Klassiker des Straßenrap: Leben in Parallelen
Vor zehn Jahren erschien „Hinterhofjargon“. Das Album des Rap-Duos Celo & Abdi hat den postmigrantischen Blick auf die deutsche Gegenwart geprägt.
Wer Rap mag, mag auch Eindeutigkeit. Die Eindeutigkeit, mit der zwischen Arm und Reich, Herrschenden und Beherrschten, Mehrheitsgesellschaft und Minderheit unterschieden wird. Rap hat diese Unterscheidungen aber nicht erfunden, er beschreibt sie als gesellschaftliche Realität, verdichtet die Prinzipien der Ungleichheit.
Denn auch wenn sich die postmoderne, durchdigitalisierte Gesellschaft immer weiter ausdifferenziert, ihre Grundsätze bleiben gleich: Reichtum wird ungleich verteilt, Menschen werden von anderen Menschen diskriminiert.
Das Frankfurter Rap-Duo Celo & Abdi erzählt Geschichten darüber. „Es geht ums nackte Überleben / Eine Welt, zwei Parallelen / Ich will Para sehen oder Plan B“, heißt es in „Parallelen“. Die verzerrte Stimme des Nachrichtensprechers Claus Kleber, der von „Parallelgesellschaften“ spricht, „die nach Regeln leben, die nicht die unseren sind“, führt in das düstere Stück mit martialischem Beat ein. Dann rappen Celo & Abdi über die Gleichzeitigkeit von Genozid und Super Bowl, Kaviar und Hungerlohn, Menschenrechten und Krieg. Der Track ist wohl der markanteste auf ihrem Debütalbum „Hinterhofjargon“, das Celo & Abdi vor zehn Jahren, am 25. Mai 2012, veröffentlicht haben.
Abdis voller Name ist Abderrahim el Ommali. Als Sohn marokkanischer Einwanderer wurde er 1987 in Frankfurt am Main geboren, wo auch Celo, bürgerlich Erol Huseinćehajić, Jahrgang 1982, als Kind bosnischer Eltern auf die Welt kam. Die beiden haben sich 2008 bei der Arbeit in einem Callcenter kennengelernt. 2011 veröffentlichten sie ihr Mixtape „Mietwagentape“ als kostenlosen Download. Der Offenbacher Rapper Haftbefehl nahm sie daraufhin bei seinem Label Azzlackz unter Vertrag. Dort erschien „Hinterhofjargon“ und schaffte es auf Platz 8 der deutschen Albumcharts.
Heimatgefühl im Eintracht-Trikot
Seinen Durchbruch erlebte das Duo zu einer Zeit, in der deutsche Integrationsdebatten mit ihren Sarrazins und ihren Büchern über sich abschaffende Länder neue Tiefpunkte erreichten. Celo & Abdi stellten den vermeintlichen „Debatten“ selbstbewusste, melancholische, aber auch witzige Texte über Heimatlosigkeit entgegen. Weil sich ihr Heimatgefühl nicht in die Form eines Nationalstaats reinzwängen lässt, traten sie bei Konzerten in Trikots von Eintracht Frankfurt auf.
Die große Resonanz, die sie erfuhren, lässt sich mit der Klarheit erklären, mit der sie soziale Antagonismen auf den Punkt brachten. Der Drang zur Eindeutigkeit führt manchmal aber auch dazu, dass man es sich zu einfach macht beim Verstehen der Welt.
In „Parallelen“ rappt Abdi von „Lügnern“, die „oben regieren“, im Videoclip werden George W. Bush und der ehemalige israelische Premierminister Ariel Scharon eingeblendet; „NWO, Amis auf dem Mond“, rappt Celo, wobei „NWO“ für new world order steht, einer beliebten Vokabel unter Verschwörungstheoretiker:innen, hinter der die Fantasie einer großen Weltverschwörung steckt.
„Wir verherrlichen Verschwörungstheorien nicht, aber sie existieren. Wir versuchen, das überspitzt darzustellen“, sagte Celo 2017 in einem Zeit-Online-Interview auf die Frage, ob Deutschrap mit antisemitischen Verschwörungstheorien spiele. Es gehe ihnen darum, Menschen zum Nachdenken anzuregen.
Drogenhändler statt Banker
Am besten ist Rap aber ohnehin, wenn er sich auch an Ambivalenz heranwagt; wenn zum Beispiel Celo & Abdi in „Besuchstag“ einerseits Geschichten über soziale Ungleichheit und rassistische Justiz in Deutschland erzählen, über Mütter, die ihre Söhne im Gefängnis besuchen müssen, weil sich die Söhne angesichts mangelnder Lebenschancen für das schnelle kriminelle Geld entschieden haben – „Drogenhändler statt Banker geworden / Wollte und konnte nicht den Eltern gehorchen“ –, statt den beschwerlichen und trotzdem unsicheren Weg des legalen Aufstiegs zu probieren, wie es der marokkanisch-französische Fußballprofi Marouane Chamakh getan hat: „Denn es lief bei diesem Maroc ganz anders / Er hat hart geackert und auf Rauschgift gekackt / Seinen Vater stolz und was aus sich gemacht“.
