Mahnmal für die Opfer von Hanau: Nicht im Herzen der Stadt

Viele Hanauer wollen ein Mahnmal für die Opfer des rassistischen Anschlags – aber nicht im Stadtkern. Den Toten wird dort kein Platz gestattet.

Februar 2020: Am Brüder-Grimm-Denkmal in Hanau werden nach dem Anschlag Blumen und Kerzen abgelegt Foto: Andreas Arnold/picture alliance

Deutschland hat eine Fläche von etwa 357.600 Quadratkilometern. Das klingt nach viel Platz und man sollte meinen, dass deswegen viel hineinpasst in diese Fläche: Felder, Autobahnen, Städte, Dörfer, Naturschutzgebiete, Forst, Seen, Kraftwerke, Rosengärten, Fahrradstreifen, Designer-Outlets, Bahnstrecken, Verkehrsinseln, Fußgängerzonen, Kleingärten, Museen, Parks, und so weiter.

Die Stadt Hanau hat eine Fläche von 76,49 Quadratkilometern. In ihrer Mitte liegt der historische Marktplatz, dort steht ein Denkmal, im Herzen der Stadt. Es erinnert an die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, die 1785 und 1786 dort geboren wurden. Kinder der Stadt also, auf die man hier stolz ist, um die sich mittwochs und samstags die Marktstände gruppieren. Etwa 100 Stände finden Platz: Eier, Blumen, Käse, Backwaren, Gemüse, und so weiter.

In Hanau sollte Platz für ein weiteres Denkmal gemacht werden, es gab eine Ausschreibung, einen Wettbewerb, einen Beirat, Absprachen zwischen den Hinterbliebenen und Oberbürgermeister Claus Kaminsky, 19 Monate lang, das berichtet die Zeit. Alle wollten ein Mahnmal, das an die Opfer des rassistischen Anschlags vom 19. Februar 2020 erinnert: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov.

Alle waren sich einig, und doch gibt es nun nichts. Die Hinterbliebenen der Opfer wollen das Mahnmal nur dort, auf dem Marktplatz, doch die Stadtverordnetenversammlung ist dagegen. Eine Mehrheit der Hanauer wolle ein Denkmal, aber nicht an dieser Stelle. Nicht in der Mitte, im Herzen der Stadt.

Rechtlich sticht das Parlament den Wunsch Angehörigen aus. Und Parlament, Mehrheit, das ist demokratisch. Aber anstatt die Demokratie zu stärken, wird eine solche Entscheidung genau das Gegenteil tun. Sie zieht sich wie eine Wand vor die Hinterbliebenen und sie zersetzt uns, die Möglichkeit eines Wir, langsam, langfristig. Weil die Wenigen auf diese Weise immer die Wenigen bleiben werden, die demokratischen Verlierer*innen. Weil sie nicht gewinnen, trotz Anstrengung und Gestaltungswillen. Egal, wie oft von Zäsuren und vom Ende des Weiter-So gesprochen wird, egal, wie oft es heißt, ein solcher Anschlag sei auch ein Angriff auf die Demokratie.

Die Mehrheit will das nicht. Der Satz ist kurz, aber er lässt sich aufziehen: Die Mehrheit will erinnern, aber…? Erinnern will man nur Gutes, nur, womit man sich schmücken kann? Das Herz der Stadt ist schon voll, sorry, da kommst du nicht rein? Ausländer bleiben Ausländer, auch wenn wir sie nun anders nennen? Sie dürfen mehr als sie mal durften, aber sie dürfen weiterhin nicht zu viel? Wir verlieren fortlaufend unsere Fragezeichen, also Möglichkeiten. Was zu viel ist, entscheiden andere. Wer sich zu Lebzeiten klein machen muss, dem wird auch im Tod nicht mehr Platz gestattet. Rand bleibt Rand. Nebenrolle bleibt Nebenrolle. Dabei könnten wir so viel mehr sein.

Deutschland hat eine Fläche von etwa 357.600 Quadratkilometern. Das klingt nach viel Platz und man sollte meinen, dass deswegen viel hineinpasst. Auch in die Mitte, auch nebeneinander. Man sollte meinen, aber je nach Perspektive stellt sich das m auf den Kopf und läuft über.

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Lin Hierse ist Redakteurin der wochentaz und Schriftstellerin. Ihr erster Roman 'Wovon wir träumen' erschien 2022 bei Piper. Zuletzt wurden ihre Kurzgeschichten in Das Wetter Buch für Text und Musik und Delfi Zeitschrift für Neue Literatur veröffentlicht.

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