Grüner über Sondervermögen und Bürgergeld: „Brauchen eine ehrliche Debatte“

Wolfgang Strengmann-Kuhn, Grüne, sieht Verteilungsdebatten mit der FDP kommen. Neben den Militärausgaben muss Geld für Soziales da sein.

Eine Pflegerin hält einer Seniorin die Hand

Die Ausgaben für Soziales sind nicht „nice to have“, ­sondern Notwendigkeiten Foto: Paul Zinken/dpa

taz: Herr Strengmann-Kuhn, der Bundestag hat die Schuldenaufnahme für ein sogenanntes Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro bewilligt, um die Militärausgaben in den kommenden Jahren zu stemmen. Sind entgegen anders lautender Beteuerungen durch solche Ausgaben so­zia­le Reformen gefährdet?

Wolfgang Strengmann-Kuhn: Es ist eine sinnvolle Idee, notwendige zusätzliche Maßnahmen für die Verteidigung aus einem Sonderschuldentopf zu stemmen und nicht aus dem Bundeshaushalt. Ich habe dennoch gegen das Sondervermögen gestimmt, aus mehreren Gründen. Einer der Gründe ist, dass wichtige Ausgaben für die Verteidigung, etwa für die Cybersicherheit, gar nicht im Sondervermögen enthalten sind. Diese mil­liar­den­teuren Ausgaben müssen aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden, und das schränkt den Spielraum für andere Projekte, auch für die Armutsbekämpfung ein.

Dieses Sondervermögen, das ja eigentlich Sonderschulden von 100 Milliarden Euro sind, kostet Zinsen. Außerdem muss es laut Gesetz spätestens ab 2031 zurückgezahlt werden. Kommt das dicke Ende in einigen Jahren?

Das Sondervermögen muss irgendwann getilgt werden, entweder das geht dann zu Lasten des Bundeshaushalts oder durch neue Schulden, um die Schulden zu tilgen. Die Zinskosten sind derzeit kein Problem, da die Zinsen sehr niedrig sind. Aber wie hoch die Zinsen in zehn Jahren sind, wissen wir nicht. Irgendwann kann die Finanzierung des Sondervermögens zu Lasten von anderen Dingen gehen, aber dieser Zeitpunkt ist durch die Schuldenfinanzierung eben sehr weit nach hinten geschoben.

ist Obmann der grünen Bundestagsfraktion im Ausschuss für Arbeit und Soziales.

Die Ampelkoalition hat zuletzt milliardenteure Entlastungspakete verabschiedet. Gibt es da überhaupt noch Spielraum für kommende soziale Reformen? Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, die Hartz-IV-Regelsätze, die dann Bürgergeld heißen, ab Januar 2023 um 10 Prozent erhöhen zu wollen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat das schon abgelehnt, er will an der Schuldenbremse festhalten und keine Steuern erhöhen.

Eine Ausweitung der Leistungen in der Grundsicherung ist sinnvoll und notwendig. Wir Grünen haben schon im Wahlprogramm eine Erhöhung der Regelsätze in der Grundsicherung als ersten Schritt um 50 Euro im Monat gefordert, was jetzt auch Hubertus Heil ankündigt. Mit der FDP brauchen wir angesichts der gestiegenen Herausforderungen eine ehrliche Debatte zur Finanzsituation: Dazu gehört die Schuldenbremse, aber wir müssen auch über zusätzliche Einnahmen und den Abbau umweltschädlicher Subventionen reden.

Die FDP will die Sozialausgaben begrenzen, Finanzminister Lindner mahnte für das kommende Jahr zur Ausgabendisziplin.

Ungeachtet des Sondervermögens haben wir in diesem Jahr im Bundeshaushalt 100 Milliarden Euro mehr an Ausgaben als normalerweise. Wenn wir im nächsten Jahr zur Schuldenbremse zurückkehren, so wie der Finanzminister das möchte, dann müssten wir also mindestens 100 Milliarden Euro an Ausgaben wieder reduzieren. Ich wüsste aber nicht, wie das gehen sollte. Die Ausgaben für Soziales sind nicht „nice to have“, ­sondern Notwendigkeiten, sonst fliegt uns die Gesellschaft um die Ohren, weil wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht hinkriegen.

Eine neue sogenannte Über­gewinnsteuer zur Finanzierung der öffentlichen Aufgaben ist im Gespräch. Wird es künftig auch wieder Debatten um höhere Steuern auf Vermögen und Erbschaften geben? Das Wirtschaftsinstitut DIW sieht durch Reformen bei der Erbschaftsteuer, bei der steuer­lichen Belastung von Immobilienverkäufen und sehr hohen Ver­mögen Einnahmemöglichkeiten von über 20 Milliarden Euro im Jahr für die öffentlichen Haushalte.

Eine Übergewinnsteuer könnte ein Baustein sein. Zudem sind hohe Einkommen und Vermögen, insbesondere das reichste eine Prozent der Bevölkerung in Deutschland, ­relativ wenig belastet durch Steuern und Sozialabgaben. Da ist noch Luft nach oben. Um die Herausforderungen zu meistern, müssen die Finanzspielräume erweitert werden.

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