Junge Wohnungslose in Hamburg: Noch ein Winter ohne Schlafstelle?
Hamburg plant ein Notprojekt für junge Wohnungslose. Doch auf die Ausschreibung bewarb sich kein Träger. Nun will die Behörde es nochmal versuchen.
Die Notschlafstelle war lange ein Zankapfel. Die Sozialarbeiterszene fordert sie seit Jahren, weil junge Menschen ohne Schlafplatz nicht in Unterkünfte für erwachsene Obdachlose passten. Die Behörde will Hamburgs große Obdachlosenunterkunft „Pik As“ komplett abreißen und neu bauen. Darin ist auch eine Abteilung für junge Männer geplant – an junge Frauen wurde nicht gedacht.
Schließlich hatten die Grünen im Wahlkampf 2020 das Thema gekapert und die Notschlafstelle versprochen. Im Koalitionsvertrag mit der SPD steht ein Kompromiss: Bis zum Neubau des „Pik As“ – die Rede war von 2024 – dürfe es ein eigenes „Angebot für diese Zielgruppe“ geben.
Ein rot-grüner Antrag der Bürgerschaft konkretisierte dies. Darin wurde die Sozialbehörde aufgefordert, schon zum 1. Januar 2022 in Kooperation mit zwei freien Trägern 20 Übernachtungsplätze für junge Menschen zwischen 18 und 27 Jahren zu schaffen. Das Angebot sollte niedrigschwellig und „voraussetzungslos“ sein. Auch sollte es evaluiert werden – und eine Chance auf Fortsetzung haben.
Finanzierung nur pro Gast und Tag
Wie im November berichtet, ließ aber die nötige Ausschreibung auf sich warten. Weshalb Ronald Prieß, Ex-Jugendreferent der Linken und „Botschafter der Straßenkinder“, dem Senat vorwarf, „noch einen ganzen Winter an den jungen Obdachlosen zu sparen“.
Doch nun droht der nächste Winter ohne Notschlafstelle. Zwar gab die Sozialbehörde im April 2022 endlich jene Ausschreibung raus, aber offenbar zu schlechten Bedingungen. „Auch wir müssen uns der Kritik stellen, warum wir uns nicht beworben haben“, sagt Alexis Schnock. Der Arbeitskreis, dem zehn Einrichtungen angehören, die mit jungen Wohnungslosen arbeiten, gab deshalb eine Stellungnahme heraus.
So monieren die Praktiker, dass die Schlafstelle in der Behörde nicht der Jugendhilfe, sondern der Wohnungslosenhilfe zugeordnet wurde. Man habe es aber bei dieser Zielgruppe mit „jugendspezifischen Problemlagen“ zu tun. Zudem sollten bis zum 1. Oktober die nötigen Räume akquiriert werden. Diese Zeit sei viel zu knapp, zumal wenn der Zuschlag zur Finanzierung nicht garantiert sei. Und schließlich sei die Projektdauer viel zu kurz, der Aufwand dafür stehe in keinem Verhältnis dazu.
„Die Schlafstelle wäre nur Lückenfüller bis zur Fertigstellung der umstrittenen ‚Pik As‘-Lösung“, sagt Schnock. Auch wäre die geplante Aufenthaltsdauer der jungen Menschen mit sechs bis acht Wochen zu kurz, da es länger dauere, eine Wohnung zu suchen. Zudem schätzten gleich mehrere Träger Rahmen und Form der Finanzierung als unrealistisch ein. Der Sozialbehörde schwebte eine Bezahlung über Tagessätze für die Gäste vor. „Das halten wir nicht für sinnvoll. Besser wäre eine Projektfinanzierung“, sagt Schnock.
PIK As-Neubau verzögert sich auch
Die Sozialbehörde erklärt dazu, es habe sich keiner der Anbieter mit ihr ins Benehmen gesetzt, um über die Finanzierung zu sprechen. „Das wäre einfacher gewesen“, sagt Sprecher Martin Helfrich. Es werde nun eine neue Ausschreibung geben. Zuvor werde man mit Anbietern über ihre Vorstellungen reden.
Ronald Prieß sagt zur neuerlichen Verzögerung: „Das ist für die Betroffenen eine Katastrophe.“ Die Behörde habe in der Ausschreibung „in Summe“ unrealistische Bedingungen formuliert. „Das muss sie ändern, wenn sie die Notschlafstelle will.“ Womöglich müssten mehrere Träger das Projekt gemeinsam stemmen.
Inzwischen verzögert sich auch der Neubau des großen „Pik As“. „Der alte Standort ist noch im Betrieb, der Zeitplan nicht zu halten – wegen Corona“, sagt Helfrich. Alexis Schnock nennt das „Glück im Unglück“, da der Arbeitskreis das „Pik As“ für junge Menschen ablehnt. „Wir werden die Chance nutzen, noch was zu bewegen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“