Und wenn sie dieser Realität in dem Stück „In meinem Land“ andererseits eine andere gegenüberstellen, in der sie anerkennen, dass es für sie mieser hätte laufen können, wenn ihre Eltern die Migration nach Deutschland nicht auf sich genommen hätten: „Ich wach’ auf, guck aus dem Fenster raus / Statt Skyline sehe ich nur Steine und Staub / Nur ein Traum ist es gewesen / Dass wir in Deutschland leben“.
Natürlich ist der Gedanke, dass alles viel schlimmer hätte kommen können, nicht befriedigend. Trotzdem treffen Celo & Abdi ein postmigrantisches Gefühl, wenn sie ein Nebeneinander von Frust und Dankbarkeit benennen, das man kennt, wenn man an keinem Ort zu Hause ist, aber weiß, dass die Chancen in der neuen besser als in der alten Heimat der Eltern stehen, weshalb die Eltern ja schließlich auch gegangen sind.
Empfohlener externer Inhalt
Deshalb ist es auch nicht so, wie es rechte, mittige und linke Identitätspolitikobsessive gerne behaupten: dass diejenigen, die Rassismus und Klassengesellschaft in Deutschland kritisieren, und sich bei der Fußball-WM nicht gleich in deutsche Farben hüllen, alles an diesem Land blöd finden.
Leute wie ich hassen dieses Land, weil unsere Eltern hier hart geschuftet haben und man ihnen trotzdem nie auf Augenhöhe begegnet ist; und weil Augenhöhe für uns, ihre Kinder, heute immer noch keine Selbstverständlichkeit ist; wir hassen dieses Land wegen Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Solingen, Halle, Hanau … Aber wir hassen es eben nicht nur. „Auf die Frage, ob ich Deutscher bin / Kann ich nur sagen, dass ich in jedem Falle gerne in Deutschland bin“, rappt Abdi in „Diaspora“ aus dem Jahr 2017.
Kanakiş für Hans und Franz
So etwas wie Rückkehr gibt es für uns sowieso nicht. Wenn man als Kind von Migrant:innen in Deutschland Ausschluss erfährt, dann erscheint der andere Ort, dessen Sprache die eigenen Eltern sprechen, als Versprechen von Geborgenheit. Dann fährt man in den Sommerferien dorthin und erfährt schmerzlich, dass man auch dort ein Anderer ist. Was bei diesem Besuch besonders das Herz bricht, ist die Annahme mancher Verwandter, dass das Geld in Deutschland auf der Straße liegt. „Marokko, dritte Welt / Cousin aus Düsseldorf, schick mir bitte Geld“, beschreibt Abdi in dem Lied „In meinem Land“ dieses verwandtschaftliche Verhältnis.
Die Cousinen und Cousins müssen in der neuen Heimat aber kämpfen. Und wer als Kind und Jugendlicher kämpfen muss, der muss das meistens auch als Erwachsener. „Montag, 8 Uhr morgens auf dem Sofa / Voll stoned, kein Bock, Totalschaden, Koma / 24/7 Matrix, aufstehen / Ready for Action, Doppelleben, rausgehen / Baustelle in Kauf nehmen, 8 Stunden hart schuften“, rappt Celo in „Über Wasser halten“.
Denn in Deutschland bleibt reich, wer reich ist und wer arm ist, bleibt arm. Grüne und Rote stellen das während Wahlkampfsommern in öffentlich-rechtlichen Talkshows gerne infrage, nur um dazugehörige politische Vorhaben wie ernstzunehmende Erbschafts- oder Vermögenssteuern bei Koalitionsverhandlungen als erstes für Regierungsmacht zu opfern. Man muss dieses Land also kritisieren, auch wenn man nicht Hans oder Franz heißt.
Hans und Franz sollen ohnehin erst Mal Kanakiş lernen. „Ich bin’s, Abdi, Erfinder des globalen Rap a. k. a. interlinguales Vokabelheft“, rappt Abdi im Track „Hinterhofjargon“. Und: „Ich erkläre Jargon auf Deutsch für Franz und Hans / Für’s ganze Land, ich kann wie ein Duden spitten“. Die Message: Wenn wir schon zu Anderen gemacht werden, dann sollen sich die anderen uns gefälligst anpassen.
Heute ist die Forderung, dass die Sprachkenntnisse der Mitbürger:innen ohne Migrationshintergrund über die schlimmsten türkischen und arabischen Schimpfwörter hinausgehen, selbstverständlich, auch wegen Alben wie „Hinterhofjargon“.
Dabei ist es sekundär, dass Wortschöpfungen von irgendwelchen Leuten zum Jugendwort des Jahres gewählt werden, wie das „Babo“ von Haftbefehl, der vom deutschen Feuilleton gefeiert wird. Viel wichtiger als die exotisierende Anerkennung ist die Tatsache, dass Künstler wie Haftbefehl und Celo & Abdi mit ihren Texten die postmigrantische Jugend stolz gemacht haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen