Co-Fraktionsvorsitzende über Grüne: „Wir müssen Orientierung bieten“
Die Grüne Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge spricht über kahle Bürowände, moderne Migrationspolitik und ihr einziges Kaffeedate mit Friedrich Merz.
taz am wochenende: Frau Dröge, die Wände in Ihrem Büro sind noch etwas kahl. Hatten Sie noch keine Zeit, sich einzurichten?
Katharina Dröge: Wir sind überhaupt noch nicht dazu gekommen, irgendwas richtig auszupacken. Da drüben stehen noch die Kisten, die Bilder hängen nicht, die Regale sind leer. Seit ich Fraktionsvorsitzende bin, gab es dafür eigentlich keinen Moment.
Dabei sind Sie immerhin schon ein knappes halbes Jahr Fraktionschefin.
Mir kam es kürzer vor. Es waren ja auch sehr spezielle Monate.
Katharina Dröge (37) leitet seit Dezember 2021 mit Britta Haßelmann die Bundestagsfraktion der Grünen. Sie sitzt seit 2013 im Parlament und gehört dem linken Parteiflügel an.
Hat es Ihnen der Krisenmodus leichter oder schwerer gemacht, im Amt anzukommen?
Es klingt absurd, aber der politische Druck in dieser schlimmen Zeit hat zumindest im Kopf das Ankommen einfacher gemacht. Vorher dachte ich, dass ich mir vor jedem großen Interview oder der ersten Rede als Fraktionsvorsitzende tagelang Gedanken mache. Aber dafür war angesichts ständig dringender politischer Entscheidungen gar nicht die Zeit. Der Gedanke, du machst das alles zum ersten Mal, spielte gar keine Rolle mehr.
Die Grünen haben viele neue Abgeordnete. Trotzdem scheinen sie die eigene Fraktion gut im Griff zu haben.
Wir haben es sehr gut geschafft, in dieser Zeit einen gemeinsamen Weg zu gehen. Wir haben vom ersten Tag an allen Abgeordneten Videokonferenzen angeboten, um unsere Entscheidungen zu erklären. Gerade für eine neue Fraktion war das trotzdem keine leichte Zeit. Die Pandemie war zu Beginn noch akut, alle saßen zu Hause vor ihren Bildschirmen und mussten diese krassen Entscheidungen mit sich alleine ausmachen. Deswegen war es uns so wichtig, der Diskussion viel Raum zu geben und der Fraktion gegenüber auch die eigene Zerrissenheit deutlich zu machen.
Wo mussten Sie am meisten Überzeugungsarbeit leisten?
Am Anfang haben wir am intensivsten die Frage um Swift und den Ausschluss Russlands aus dem internationalen Zahlungsverkehr debattiert. In der Frage der Waffenlieferungen hat die Fraktion deutlich weniger Zweifel angemeldet, als viele gedacht hätten. Das war für uns Grüne natürlich eine 180-Grad-Wende, aber angesichts dieser Zeit und dessen, was Russland tut, haben die Abgeordneten uns sehr breit zurückgemeldet: Das ist genau richtig.
Die SPD und der Kanzler waren in der Frage weniger klar. Wie haben Sie das empfunden?
Die Bundesregierung hat diese Entscheidungen gemeinsam getroffen. Bei der Frage der Lieferung schwerer Waffen hätten sich die Menschen von uns aber mehr Kommunikation gewünscht. Das haben wir auch gemeinsam klar analysiert. Ich finde allerdings: Der Kanzler tritt in sehr vielen Medienformaten auf und erklärt viel mehr, als es Angela Merkel jemals gemacht hat.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Als Musterbeispiel für gute Kommunikation gilt derzeit Robert Habeck, der auch mal seine Zweifel zur Schau stellt und öffentlich ausführt, wie er zu seinen Entscheidungen kommt. Als Kollektiv sind die Grünen dagegen sehr bedacht darauf, dass ihre Diskussionen intern bleiben. Könnte etwas mehr Transparenz nicht auch auf dieser Ebene gut ankommen?
Gerade für eine Fraktion sind Diskussionsräume wichtig, in denen Abgeordnete geschützt über Zweifel und Fragen reden können. Nicht jeder Gedanke, den man äußert, soll sofort aus dem Kontext gerissen zur Schlagzeile werden. Am Ende machen wir unsere Abwägungen deutlich, sprechen aber mit einer gemeinsamen Stimme. Wir müssen ja auch Orientierung bieten. Wir können in einer Zeit, in der Krieg in Europa ist, nicht sagen, wir wollen jetzt erst mal debattieren, sondern man muss sich für einen Weg entscheiden und dann erklären, warum.
Die letzten beiden Landtagswahlen haben die Grünen gewonnen – auch dank des Rückenwinds der populären Kabinettsmitglieder Habeck und Baerbock. Droht bei aller Freude eine Asymmetrie, wenn die beiden gegenüber Fraktion und Partei zu stark werden?
Nein. Wir arbeiten super eng als Sechserrunde zusammen, also die beiden, die Parteivorsitzenden und wir als Fraktionsvorsitzende. Wir stimmen uns in allen zentralen Fragen ab. Jede Woche. Dann macht jeder im eigenen Bereich seinen Job, damit es zusammen funktioniert.
Es ist also nicht so, dass die beiden den Kurs vorgeben und Sie die Fraktion „einnorden“?
Definitiv nicht. Das würde auch eine grüne Bundestagsfraktion nicht mit sich machen lassen. So funktionieren die Grünen nicht.
Zurück zu den Landtagswahlen: Welchen Wunsch haben Sie für die Regierungsbildung in Nordrhein-Westfalen, wo Sie selbst herkommen?
Dass endlich Bewegung in die Energiepolitik kommt. Ich fand das in den letzten fünf Jahren unerträglich. Ich hatte vorher im Landesumweltministerium gearbeitet und die damalige Schwarz-Gelbe Regierung hat danach alles ausgebremst, was wir vorangebracht hatten. Das war richtig bitter.
Können Sie den Grünen im Land die Ampel empfehlen?
Die Grünen in NRW entscheiden das alleine. Für die Bundesebene gilt: Ich habe bis jetzt gute Erfahrungen mit der Ampel gemacht, gerade auch, weil wir in den gesellschaftspolitischen Fragen überzeugt für ein wirklich modernes Deutschland stehen. Mit der CDU wäre das ein richtig harter Kampf gewesen. Auch bei anderen Fragen wie dem Ausbau der erneuerbaren Energien haben wir uns wirklich auf etwas sehr Weitreichendes geeinigt.
In NRW haben SPD und FDP aber enorm verloren. Schwarz-Grün liegt auf der Hand.
Man sollte die Frage, mit wem man fünf Jahre ein Land regieren will, davon abhängig machen, ob man gut zusammenarbeiten und gemeinsam in die richtige Richtung gehen kann.
Wie wirken sich die Landtagswahlen in NRW und Schleswig-Holstein auf den Bund aus? CDU-Chef Friedrich Merz dürfte sich in seinem konfrontativen Kurs gestärkt fühlen.
Ich glaube nicht, dass sich Friedrich Merz durch die Landtagswahlergebnisse gestärkt fühlen sollte. In Schleswig-Holstein hat Daniel Günther mit einem Kurs gewonnen, der das Gegenteil von Friedrich Merz ist. Auch Hendrik Wüst hat versucht, die CDU moderner aufzustellen. Anstelle von Friedrich Merz würde ich daraus Schlussfolgerungen für den Kurs der Union ziehen.
Frau Dröge, wir kennen doch alle Friedrich Merz, Sie persönlich sogar besser als wir …
Eigentlich nicht.
Noch nie zusammen Kaffee getrunken?
Einmal.
Macht man das unter Fraktionsvorsitzenden nicht häufiger?
Eigentlich schon. Unser Eindruck war: Gerade bei den Debatten der letzten Wochen wie der Impfpflicht hat er den Dialog eher nicht gewollt.
Gesprächsbedarf mit der Union gäbe es beim Sondervermögen für die Verteidigungspolitik. Haben Sie bei dem Thema eigentlich schon die eigene Fraktion hinter sich?
Hinter dem Weg, den das Kabinett beschlossen hat, steht die Fraktion sehr geschlossen: Sicherheit erfordert gerade jetzt auch mehr Investitionen in die Bundeswehr. Zu Sicherheit im 21. Jahrhundert gehört aber auch zivile Krisenprävention, das heißt Ertüchtigung von Partnern und Cybersicherheit. Im Mittelpunkt steht die Stärkung der Bündnisfähigkeit. Ausgerechnet das will Friedrich Merz jetzt streichen und allein durch das Wort „Streitkräfte“ ersetzen. Was für ein Signal an unsere Partner? Gerade in einer Zeit, in der sich Schweden und Finnland entscheiden, der Nato beizutreten.
