft“, sagte die Linksparteivorsitzende Janine Wissler der taz. Erdogan habe dem Beitritt von Schweden und Finnland nur zugestimmt, weil ihm im Gegenzug Waffenlieferungen, erleichterte Ausweisungen Oppositioneller und ein Ende der Unterstützung der YPG und Rojava zugesagt worden seien. „Das halten wir für skandalös“, sagte Wissler.

Sie verwies darauf, dass die Linke mit ihrem Abstimmungsverhalten im Bundestag der Linie ihrer Schwesterpartei in Schweden gefolgt sei. „Im schwedischen Parlament haben Linke und Grüne gegen den Nato-Beitritt gestimmt“, sagte Wissler der taz.

Nach Auskunft Wisslers hat es im Vorfeld der Bundestagsdebatte auch einen intensiven Austausch mit den finnischen Ge­nos­s:in­nen gegeben. Die sind inzwischen von ihrer traditionellen Anti-Nato-Haltung abgerückt und haben mehrheitlich für den Beitritt ihres Landes zum transatlantischen Bündnis gestimmt.

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9 Kommentare

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  • ^Angesichts der angespannten Sicherheitslage in Europa bestehe zwar kein Anlass zum Jubel, „zu einem realpolitischen Willkommen schon“, sagte der AfD-Ehrenfraktionschef Alexander Gauland."

    Nur Robert Farle und Dr. Christina Baum, die



    Höcke nahesteht, haben gegen den NATO



    Beitritt von Schweden und Finnland gestimmt.



    Scheinbar, hat Höcke, der eher NATO kritische Positionen vertritt, wohl doch nicht den ihm von den Medien zugeschriebenen Einfluss in der AfD.



    Die AfD war und bleibt eine Pro NATO Partei.

  • „Die Gregorschen Märchenstunden sind immer wieder unterhaltsam“, kanzelte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses

    Genaus redet man wenn man keine Argumente hat. Gysi hat natürlich recht: es ist ein Skandal, dass Schweden und Finnland sich der türkischen Autokratie beugen und einen Schritt in Richtung türkischer Menschenrechtsverletzungen gehen. Ein schwarzer Tag. Willkommen in der "Wertegemeinschaft" Nato.

    • @Jalella:

      Wie echte Solidarität mit den Kurden aussieht, hatte "Die Linke " ja seinerzeit in Kobane demonstriert.

      Wir erinnern uns: "Solidarität mit dem Widerstand in Kobane! US-Bombardement stoppen!" www.spiegel.de/pol...aege-a-996695.html

      Dass die Kämpfer der kurdischen Miliz aber genau das wollten, spielte da keine Rolle. Der Kampf gegen Nato und US-Imperialismus hatte bei der Linkspartei mal wieder Priorität.

  • Die Türkei führt u.a. auch einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Die Zusage Schwedens und Finnlands, künftig Waffen zu liefern, ist natürlich auch ein klares Signal an die Türkei, dass sie ihren Angriffskrieg weiter führen darf.

    Hätten die westlichen Staaten ein ähnliches strategisches Interesse an den Kurd:innen wie an der Ukraine, würde dieser Angriffskrieg mit ähnlichen Worten der Empörung und Taten verurteilt werden wie der russische Krieg gegen die Ukraine.

    Jeder weiß, dass es in der Türkei keinen Rechtsstaat bei politischen Verfahren gibt, dass gefoltert wird, inhumane Haftbedingungen bestehen etc. Allein die Zusage, bei Auslieferungsverfahren stärker zu kooperieren, ist ein Hinweis an die Türkei, dass sie all dies fortsetzen darf. Es kommt insofern eben auch einer Legitimierung einer nicht rechtsstaatlichen Rechtspraxis, Folter, exzessiver Strafen etc. gleich.

