Rechtsstreit über Toepffer-Biographie: Unerwünschte Transparenz
Private Briefe des Beamten Oscar Toepffer sollen wieder in der Schublade verschwinden – obwohl sie sein Hadern mit der NS-Diktatur dokumentieren.
Und darum geht es: In seinem Standardwerk „Täterprofile – Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unter dem Hakenkreuz, Band 2“ beschreibt der Hamburger Historiker und ehemalige Oberschulrat Hans-Peter de Lorent auch den Lebenslauf von Oscar Toepffer (1896–1982). Der war Jurist im Hamburger Staatsdienst, wurde Regierungsdirektor und Ende 1937 auf Anweisung des Reichsstatthalters Karl Kaufmann Beigeordneter in der Verwaltung, wo er eine Zeit lang für Schulangelegenheiten zuständig war.
Neben etwa der Personalakte, die für jeden einsehbar im Hamburger Staatsarchiv lagert, bekam de Lorent 2014 unverhofft über familiäre Kontakte Einblicke in Toepffers Korrespondenz mit seiner Frau Gretchen im Zeitraum von 1939 bis 1945. Denn dieser Briefwechsel sowie private Aufzeichnungen sind erhalten, aus dem Handschriftlichen transkribiert von einer seiner Töchter.
De Lorent traf sich mit ihr und sie gewährte ihm Einblick in diese Unterlagen, aus denen er später in seinem Buch auszugsweise zitierte. Und so kann man nachlesen, wie die Einheit, in der Toepffer diente, die Polen vor Warschau mürbe klopfte, wie er sich freut, beim Vormarsch auf Frankreich seine französischen Sprachkenntnisse nutzen zu können und wie man auch mal einen Weinkeller plündert, dessen Eigentümer seltsamerweise geflohen seien.
Aber auch wie Toepffers Zweifel am Nationalsozialismus wuchsen, lässt sich nachverfolgen; wie er allmählich auf Distanz zum System geht, wie er auch immer wieder kurz zurückfindet.
Doch war es zulässig, dass de Lorent Toepffers Auszüge dieser Briefe in seinem Werk abdruckte? Eben nicht, sagt seine Enkelin, die Rechtsanwältin Christel Sachs und ging gegen de Lorent vor. Ihr Vorwurf: Der Autor habe seinerzeit nicht ausreichend deutlich gemacht, wie er die Briefe nutzen werde. Und er habe nicht die gesamte Familie über sein Vorhaben informiert, es nicht transparent gemacht. In ihrer Klage unterstützt sie ihr Mann Joachim Sachs, ebenfalls Jurist.
Vor genau zwei Jahren traf man sich zum ersten Mal. Die Kammer, die damals durchblicken ließ, dass man die Briefauszüge im Gesamten nicht beanstanden würde, wohl aber bei einzelnen Auszügen sehr wohl das Urheberrecht verletzt sähe, mahnte zu einem konfliktschonenden Vergleich. Nun kam man wieder zusammen. Was das Ehepaar bei seiner Klage genau antreibt, war schwer auszumachen. Es lag ein diffuser Ruch von verletzter Familienehre in der Luft. „Es gibt ja noch heute Nachfahren, die den Namen Toepffer tragen“, führte Christel Sachs aus.
Und das ist auch das Interessante an dem Verfahren, wo einem als Beobachter während der mehrstündigen Verhandlung ob all der juristischen Winkelzüge und sprachlichen Feinheiten schwindelig werden kann: Es erzählt zum einen vom Weiterwirken familiärer Verwerfungen bis in die heutige NS-Forschung. Denn in einem sind sich die beiden Parteien bei allen Differenzen dann sehr einig: In der Toepffer-Familie gab zur Zeit von Lorents Vor-Ort-Recherche erhebliche persönliche Spannungen; offenbar sprach nicht jeder mit jedem und wenn, dann gab es schnell Krach, besonders was die Einschätzung von Oscar Toepffer betraf.
Der nette Beamte
Zum anderen aber spiegelt eben die juristische Auseinandersetzung und besonders das hartnäckige Insistieren der Toepffer-Enkelin, dass ihr Großvater keinesfalls Täter gewesen sei, die Vorstellung wider, der Nationalsozialist sei nur als Brutalo in Schaftstiefeln und mit Reitpeitsche und Revolver denkbar – und nicht als weisungsbefugter, womöglich durchaus netter Beamter im Anzug.
An genau diesem Bild kratzt die NS-Forschung seit Längerem und lenkt den Blick auf all die eloquenten Beamten in den Hamburger Verwaltungen, die nie jemanden handgreiflich misshandelt haben, die aber kraft ihrer sozialen Stellung, ihrer fachlichen Kompetenzen und ihrer organisatorischen Fähigkeiten das NS-Regime auf diese so selbstverständliche Weise am Laufen gehalten haben, die man immer noch schwer fassen kann – und einer dieser Personen war eben Oscar Toepffer. Einfach ein guter Verwaltungsmann, nur im Dienste der Nazis. Und damit ein Täter.
Nun liegt mit Abschluss der zweiten Verhandlung folgender Vergleichsvorschlag bereit: De Lorent streicht alle von Christel Sachs beanstandeten Briefpassagen in der Online-Version seines Buches. Denn das bereite ihr am meisten Sorgen, sagte sie: dass die Briefauszüge für jeden einsehbar im Internet stünden. Das Buch selbst dagegen, das von der Hamburger Landeszentrale für Politische Bildung herausgegeben wird, kann noch bis Jahresende vertrieben und verkauft werden, danach nicht mehr. „Die gedruckten Exemplare bereiten uns keine Bauchschmerzen“, so Christel Sachs.
Sollten beide Seiten den Vergleich annehmen, käme es zu einer paradoxen Situation: Statt der durchaus differenzierten und keinesfalls verurteilenden Biografie, die de Lorent von Toepffer zeichnet, bliebe ein sehr eindimensionales Bild übrig. „Die Korrespondenz bringt Toepffer in ein besseres Licht als die reine Faktenlage“, so de Lorent. Zugleich sagt er: „Toepffer wird durch dieses Verfahren interessanter.“
Endgültig entscheiden, ob sie den anvisierten Vergleich auch tatsächlich schließen oder ob es womöglich in eine dritte Runde geht, wollen beide Parteien bis zum 20. Juli. Bis dahin ist de Lorents Toepffer-Biografie noch in ganzer Prägnanz im Internet zu finden – sowie das Buch insgesamt in der Landeszentrale für Politische Bildung am Dammtorwall 1 erhältlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“