Die Wahrheit: Kampftrinken mit weißem Ritter
Finnland tritt der Nato bei. Darauf ein Nato-Bier „Otan Olutta“. Sechs Wahrheit-Kräfte haben jetzt das neue finnische Gebräu getestet.
Die Dose zeigt einen gezeichneten Ritter in weißer Rüstung mit blauem Bierkrug in der eisernen Faust. Weiß und Blau – die Nationalfarben Finnlands. „Otan Olutta“ heißt das Bier aus der Olaf-Brauerei im finnischen Savonlinna. Ein Wortspiel. Denn auf Finnisch bedeutet „Otan Olutta“: „Ich möchte ein Bier.“ Und zugleich ist es eine Anspielung auf die französische und spanische Abkürzung Otan für Nato. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben sich die lange Jahrzehnte neutralen Finnen entschlossen, dem Nordatlantischen Verteidigungsbündnis beizutreten. Deshalb habe er ein neues Bier gebraut, das den „Geschmack von Sicherheit mit einer Spur von Freiheit“ vereine, sagte der Chef der Olaf-Brauerei, Petteri Vanttinen, der Nachrichtenagentur AP. Das muss die Wahrheit selbstverständlich allerstrengstens überprüfen und hat sechs erfahrene Bierkräfte zur Zungenprobe gebeten. Otan Olutta!
Feine Wacholdernote
Cremig-herb, bitter, blumig im Abgang mit einer feinen Wacholdernote, spritzig und aromatisch dank einer lang anhaltenden Schaumkrone. Das finnische „Otan Olutta“ schmeckt. Es ist ein handwerklich gut gebrautes Bier, eine überzeugende Beigabe zur Bewerbung um die finnische Mitgliedschaft in der Nato, ein fünfprozentiger Angstkiller gegen aggressive Begehrlichkeit an der finnischen Grenze durch Russland und vor allem ein gelungener Werbegag für die kleine Brauerei. Finnischer Humor, der irgendwie zu allem passt, was man eben so von Finnland weiß: ein schräger Kaurismäki, die entspannende Sauna und die unendlichen, beruhigenden Wälder. Und obendrein soll Bierschweiß ja gut sein gegen die Mückenplage. Ein Gebräu, dass helle Nächte sicherlich noch heller macht und die Leidenschaft beim Tango-Festival im finnischen Seinäjoki patriotisch anheizt, wo jetzt gerade Anfang Juli getanzt, getanzt, getanzt wird. Im Auge des Orkans mit bierschwerer Gelassenheit nach Westen schauen und die Bedrohungen des russischen Zaren im Kreml einfach wegtrinken – ich nehme unbedingt noch eins.
Uriniges Kampfradler
Denk ich an Finnland in der Nacht, aber auch am Tag, denk ich als erstes an, Achtung Schleichwerbung, Finn Crisp, jenes köstlich hauchdünne Knäckebrot. Dazu passt es hervorragend, das alles andere als finnisch dünnbierig daherschmeckende „Otan Olutta“ mit seinen fünf kräftigen Alkoholprozenten, seiner leicht urinig anmutenden Färbung und der Flower-Power-Geschmacksnote eins. Auch als Kampfradler gemischt mit nordischem Wodka ist es eine Trinkmission wert. Fazit: Ein letztlich friedliches und dennoch wehrhaftes Bier – „oans, zwoa, Otan!“, rufen wir den Mannen und Männinnen unseres EU-Bierpartnerlands Finnland zu. Von „Otan Olutta“ sollte auch Nato-Otan-Generalsekretär Jens Stoltenberg sich schleunigst was hinter seine norwegische Binde kippen. Werden doch er und sein Bündnis noch viel Fantasie brauchen, für all das, was dräut im „Otan-Olutta“-Krug und anderswo …
Süßliche Schmiere
Im Osten Deutschlands sind wir ja so einiges gewöhnt. Egal, ob Russe oder mittelmäßige Biersorten, die man vor Wessis selbstverständlich trotzdem vehement verteidigt, wir kennen uns aus. Da habe ich mich umso mehr auf das Nato-Bier „Otan Olutta“ unserer neuen Kameraden an der Nordostfront gefreut, um den baldigen Vertragsabschluss mit der Nato zu begießen. Die Farbe des Indian Pale Ale erinnert an das US-amerikanische Kriechöl WD-40, das für allerlei Scharniere und Geschütze eingesetzt wird. Doch schmeckt das Schmiermittel der finnischen Truppen erst süßlich, dann folgt ein Abgang mit bitterer Note. Für das Erkennen weiterer Nuancen ist der abgestumpfte Ostgaumen bedauerlicherweise nicht ausgelegt, was es aber auch gar nicht braucht. Im Biergeschmack werden sich Ossisoldaten mit den Finnen jedenfalls bestens verstehen.
