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Liga der Gewöhnlichen Gentlemen im PudelOde an die Gardinenkneipe

Soulpunk mit Texten über Außenseiter, Einzelhandel und Trash: Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen probt im Hamburger Golden Pudel Club.

Die „Liga der gewöhnlichen Gentleman“ im Golden Pudel Club Foto: Miguel Ferraz Araújo

Die Kopfstandmethode ist eine beliebte Kreativtechnik. Man fragt dabei nach dem Gegenteil des eigentlichen Interesses, etwa: „Wie langweile ich mein Publikum scheckig?“ Die Antwort könnte lauten: „Ich singe Lieder über Bücherhallen und Matrazenhändler.“

Dann im zweiten Teil stellt man die Lösung der umgekehrten Aufgabe auf den Kopf und nähert sich so der eigentlich gesuchten Antwort, nämlich, wie man sein Publikum gut unterhält. Carsten Friedrichs stoppt gewöhnlich nach Teil eins der Methode, schreibt Lieder wie „In der Bibliothek“ oder „Der kleine Matratzenmarkt“ und unterhält mit diesem halben Kopfstand sein Publikum seit Jahren prächtig.

Wie tief der Drang zum Enttäuschen gängiger Erwartungen bei Friedrichs sitzt, zeigte sich schon bei der Taufe seiner Band. Die Liga der gewöhnlichen Gentlemen ist so ziemlich die naheliegendste Antwort auf die Frage, wie man eine Rock-’n’-Soul-Band nicht nennen sollte.

40 Quadratmeter Subkultur

Samstag nun absolvierte die Liga, oder die Gentlemen oder DLDGG – keine der katastrophalen Abkürzungen hat sich bislang durchgesetzt – so etwas wie eine öffentliche Generalprobe. Bevor sie demnächst wieder auf Tour gehen, treten die fünf im Hamburger Pudel Club auf, dem 40-Quadratmeter-Wohnzimmer der hanseatischen Subkultur-Bohème.

Und schon mit dem dritten Stück ist die Band zurück bei dem Thema: „Song für Eis-Gerd“, die Ode an eine inzwischen geschlossene Gardinenkneipe in Hamburg-Altona, deren Chef Gerd sein Stammpublikum mit Pils, Buletten und Speiseeis versorgte.

„Genial“ findet Friedrichs den schnörkellosen Namen der Kneipe wie ihr Konzept und offenbart ein weiteres Grundthema: die schräge Kombination. Im Herzen ist der Sänger und Liedschreiber eigentlich Soulboy. Kaum legt er die Gitarre aus der Hand, drängt es ihn zu ein paar Northern Moves, auf und vor der bierglashohen Bühne. Viele der Stücke bedienen sich im rhythmischen Repertoire der Mowtown-Ära.

Schmusiger Soul

Doch an der Stelle samtiger Harmonien scheppert Friedrichs tiefe Stimme mit hanseatischem Schlag. Statt warmer Streicher gibt es grelle Keyboardsounds, und verglichen mit schmusigem Soul sind hier ein paar Megawatt mehr Energie im Spiel. Der Schlagzeuger etwa sitzt auch deshalb im 90-Grad-Winkel zum Bühnenrand, um vor lauter Verve nicht geradeaus ins Publikum zu springen.

Einmal aber wird die Liebe zum Soul nicht gebrochen, ist die Ironie absent und der Groove perfekt: „Der fünfte Four Top“, das vielleicht schönste Liga-Lied ist Blue-Eyed-Soul in Reinkultur. Spins und Back-Flips sollten nun den kleinen Raum füllen, Talkum gehört verstreut, die gesprungene Beinschere wäre angebracht.

Doch das heute ungewohnt zurückhaltende Pudel-Publikum begnügt sich mit leichtem Wiegeschritt. Erinnert sich denn niemand, dass Friedrichs genau hier früher mit dem Spackofant Soulstammtisch Barret-Strong-Singles auflegte und mit Korn-Brause den Mittwochabend zum Wochenende machte?

Auf Suche nach Größe im Kleinen

Es ist nicht die einzige Schnittstelle zwischen Band und Club. Beide suchen nach Größe im Kleinen. Der Pudel mit einem anspruchsvollen Programm, das sich inzwischen auf zwei Etagen in diesem winzigen Haus mit Hafenblick abspielt. Die Liga mit Texten über Außenseiter, Einzelhandel und Trash, die weit hinausragen aus der gewöhnlichen Hormonanalyse, ohne damit in zehn Jahren Bandgeschichte sonderlich weit gekommen zu sein. Abgesehen von einer Auszeichnung der ersten Single als „Bester Fußballsong des Jahres“.

Vielleicht hat der Pudel sie deshalb als Teil seines mehrtägigen „Corona Non Grata“-Festivals gebucht. Weniger weil die Pandemie natürlich auch die Liga getroffen hat, sondern weil sie in ihrer musikalischen Uneinordbarkeit zwischen Ska, Soul und Punk und mit textlichen Miniaturen über Kiloläden, Fußball und Trabrennbahnen ein Stachel im Fleisch einer pophochschulgenormten Musiklandschaft sind. Das geteilte Selbstverständnis kittet den stilistischen Bruch zwischen dem schrammeligen Gitarrensound der Liga und dem sonst überwiegend elektronischem Festivalprogramm.

Eine stattliche Auswahl von Friedrichs Songtexten erscheint in ein paar Wochen unter dem Titel „Später kommen, früher gehen“ als Buch beim Mainzer Ventil Verlag. Lakonisch kommentiert und durchsetzt mit einigen längeren Prosatexten zeigt es Carsten Friedrichs als deutschen Bruder von Songwritern wie Ray Davies, Jonathan Richman oder Vic Godard. Er schrumpft die großen Themen – Einsamkeit, Liebe, der HSV, … – ins Hyperkonkrete und webt ein ganzes Knäuel popkultureller Inspirationen und Querverweise ein.

Dankbarer Kontext

Eigentlich darf man diese Texte nicht lesen, ohne die Musik dazu zu hören. „Keiner kann so singen wie ich“ heiß es schließlich treffend in „Carsten ist mein Name“. Die Anmerkungen aber liefern dankbaren Kontext und Erläuterungen zu Friedrichs oft bestechend geradliniger Denke. „Samstagabend, leicht einen kleben, mildes Lüftchen am Hafen, sternenklarer Himmel, am nächsten Tag frei.“ Sollte man da nicht einfach mal an die Nasa funken: „Houston, wir haben kein Problem“?

Zumal die Zufriedenheit im Stimmungsrepertoire der Liga-Songs eher die emotionale Ausnahme ist. Textlich zumindest. Samstag etwa wird live kredenzt: das Verblassen von Gefühlen („Liebe wohnt hier nicht mehr“), der Verlust von Vertrautem („Der Matratzenmarkt“) und Einsamkeit im großen Kreis („Alleine auf Parties“). Mit einer verlangsamten Version von Letzterem samt feinem A-cappella-Part des Publikums schließt gegen elf die Zugabe. Friedrichs schnappt seine Jacke und geht von der Bühne, vielleicht zu einer Party, wahrscheinlicher aber zum Rauchen.

Als auch das Publikum vor den Pudel tritt, ist die Luft mild, die Lichter im Hafen sind hell und manche haben leicht einen sitzen. Die Jungs in Houston werden ein paar Nachrichten empfangen haben.

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