Historiker über Juden in Hansestädten: „Wohlhabende durften gern bleiben“
Wohlhabende jüdische Kaufleute waren in Hansestädten der frühen Neuzeit hoch willkommen. Ärmere Glaubensgenossen mussten meist außerhalb siedeln.
taz: Herr Kopitzsch, welchen Status hatten Juden in Norddeutschlands Hansestädten in der frühen Neuzeit?
Franklin Kopitzsch: Wir sprechen von der Zeit wischen 1590 und der jüdischen Emanzipation durch die Revolution von 1848/49. Damals gehörten sie zu den Minderheiten. In Hamburg und Lübeck herrschten die Lutheraner vor, in Bremen die Calvinisten. Aber unter Handelsgesichtspunkten war man durchaus daran interessiert, wirtschaftsstarke Leute in die Städte aufzunehmen. Neben den „hochdeutschen“ Ashkenasen, die oft vor Pogromen aus Osteuropa flohen, haben besonders die der spanischen Inquisition entronnenen portugiesischen – sephardischen – Juden mit ihren breit gefächerten Handelsbeziehungen zur Blüte Hamburgs im 17. Jahrhundert beigetragen.
Aber ihren Friedhof „auf Ewigkeit“ durften sie nur im benachbarten Altona pachten.
Ja, in Altona hatten die Grafen von Holstein-Schaumburg früh Privilegien an Juden vergeben, die dänische Regierung führte das 1640 fort. Die ersten wirklichen Freiheiten sind den Juden daher in Altona verliehen worden. Auch wohnen durften in Hamburg nur wenige – die Schutzjuden, die dafür Abgaben zahlten.
War Hamburg ein Einzelfall?
74, Historiker, war bis zu seiner Emeritierung 2013 Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte am Historischen Seminar der Universität Hamburg mit dem Schwerpunkt Norddeutsche Regionalgeschichte.
Nein. Auch in Bremen und Lübeck durften nur wenige Juden wohnen. Die anderen siedelten sich in den – damals außerhalb gelegenen – Stadtteilen Lübeck-Moisling und Bremen-Hastedt an. Denn die Stadträte wollten die ärmeren Juden nicht in der Stadt haben. Oft mussten die „Schutzjuden“ dafür sorgen, dass ihre ärmeren Glaubensbrüder die Stadt abends verließen.
Waren auch die „Schutzjuden“ von Pogromen betroffen?
Ja, vor allem in Hamburg gab es mehrere größere Pogrome, die sich auch gegen wohlhabende Sepharden richteten. Dies war Ausdruck eines Antijudaismus, den vor allem lutheranische Geistliche in ihren Predigten befeuerten. Sie haben bis weit ins 18. Jahrhundert hinein weite Teile der Handwerker, des Kleinbürgertums und der bürgerlichen Mittelschicht beeinflusst. Der Antisemitismus, wie wir ihn heute verstehen – das Vorurteil, dass Juden eine Rasse seien – ist erst im 19. Jahrhundert entstanden.
„Judentum und Hansestädte in der Frühen Neuzeit“ von Franklin Kopitzsch: 25. Mai, 19 Uhr, Bremen, Wittheit zu Bremen / Haus der Wissenschaft
Und ab wann bekamen Juden mehr Rechte?
Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelten sich auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft verschiedene Strömungen: einerseits die strenggläubig Orthodoxen, andererseits diejenigen, die sich der Aufklärung zuwandten. In Altona und Hamburg kam es zu ersten Kontakten zwischen jüdischen Gelehrten und aufgeklärten Christen. In so genannten Aufklärungsgesellschaften debattierten sie darüber, ob Juden die Gleichberechtigung bekommen, sollten, ob man ihre Emanzipation vorantreiben sollte. In Deutschland wurde diese Diskussion vor allem durch Moses Mendelssohn und Lessing angestoßen.
Führte das zur dauerhaften Gleichberechtigung?
Zunächst nicht. Wirklich gleichberechtigt waren Juden nur in der „Franzosenzeit“, als Hamburg, Lübeck und Bremen zum französischen Empire gehörten. Nach Ende dieses Empires 1814/15 auf dem Wiener Kongress diskutierte man darüber, ob man den Juden ihre Rechte belassen sollte. Das haben dann vor allem die Vertreter Bremens und Lübecks verhindert. In der Folge mussten die meisten Juden Bremen und Lübeck wieder verlassen. Zur echten Gleichstellung kam es dann erst im Zuge der Revolution 1848/49.
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