Schmerzende Dolden
Das „Otan“ bringt einen neuen Geschmack in die Nato. Statt Hopfen enthält das India Pale Ale, so sieht es das finnische Reinheitsgebot vor, „Humala“, das als einer der Hauptbestandteile des Gebräus auf der Dose angegeben wird. Wie Recherchen in Finnland ergaben, ernten Fachkräfte in Rüstungen die lila fluoreszierenden Dolden des einheimischen Gewächses. Denn die faustgroßen Dolden schlagen hektisch mit ihren bis zu sechs Flügeln um sich und fahren kleine Stacheln aus, deren Spitzen eine giftige Flüssigkeit in jeden Finger injizieren, der sie aus ihrem Flug fangen möchte. Versuche, Humala ohne Dornen zu züchten, erzielten keine kulinarisch annehmbaren Erfolge. Das daraus gebraute Bier verlor seinen leicht blumigen, doch bitteren Geschmack. Trotz der Gefahren für die Erntefachkräfte: Noch heute ergreifen viele junge Menschen in Finnland gern diesen harten Beruf in Erwartung der gesellschaftlichen Anerkennung und der Darstellung auf der Bierdose als stolze „Humala-Ritter“.
Goldene Regel
Zur Zeit gilt ja die goldene Regel: Alles, was gegen die Russen hilft, ist gut. Also auch das neue Nato-Bier aus Finnland. Erster Eindruck: Ja, auf jeden Fall! So schön golden, wie es da im Glase schimmert. Also runter damit, und immer daran denken: Es ist für die gute Sache gegen Russland. Schlimmer als Gas von katarischen Sklavenschindern und Öl von saudischen Journalistenzerstücklern kann es ja nicht schmecken. Zweiter Eindruck: Doch! Was für eine fade Plörre, weder zart noch bitter. Eher seifig mit fadem Nachgeschmack. Vielleicht liegt es auch daran, dass es leider lauwarm serviert wird – oder dass es von einer Olaf-Brauerei zusammengebraut wurde. Könnte ich das Nato-Bier trotzdem empfehlen, weil es schließlich gegen die Russen hilft? Ja, ich könnte, aber höchstens als Konterbier gegen einen üblen Kater. Also nur zur Verteidigung! So wie die Nato.
Bitterer Beigeschmack
Ein „Weißer Ritter“ eilt bei einer geplanten feindlichen Übernahme eines Unternehmens dem Übernahmekandidaten zu Hilfe. Die Nato als guter Retter in der Not? Das hätten sich die Finnen auch nicht träumen lassen. Aber sie kennen den „Schwarzen Ritter“ nur zu gut und haben sich im sowjetisch-finnischen Winterkrieg 1940 erfolgreich gegen Stalins Rote Armee gewehrt. Mit massiven Verlusten und Folgen bis hin zur weltberühmten Finnlandisierung. Die jetzt, nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine, im Orkus der Geschichte heruntergespült wurde. Denn im Kreml sitzt wieder ein Imperialist. Den man nur mit Verbündeten stoppen kann. Und einem guten Bier: „Otan Olutta“. Auf dessen Dose ein weißer Ritter prangt. Ein Gebräu, das finnische Gewitzt- und Gelassenheit ausstrahlt. Und das leider einen bitteren Beigeschmack hat, besonders für langjährige Nato-Gegner. Aber das gute Bierleben muss gegen größenwahnsinnige Zaren verteidigt werden. Darauf: Prost! Oder wie die Finnen sagen: Kippis!
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