DAAD-Präsident über Kürzungen: „Digitale Lehre hat ihre Grenzen“
Dem DAAD-Präsidenten Joybrato Mukherjee machen die geplanten Mittelkürzungen Sorgen. Er fordert mehr Geld für den internationalen Hochschulaustausch.
taz: Herr Mukherjee, die Bundesregierung will dem DAAD und auch der Humboldt-Stiftung Mittel kürzen, obwohl sie im Koalitionsvertrag noch eine jährliche Erhöhung versprochen hat. Fühlen Sie sich geprellt?
Joybrato Mukherjee: Geprellt würde ich nicht sagen. Wir nehmen ja zur Kenntnis, dass die Welt im Sommer 2022 anders aussieht als noch vor einem Jahr. Aber gerade in diesen Zeiten ist die internationale Hochschulzusammenarbeit, die auswärtige Kultur-, Wissenschafts- und Bildungspolitik, wichtiger denn je. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Zusage zur Stärkung der internationalen Hochschulzusammenarbeit weiterhin gilt und die Bundesregierung ihre Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag in dieser Legislaturperiode umsetzt.
Die Ampel begründet die Sparvorgaben mit den hohen Ausgaben in der Corona- und nun der Ukrainekrise. 2023 soll auch die Schuldenbremse wieder greifen. Was entgegnen Sie?
Ich kann die haushaltspolitischen Gründe, die vorgebracht werden, allesamt gut nachvollziehen. Aber es ist in einem großen Bundeshaushalt auch immer eine Frage der Prioritätensetzung. Und da werden wir im weiteren parlamentarischen Prozess natürlich noch mit Mitgliedern des Bundestages sprechen und klarmachen, dass wir die Aussagen und Festlegungen des Koalitionsvertrages für absolut richtig halten und uns wünschen, dass der Haushalt entsprechend angepasst wird.
ist seit 2009 Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen. Im Juni 2019 wurde der Anglist in das Amt des Präsidenten des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gewählt.
Sie haben angekündigt, wegen der Sparpläne bis zu 6.000 Stipendien streichen zu müssen. Wen wird das treffen?
Wenn es bei den aktuellen Haushaltszahlen bleibt, werden wir ab dem kommenden Jahr vor allem bei den langfristigen Studien- und Promotionsstipendien für ausländische Studierende und Forschende streichen. Auch alle Kurzzeitförderungen wie Hochschulsommerkurse und ‑winterkurse oder Vortrags- oder Kongressreisen für Promovierende und Postdocs fielen dann weg. Ein weiterer Bereich, bei dem wir einsparen müssten, sind Lektorate an ausländischen Hochschulen. Da werden wir im kommenden Jahr vermutlich keine frei werdenden Stellen mit Geförderten nachbesetzen können.
Der Präsident der Freien Universität Berlin, Günter M. Ziegler, hat kritisiert, dass wegen der geplanten Kürzungen nun Mittel fehlen würden, die für geflohene Studierende aus der Ukraine gedacht waren. Stimmt das?
Wir werden spätestens im kommenden Jahr bei dem Programm Stibet sparen müssen, das für die Betreuung ausländischer Studierender äußerst wichtig ist. Natürlich leiden geflüchtete Studierende wie aus der Ukraine darunter besonders stark, da hat Herr Ziegler völlig recht. Man hätte als Beispiel aber genauso Studierende aus Syrien oder Afghanistan heranziehen können. Man muss dazu aber sagen, dass die Hochschulen in diesem Jahr aus dem Ergänzungshaushalt einmalige Ukrainezahlungen erhalten könnten, 27 Millionen allein vom Auswärtigen Amt. Bei diesen Mitteln ist aber das Problem, dass wir sie momentan nicht ins kommende Jahr übertragen können. Wenn wir im Herbst einen ukrainischen Studierenden fördern wollten, müssten wir die Förderung am 31. Dezember einstellen. Das ergibt natürlich wenig Sinn. Da kämpfen wir aktuell für eine sinnvolle Lösung.
Aber brauchen die Hochschulen wirklich den DAAD oder das Auswärtige Amt, um zu helfen? Gerade haben die Universitäten Köln und Bonn eine Exil-Akademie für ukrainische, russische und belarussische Forscher:innen eröffnet.
Die Exil-Akademie ist eine sehr gute Initiative. Viele andere Hochschulen engagieren sich ebenso. Meine Universität in Gießen beispielsweise hat schon mehr als 600.000 Euro aus eigenen und umgewidmeten Mitteln für unsere 300 ukrainischen Studierenden ausgegeben. Man darf aber nicht verkennen: Die Universitäten Köln und Bonn sind sehr große Universitäten mit entsprechenden finanziellen Möglichkeiten. Kleinere Hochschulen sind dazu nicht in der Lage, da muss man sich auch ehrlich machen.