Die Union will aber nur zustimmen, wenn die 100 Milliarden allein der Bundeswehr dienen. Und sie fordert die dauerhafte Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels, so wie es Olaf Scholz in seiner Zeitenwende-Rede eigentlich angekündigt hatte.
Ich fand es damals schon sinnvoll, den Sicherheitsbegriff breiter zu formulieren und es ist gut, dass sich das Kabinett darauf verständigt hat. In dem Punkt sind wir Grünen sehr klar. Beim Zwei-Prozent-Ziel auch: Es ist nicht sinnvoll, die Verteidigungsfähigkeiten am Wachstum des BIP zu orientieren, sondern an den Fähigkeiten, die notwendig sind.
Als Olaf Scholz im Bundestag das Sondervermögen ankündigte, sind Sie anders als die Union nicht zu Standing Ovations aufgesprungen. Warum nicht?
Ich frage mich, warum die Union das gemacht hat. Im Bundestag sind Standing Ovations selten. Als es darum ging, der Ukraine Solidarität auszudrücken, als Herr Melnyk nach dem russischen Angriff auf der Tribüne stand: Das ist so ein Moment, in dem ich aufstehe. Und die Union mit ihren Standing Ovations muss sich jetzt auch fragen: Was folgt eigentlich aus eurem Applaus? Lasst ihr die Grundgesetzänderung wirklich scheitern, so dass es am Ende kein Geld für die Bundeswehr gibt? Diese Frage muss sich jeder in der Union jetzt stellen.
Nach Nordrhein-Westfalen könnte es nicht nur mit der Union schwieriger werden, sondern auch mit den Koalitionspartnern. In der FDP gibt es den Drang, sich nach den Niederlagen in den Ländern im Bund noch stärker zu profilieren.
Uns gegenüber äußert sich das nicht. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Ampel für alle drei Partner nur als gemeinsames Projekt gut funktioniert. Klar muss man dafür auch immer wieder nach den Dingen schauen, die für alle drei gut funktionieren und dann gemeinsam positiv darüber sprechen.
Wo sind denn die gemeinsamen Projekte, die die Ampel noch mal zusammenschweißen könnten?
Beispielsweise bei der progressiven Gesellschaftspolitik. Wir finden, dass Menschen, die schon länger in Deutschland leben, oft gut integriert sind und einen Arbeitsplatz haben, endlich auch eine Bleibeperspektive brauchen. Für Menschen, die mit sogenanntem Duldungsstatus länger als fünf Jahre in Deutschland leben, braucht es mit einem neuen Chancenaufenthaltsrecht eine verlässliche Möglichkeit zur Ausbildung, Weiterbildung oder für einen dauerhaften Job. Also endlich mal anzukommen und Fuß fassen zu können.
Wann geht die Ampel das Thema an?
Ich will, dass wir mit einer modernen Migrationspolitik jetzt Tempo machen und noch dieses Jahr erste Schritte umsetzen – auch bei einfacheren Arbeitsvisa. Beim Thema Fachkräfte gehen die Chancen und Bedarfe von Zuwanderung zusammen. Wenn wir über eine schnellere Wärmewende sprechen, dann fragen mich alle, woher denn die Fachkräfte kommen, die die Gebäude sanieren und Heizungen austauschen sollen. Es war immer die Union, die da auf der Bremse stand – völlig unvernünftig für eine Partei, die sich selbst Wirtschaftspartei nennt. Für die Ampel ist das ein zentrales und gemeinsames Zukunftsprojekt.
In anderen Bereichen drohen Konflikte. Wenn die Preise in der Krise weiter steigen, könnte ein drittes Entlastungspaket nötig sein. Mit der FDP wird die Finanzierung schwierig.
Wenn insbesondere die Gaspreise weiter steigen, kommen wir in eine Situation, in der schon Familien mit Durchschnittseinkommen die Kosten nicht mehr tragen können. Dann könnten wir ein drittes Entlastungspaket brauchen. Das schauen wir uns sehr genau an. Auch mit Blick auf die Schuldenbremse sage ich: Wir müssen uns die wirtschaftliche Entwicklung genau anschauen, auch aufgrund der Dynamiken, die durch den Krieg in der Ukraine entstehen. Wenn es so weitergeht, kann es sein, dass wir 2023 die Schuldenbremse nicht einhalten können. Dann werden wir mit Christian Lindner reden müssen.
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