piwik no script img

Steinmeier im AhrtalLeuchttürme und Schlammreste

Der Bundespräsident besucht das Ahrtal am Jahrestag der Flutkatastrophe. Er trifft auf Hoffnung und bittere Enttäuschung.

Malu Dreyer und Frank-Walter Steinmeier am Donnertag in Dernau Foto: Benjamin Westhoff/reuters

Ahrtal taz | Der Bundespräsident spricht von „Leuchttürmen“ des Wiederaufbaus. Am ersten Jahrestag der Flut, die allein im Ahrtal 134 Menschen das Leben gekostet hat, ist Frank-Walter Steinmeier an die Schauplätze der Katastrophe und des Neuanfangs gereist. Erste Station am Vormittag die Weinlounge Weineck in der Seilbahnstraße 15 in Alten­ahr.

In dieser Ortsgemeinde an der spektakulären Ahrschleife war in der Flutnacht kaum ein Haus ohne schwere Schäden davongekommen. Gebäude wurden von den Wassermassen unterspült, auch drei massive Straßen- und Eisenbahnbrücken von der Flut weggespült. Viele Menschen kamen in den Fluten ums Leben.

Auch die betagten Väter der Gastgeber, der Eheleute Andrea und Wilfried Laufer, haben die Sturzflut der Ahr am 14. Juli letzten Jahres nicht überlebt. Eine Inschrift „Ewig unvergessen Juli 2021“ neben dem Fenster im ersten Stock erinnert an den Se­nior­chef der Weinstube, der hier zuletzt lebend gesehen wurde. Er wurde Tage später ahrabwärts tot aufgefunden.

An der Ahr ist der Jahrestag natürlich ein „Tag der Erinnerung und des Schmerzes“, wie der Präsident feststellt. Doch er will erkennbar mit seinem Besuch auch ein Signal der Hoffnung geben. In den 365 Tagen nach der Flut ist aus dem stark beschädigten und verschlammten Haus in der Seilbahnstraße eine schmucke Weinboutique entstanden.

Nebenan die Ruinen

Das Haus der Laufers war nicht einmal versichert. Doch gerade deshalb sind sie jetzt weiter als andere. Die üppigen Spenden und die beachtlichen staatlichen Hilfsfonds können nur ausgezahlt werden, wenn Versicherungen nicht einspringen. Bis die entsprechenden Bescheide vorliegen, können Monate vergehen. Doch Laufers konnten ohne Rücksicht auf eine Versicherung mit staatlicher Hilfe durchstarten. Zudem kam eine Crew von freiwilligen HelferInnen aus Dormagen in NRW an jedem Wochenende und packte an. Weil es die nötigen Bauhölzer nicht gab, besorgte sie Wilfried Laufer persönlich aus Österreich.

Auf der mit großen roten Schirmen überdachten Terrasse trifft das Staatsoberhaupt in einer Runde mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer ehrenamtliche Helfer, KommunalpolitikerInnen, den Geschäftsführer einer psychiatrischen Klinik und einen Seelsorger. Über eine Stunde berichten sie dem Präsidenten über ihre Erfahrungen.

„Vieles ist neu entstanden, wir wissen, dass noch viel zu tun ist“, sagt der Präsident später in die Mikrofone der mitgereisten Journalisten. Rund um den „Leuchtturm“, die schicke Weinlounge, finden sie Anschauungsmaterial für die Ernüchterung.

Das „Begegnungscafé“, das AktivistInnen vom „Hoffnungswerk“ auf der anderen Straßenseite betrieben hatten, ist auch ein Jahr nach der Flut noch eine unansehnliche Baustelle. Türen und Fenster sind mit Spanplatten verrammelt. Das Nachbarhaus, von dessen Balkon ein Schild „Ferienwohnungen und Gästezimmer“ verspricht, sind mit Plastikplanen geschlossen. Das Weingut daneben ist schon ein bisschen weiter, das Wohnhaus ist eingerüstet, und vor einem halbwegs fertiggestellten Kellergebäude stehen neue Eichenfässer auf der Straße.

Es fehlen Psychotherapeuten und Handwerker

Gegenüber der liegt der Friedhof, den die Flut in eine Schlammwüste verwandelt hatte. Von der Friedhofsmauer sind nur Bruchstücke erhalten. Die Gräber dahinter sind allerdings gepflegt, Blumen blühen, die Grabsteine sind wieder aufgestellt. Am Ende der Straße sind dagegen Schutthaufen zu sehen und ein leerstehendes Haus mit gähnenden Fensteröffnungen. Die Schlammspritzer der Flutnacht reichen noch immer bis in den ersten Stock.