Die EU hat vor Kurzem die Ausgaben für das Austauschprogramm Erasmus verdoppelt. Allein für deutsche Hochschulen stehen in den kommenden Jahren dafür 1,4 Milliarden Euro bereit. Wiegt das die deutschen Mittelkürzungen nicht um ein Vielfaches auf?
Nein. Zum einen steigt der EU-Haushalt nicht linear. Das heißt, die großen Wachstumsraten im Erasmus-Programm werden wir erst gegen Ende des siebenjährigen Förderzeitraums bekommen, also ab 2025. Das hilft uns jetzt also nicht. Davon abgesehen dienen die Erasmusmittel aber vor allem dem innereuropäischen Austausch und können nicht einfach für andere Programme umgewidmet werden. Dennoch hilft uns das steigende EU-Budget, um langfristig Mitarbeiter:innen aus auslaufenden oder gestrichenen Programmen weiter beschäftigen zu können.
Die EU investiert in Austauschprogramme, Deutschland kürzt. Wie passt das zusammen?
Der EU-Haushalt wird ja von den Mitgliedsstaaten bestritten und Deutschland ist dabei der wichtigste Mittelgeber. Insofern ist die Bundesrepublik maßgeblich auch an dieser Investition beteiligt. Dennoch würden wir uns wünschen, dass Deutschland die Mittel für den internationalen Austausch im Gleichklang mit der Union stärkt. Wir sollten nicht davon ausgehen, dass unsere Hochschulen die nächsten Jahre in Wohlstand baden werden. Auf sie kommen enorme Belastungen zu, allein schon aufgrund der Energiepreisentwicklung. Jede Hochschule hat einen sehr hohen Energieverbrauch. Auf uns kommen sehr herausfordernde Zeiten zu.
Manche Ministerien prüfen aktuell, ob sie Mitarbeiter:innen im Winter wieder ins Homeoffice schicken, um Heizkosten zu sparen. Gibt es solche Überlegungen auch an den Hochschulen?
Ja, die gibt es. So stehe ich in Gießen mit den anderen hessischen Hochschulpräsident:innen und mit unserem Ministerium im Austausch. Vergangene Woche haben wir auch in der Hochschulrektorenkonferenz über dieses Thema gesprochen. Wir prüfen momentan sehr unterschiedliche Maßnahmen: Ob wir die Heizkosten über abgesenkte Temperaturen oder Gebäudeschließungen senken können. Ob es wirklich sinnvoll ist, Mitarbeiter:innen ins Homeoffice zu schicken und Lehrveranstaltungen wieder digital anzubieten. Aber auch: Welche Infrastruktur im Falle einer zusammenbrechenden Gasversorgung unbedingt aufrechterhalten werden muss. Das sind alles keine trivialen Fragen. Wir müssen sie jetzt im Sommer klären.
Was halten Sie davon, zum digitalen Studium zurückzukehren?
Auf den ersten Blick hört sich das machbar und sinnvoll an: Dann machen wir digitale Lehre wie zu Beginn der Pandemie – und die Universität spart Heizkosten! Die Heizkosten entstehen dann aber woanders, im privaten Bereich. Wir outsourcen dann die galoppierenden Energiekosten hin zu den Studierenden, zu den monetär Schwächsten an der Hochschule. Kann das gewollt sein? Müssten wir das nicht auffangen mit einer Unterstützung für diejenigen, die im privaten Bereich die Energiekosten tragen, die die Universität im öffentlichen Bereich spart?
Das heißt, an Ihrer Universität ist ein komplett digitales Semester ausgeschlossen?
Ich glaube nicht, dass wir aus den genannten Gründen wieder flächendeckend auf digitale Lehre umsteigen werden. Ich sehe schon die Überschrift: „Uni spart Geld auf Kosten der Studis“. Die Situation ist nicht mit den vergangenen beiden Coronajahren zu vergleichen. Dazu kommt, dass die digitale Lehre auch ihre Grenzen hat. Ich sehe als die Hauptsäule eine energiearme Präsenzlehre. Also so weit wie möglich in Präsenz unterrichten und gleichzeitig den Energieverbrauch so gut es geht minimieren.
Wie viel ist denn realistisch?
Wir haben an unserer Universität weit über 200 Gebäude an verschiedenen Standorten. Ihre Frage ist deshalb gar nicht so einfach zu beantworten. Wir hängen in Gießen zu einem großen Teil an der Fernwärme und die wird ja zu einem erheblichen Teil über Gas produziert. Deswegen trifft uns die Gaspreisentwicklung auch sehr hart. In diesem Jahr werden wir Energiemehrkosten von voraussichtlich fast 10 Millionen Euro haben, bei 27.000 Studierenden und 6.000 Beschäftigten.
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