    Die Strafjustiz ist in der Türkei ist nicht humaner als in Russland. Was macht es für einen Sinn und wie glaubhaft ist es, die Brutalität der Strafjustiz in Russland zu beklagen und einer gleich brutalen Strafjustiz Menschen auszuliefern?

    Das, was an der ganzen Sache so bizarr ist, ist, dass trotz der klar erkennbaren impliziten Zustimmung zu Menschenrechtsverletzungen im Sinne eines "wir liefern Waffen und verstärken die Auslieferungskooperation, auch wenn politisch verfolgt, foltert und völkerrechtswidrige Angriffskriege führt", wird dennoch allseits weiterhin behauptet, dass die westliche Seite aus moralischen Gründen handele.

    Diese Behauptung ist mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar und sie ist fast genauso lächerlich, wie Behauptungen, dass Russland in der Ukraine in Wirklichkeit das Leben von Menschen schützen oder irgendjemanden entnazifizieren wolle.

    Wem es um Menschenrechte geht und wer aus moralischen Gründen handelt, der wird nicht Angriffskriege anderer durch Waffenlieferungen belohnen oder einer nicht rechtsstaatlichen Justiz Menschen ausliefern, nicht wahr?

    • @PolitDiscussion:

      Ihren Ausführungen würde ich ja fast durchweg zustimmen, doch vermisse ich jedes Abwägen der Sicherheitsinteressen Schwedens und Finnlands. Der Nato-Beitritt wird dort ja von einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung unterstützt.

      Natürlich ist es ein Elend, dass man auf solche Typen wie Erdoğan angewiesen ist. Ich kann nicht behaupten, dass mich der Deal mit der Türkei irgendwie glücklich macht, setzte aber sehr auf die intakte Rechtsstaatlichkeit in Schweden und Finnland. Andererseits ist Politik selten ein Wunschkonzert. Und wer wollte ernsthaft behaupten, dass ein Nichtbeitritt wirklich etwas an der Situation der Kurden oder an der völkerrechtswidrigen Kriegsführung der Türkei änderte?

    • @PolitDiscussion:

      Sehr richtig. Und an ihren Früchtchen sollt ihr sie erkennen. Man kann an diesem Skandal sehen, dass es bei der Unterstützung der Ukraine durch den Westen in keiner Weise um Freiheit und Demokratie geht, wie auch von jeglichen Medien immer wieder stumpf nachgeplappert wird. Ginge es darum, würde die Nato GEGEN die Türkei Krieg führen und nicht MIT.

      • RS
        Ria Sauter
        @Jalella:

        Leider sind die Verantwortlichen in dieser Hinsicht taub.

    • @PolitDiscussion:

      Sehr richtig. Und an ihren Früchtchen sollt ihr sie erkennen. Man kann an diesem Skandal sehen, dass es bei der Unterstützung der Ukraine durch den Westen in keiner Weise um Freiheit und Demokratie geht, wie auch von jeglichen Medien immer wieder stumpf nachgeplappert wird. Ginge es darum, würde die Nato GEGEN die Türkei Krieg führen und nicht MIT.

    • @PolitDiscussion:

      Der Unterschied zu Putin:



      Erdogan führt nur eine begrenzte Spezialoperation gegen nationalistische Kurden und Esiden durch, um an den Landesgrenzen zu Syrien und Irak Sicherheit für die Türken zu garantieren.

      Im Unterschied zu Putin droht er auch nicht mit Flüchtlingen, verklärt keine längst untergegangen Imperien, unterstützt keine gewalttätigen Nationalisten, unterdrückt die Presse nicht, die Opposition kann fast so frei agieren wie in Ungarn und Homosexuellen geht's unter Erdogan beinahe so gut wie in Polen.

      Noch ein Unterschied zu Putin:



      Erdogan gehört zu unseren Verbündeten, mit denen wir Völker- und Menschenrechte und Demokratie verteidigen und uns gemeinsam gegen Aggressoren verteidigen. Putin nicht.