Gastgeber Wilfried Laufer, der seine neue Weinlounge zum Wochenende nach der Gedenkfeier mit einem Helferfest eröffnen will, strotzt vor Optimismus. In der Runde mit HelferInnen und den kommunalpolitisch Verantwortlichen klingen allerdings die Enttäuschungen an, die nach der ersten Euphorie überall spürbar werden. Die ehrenamtlichen Bürgermeister berichten von Menschen, die bis heute noch keinen Plan für ihre Zukunft haben, die sich noch immer in einem „mentalen Tal“ befinden.

HelferInnen suchen die Flutopfer inzwischen in ihren Häusern auf, um mit ihnen zusammen die Anträge für die Aufbauhilfen auszufüllen. „Mein Nachbar weigert sich trotzdem, der will sich nicht helfen lassen“, berichtet einer. Vor allem die Alten seien oft überfordert.

Der Klinikchef berichtet über die vielen Menschen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen leiden. Es fehlt an Psychotherapeuten aber auch an Handwerkern, der Bauboom und exorbitante Preissteigerungen machen den Betroffenen zu schaffen. Allein die Gemeinde Alten­ahr müsse Investitionen „im Volumen von sechzig Jahreshaushalten“ stemmen, berichtet der Ortsbürgermeister.

Es fehlt nicht so sehr an Geld wie an den Verwaltungsangestellten, die die Genehmigungs- und Vergabeverfahren abwickeln können. „Es geht nicht schnell und unbürokratisch, sagen Sie es, sonst wird der Graben größer“, appelliert der katholische Geistliche Georg Meyrer an die Gäste aus Berlin und Mainz.

Der Bundespräsident fährt weiter nach Dernau, zu einem von der Flut verwüsteten Holzfachbetrieb. „Die Holzwürmer“ der Schreinerei Rönnefahrt haben angepackt, auch ihr Unternehmen in Dernau ist ein Leuchtturm oder das Vorzeigeweingut Meyer-Näkel nebenan. Der Aufbau wird länger dauern als angenommen, diese Erkenntnis nimmt Steinmeier mit nach Berlin. Am Abend wird er an einer Gedenkfeier für die Opfer in Nordrhein-Westfalen teilnehmen.

Zur Trauerfeier an der Ahr kommt auch Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch sein Besuch unterstreicht Steinmeiers Botschaft aus Alten­ahr: „Wir werden euch nicht vergessen!“

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Wir werden Euch nicht vergessen!



    Das ist die Botschaft.



    Die Proleme liegen im Detail.



    Das "der Aufbau nicht so schnell geht, wie erwartet", ist unrealistischen Erwartungen geschuldet.



    Bei " kleineren" Starkregenereignissen, die ebenfalls zu Überschwemmungen führten, wurden in unserer Gemeinde, in der Nähe der Ahr, 4 Brücken zerstört.



    Zu dieser Zeit, vor 6 Jahren, gab es offiziell keine Krise etc. . Dennoch dauerte es 5 Jahre, bis die Brücken (keine Autobahn, sondern Wohngebiete und Landstraße)



    wieder hergestellt worden sind.



    Im Ahrtal wurden 67 Brücken zerstört.



    Planungsbüros, die Brückenbau beherrschen, sind dünn gesäht, gleiches gilt für bauausführende Firmen.



    Es sind diverse Verwaltungen in ein Boot zu kriegen.



    Um eine langfristige Lösung, statt bloßem Ersatz zu schaffen, müssen Überflutungspläne erstellt werden und angepasste Lösungen, in der Folge, erdacht und umgesetzt werden.



    Die Problematik an der Ahr ist um ein vielfaches größer und es ist gut, dass der Bund Mittel in bedeutender Höhe zur Verfügung gestellt hat.



    Doch braucht jetzt Jede Privatperson, die ihr Haus wieder aufbaut, Architekt und Statiker.



    Überflutungspläne und Maßnahmen müssen erstmal geplant werden usw.



    Wir haben für unsere Gemeindeverwaltung zu "normalen Zeiten" schon kein Personal gefunden, das potenzierte Problem an der Ahr macht es nicht besser.



    Im Übrigen: der Bundespräsident hat vor Kurzem für einen Dienst an der Gesellschaft geworben.



    Zivis könnten, auch heute noch, viel beim Wiederaufbau bewirken.



    Hilfsbereitschaft ist ja vorhanden und in dem Fall würden die HelferInnen regulär vom Staat bezahlt (und versichert!) .



    Vielleicht kommt da der Eine oder die Andere mal auf die Idee, dass wir Zimmerleute, Dachdeckerinnen,



    Straßenbauer und Bauingenieurinnen brauchen um dieses Land zu verbessern.



    Menschen mit Schminktipps oder die, die " irgendwas mit Medien" machen wollen, können zu Hause bleiben.



    Steinmeier setzt die Leuchttürme ins rechte Licht, vielleicht ein Hoffnungsschimmer.

  • RS
    Ria Sauter

    Warum stellen sich die Menschen noch hin und hören diesem Gerede zu?