piwik no script img

Ehemaliger Knast als LernortWo die „Rowdys“ landeten

In der Berliner Keibelstraße dient eine DDR-Untersuchungshaftanstalt heute als Lernort. Schulklassen können hier in engen Zellen viel lernen.

Lernort Knast Illustration: Sebastian König

Berlin taz | Zuerst muss man durch die langen Gänge der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Das Gebäude am Alexanderplatz gehörte mal ganz früher zu Karstadt, dann den Nazis und diente zu DDR-Zeiten als Präsidium der Volkspolizei. „Die Fliesen hier sind noch dieselben wie damals“, sagt Birgit Marzinka und führt mich durch ein Büro, dann durch eine Art Klassenzimmer. Sie öffnet eine schwere graue Tür. Und dann stehen wir mitten in einem leerstehenden Gefängnis. Blicken von unten an den Galerien der Hafthalle hoch, wo vor Jahrzehnten noch die Wächter patrouillierten.

Vom Knast zum Lernort

Die Türen zu den Zellen stehen heute offen, noch bis vor etwa dreißig Jahren waren sie fest verschlossen. 131 Stück, höchstens neun Quadratmeter, die sich oft zwei Häftlinge teilen mussten. Die achtstöckige Gefängnisgalerie diente zu DDR-Zeiten als Untersuchungshaftanstalt – die UHA Keibelstraße. Das Besondere: Es war die einzige UHA in Ost-Berlin, in der auch Frauen inhaftiert waren.

Von einer Seite aus kann man durch die Fenstergitter den Fernsehturm sehen. Ansonsten sind da massive Türen, Betonplatten, Neonröhrenbeleuchtung. Wie man sich eben einen Knast vorstellt. Wie im Film. Nach der Wende wurde der Ort erst mal als Filmkulisse benutzt, erfahre ich. Für den Actionstreifen „Half Past Dead“ zum Beispiel und auch für einen Ausschnitt aus „Das Leben der Anderen“. Deswegen stimme die Wandfarbe nicht mehr, die sei eigentlich grünlich gewesen, nicht grau. „Man wollte ja Suizide vermeiden“, sagt Marzinka. Sie ist die Leiterin des „Lernortes Keibelstraße“. Denn als das dient die ehemalige Haftanstalt seit Februar 2019 nun: als Lernort.

Wie die Haftbedingungen denn gewesen seien, will ich wissen. Wie in Hohenschönhausen? Und stelle direkt die richtige oder – wie man’s nimmt – die falsche Frage. „Das hier war kein Stasi-Gefängnis“, erklärt Marzinka. Ich scheine nicht die Erste zu sein, die so fragt. Das sei wichtig zu unterscheiden. Diese Haftanstalt gehörte zum Ministerium des Innern. Hier wurden Menschen festgehalten, die als kriminell galten und auf ihr Urteil warteten. Im Schnitt um die drei Monate. Dem Lernort geht es vor allem um die Straftaten, die in der DDR – zusätzlich zu Mord, Diebstahl und Ähnlichem – zur Haft führen: „Rowdytum“, Arbeitsverweigerung, „Republikflucht“. Hier zeige sich der Systemunterschied zum Westen, erklärt Marzinka.

Und darüber können sich die Schü­le­r:in­nen von der vierten Klasse bis zur Oberstufe, die die Haftanstalt besuchen, in Lernwerkstätten informieren. Die Zellen sind gleichzeitig Lern- und Ausstellungsräume. Es gibt Bildschirme, auf denen man sich Interviews mit Gefangenen und mit DDR-Staatsanwälten anhören kann. In anderen Zellen liegen Gefangenenakten aus.

Das Ziel: Reflexion zur Haft

Ich stelle mir das schwierig vor: Viert­kläss­le­r:in­nen diesen Ort zu erklären. „Kinder lernen schon sehr früh, was ein Gefängnis ist“, sagt Marzinka. Hier reinzukommen und erst mal nur die Galerie, die Zellen zu sehen, sei allein schon sehr eindrucksvoll. Ich kann nicht widersprechen. „Von unserer Seite ist vor allem der Wunsch zur Reflexion da“, meint sie weiter. Dass Haft echt nicht cool sei und man dennoch – in bestimmten Systemen – in eine Haftsituation sogar hineinrutschen könne.

Ich selbst fühle mich hier drin etwas wie eine Teenagerin, die an coole Knastfilme denken muss. „Gelang hier auch mal jemanden die Flucht?“, frage ich unüberlegt. „Es gab einen einzigen Fluchtversuch“, sagt Marzinka. Aber dass das in der DDR sowieso Unsinn war, „man kam ja aus dem Land nicht raus“.

Drei Dinge lerne ich am Lernort: Eine Gefängnisgalerie in echt zu sehen, ist schon faszinierend. Im Westen gab es mehr Geld-, in der DDR mehr Freiheitsstrafen. Die Untersuchungshaftanstalten waren sich dabei sehr ähnlich, die Strafbestände nicht. Und noch etwas: Das alles im Knast selbst zu lernen, ist ziemlich eindrucksvoll.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!