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Abschied von der EntschuldigungEin Leben ohne Demutsgeste

Ist es richtig, das Entschuldigen aufzugeben, weil andere es als Zeichen der Schwäche deuten? Der Ethikrat ist durch einen Zahn-Fund abgelenkt.

Eine Torte ist gut, eine Torte mit Zahn ist besser – zumindest, wenn man dem Ethikrat folgt Foto: Daniel Reinhardt/dpa

K ürzlich entschuldigte sich eine Bekannte auf einer Konferenz, weil sie länger als eine Minute brauchte, um einen komplizierten Antrag umzuformulieren. Sie entschuldigte sich mehrmals, und ich dachte, dass nur Frauen sich prophylaktisch entschuldigen, es ist wie eine vorauseilende Demutsgeste, um Schläge zu vermeiden. Ich erwog, mich selbst in einem Selbstversuch eine Woche lang nicht zu entschuldigen, aber ich war unsicher, ob der Kollateralschaden der dann unterlassenen, aber eigentlich angemessenen Entschuldigungen zu hoch wäre, und außerdem kamen mir andere Dinge dazwischen.

Ich entschuldigte mich in der Folge bei der Nachbarin, die Corona bekam, sieben Tage, nachdem ich sie besucht hatte – mit negativem Coronatest, der zwei Tage später ins Positive umschlug. Ich entschuldigte mich für unberechtigtes Anpöbeln bei meiner Tochter, die mich fragte, wozu meine Entschuldigung gut sei, wenn ich doch wieder pöbeln würde. Ich entschuldigte mich zähneknirschend bei einem Freund, der meinen barschen Ton moniert hatte, und fragte mich, warum ich die Deutungshoheit über die Notwendigkeit einer Entschuldigung anderen überließ.

Dann ging ich ins Café, wo ich niemanden kenne und mich selten entschuldigen muss. Aber als ich an der Garderobe meinen Mantel aufhing, stolperte jemand über meine Tasche und schüttete einen Becher heißen Kakao über mich.

„Verzeihung“, sagte ich zornig. „Das macht doch nichts“, sagte der Kakaoträger, und ich erkannte den Vorsitzenden des Ethikrats. Der Ethikrat, das sind drei ältere Herren von geringer Größe, die mir gelegentlich Hinweise in Fragen praktischer Ethik geben.

Der Vorsitzende reichte mir ein Stofftaschentuch, das mit grüner Spitze eingefasst war. „Danke“, sagte ich, „wo sind Ihre Kollegen?“ „Sie nehmen an einem Seminar zum Schweigen des Philosophen teil“, sagte der Vorsitzende. Da die Kollegen des Vorsitzenden in der Regel ohnehin schwiegen, schien mir ihre Teilnahme am Seminar müßig, aber warum etwas Gehässiges formulieren, wofür man sich erneut entschuldigen muss. „Könnte ich Sie in einer praktischen Frage konsultieren?“, fragte ich stattdessen. „Natürlich“, sagte der Vorsitzende und wies einladend auf eine Bank. Ein Kellner erschien, der die Frage des Vorsitzenden nach veganer Torte mürrisch aufnahm.

Sich zu entschuldigen gilt als Zeichen von Schwäche, und ich frage mich, ob man sich dem beugt und es lässt

„Mich treibt der Umgang mit Entschuldigungen um“, sagte ich. „Mir scheint, dass sich in der Regel die Falschen entschuldigen: defensive Menschen, meist Frauen, für Lappalien oder weil sie ihren eigenen, viel zu hohen moralischen und sozialen Ansprüchen nicht immer genügen. Während diejenigen, die Anlass für eine Entschuldigung hätten, es so gut wie nie tun.“ Der mürrische Kellner brachte die Torte, die einen ältlichen Eindruck machte.

„Sich zu entschuldigen gilt als Zeichen von Schwäche“, fuhr ich fort, „und ich frage mich, ob man sich dem beugt und es lässt.“ Der Ratsvorsitzende zerteilte sein Tortenstück und stieß dabei mit der Gabel auf etwas Festes, das sich als Zahn erwies. „Oder wäre es souveräner, für die begründete Entschuldigung als so­zia­le Norm zu kämpfen?“, fragte ich. Der Vorsitzende wickelte den Zahn in eine Serviette und näherte sich dem Kellner, der an der Kuchenvitrine hantierte.

„Junger Mann“, sagte er und legte den Zahn auf die Vitrine. „Ist das nicht erstaunlich?“ Der Kellner schien desinteressiert. „Das sind die Bios“, nuschelte er, „die rühren alles rein, Hühnerfüße, Hühnerzähne, Hundezähne.“ „Sicher wissen Sie, dass der Zahn Symbol der Kraft ist“, sagte der Ratsvorsitzende befriedigt, als handle es sich um eine persönliche Auszeichnung. „Das rechtfertigt nicht alles“, sagte der Kellner und verschwand in der Küche.

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Friederike Gräff
Redakteurin taz nord
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3 Kommentare

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  • Ich entschuldige mich nicht, weil ich es von mir anmaßend fände, so etwas eigenmächtig zu tun, nur um selbst zufrieden zu sein. Ich habe kein Anrecht darauf, entschuldigt zu werden. Ich finde, das steht mir nicht zu, wenn es aus meiner Sicht einen Grund gibt, mein Bedauern zu äußern. Dann sage ich lieber " Oh, das tut mir (sehr) leid!" oder persönlicher "Ich bitte um Verzeihung!" , "Kannst Du mir verzeihen?" . Denn die Entscheidung, meine Bitte, mein Bedauern zu akzeptieren steht nicht mir zu, sondern der Person, der gegenüber ich dies äußern möchte/sollte.

  • Man kann sich nicht selbst entschuldigen. Das ist einfach nur anmaßend und arrogant. Wenn man es ernst meint, bittet man um Entschuldigung.

  • Das mit dem entschuldigen sollte man so oder so lassen, den heutzutage weiß offensichtlich eigentlich niemand mehr, wie das mit dem Entschuldigen läuft. Richtig wäre: "Ich bitte um Entschuldigung". Dann kann der Angesprochene die Entschuldigung annehmen oder nicht.

    Tatsächlich hört man stets bestenfalls "Ich entschuldige mich", was jedoch nicht geht, den niemand kann seine Handlung selbst entschuldigen. Und auf das einfache "Tschuldigung" und schlimmer noch "Sorry" kann ich gerne voll verzichten.

    Das "Entschuldigung" im Laden, wenn mal wieder jemand im Weg steht (die Gänge können offenbar immer breiter werden und trotzdem schieben die Leute den Wagen stets in der Mitte) hab ich substituiert gegen ein lautes "Obacht!".