„Praktikumsoffensive“ nach Corona: Praktisch verzweifelt
Berlin plant eine „Praktikumsoffensive“ post-Corona. Dass die Pflegebranche als erstes nach dem Nachwuchs ruft ist kein Zufall.
Als Kind lernt man meistens irgendwann, dass nicht alle Geschenke auch tatsächlich solche sind. Und je hübscher die Verpackung, desto genauer achte man auf den Inhalt. Die Berliner Bildungsverwaltung hat eine „Praktikumsoffensive“, und zwar für alle Schüler*innen, die in den vergangenen zwei Corona-Jahren „pandemiebedingt kein Praktikum absolvieren konnten“. Laut Bildungsverwaltung sind das etwa 3.000 bis 4.000 Kinder. Sie alle sollen sich bis Ende des Schuljahres Unternehmen als „potentielle, zukünftige Auszubildende präsentieren“ können.
Berufsorientierung ist immer gut, ein Praktikum ist wichtig, also ist diese Offensive natürlich richtig. Genausowenig ist es aber auch ein Zufall, dass ausgerechnet die „Berliner Pflegebranche“ zum Auftakt gleich mal bereitwillig 126 Praktikumsplätze zur Verfügung stellt, wie die Gesundheitsverwaltung mitteilt.
Der Pflegejob ist wohl so ziemlich das Härteste, was man sich gerade auf dem Arbeitsmarkt aussuchen kann – die einschlägigen Statistiken sind da immer wieder beeindruckend desillusionierend. Im gegenläufigen Trend zu anderen Ausbildungsberufen ist die Abbrecher*innenquote in der Pflegeausbildung zuletzt gestiegen, meldete das Statistische Bundesamt. Schuld sind laut Deutschem Pflegerat vor allem völlig falsche Vorstellungen von dem Job. Der Irrglaube vielleicht, dass man sich so um Menschen kümmern kann, dass man das Gefühl hat, man kann ihrer Hilfsbedürftigkeit gerecht werden.
Der Zorn des Personals
Die Realität ist eine andere, das weiß man auch längst: ein krasser Fachkräftemangel in der Altenpflege, chronisch unterbesetzte Stationen in den Krankenhäusern. In Berlin mündete der Zorn des Pflegepersonals in den landeseigenen Klinken 2021 in einen harten, am Ende erfolgreichen, Arbeitskampf für mehr Personal auf den Stationen.
Nun sind natürlich die Fachkräfte von morgen die Praktikant*innen von heute. Nur leider ist es eben nur der halbe Schritt, die Menschen in den Beruf zu bringen. Sie müssen auch dort bleiben und nicht nach ein paar Jahren schreiend das Weite suchen. Das wiederum ist natürlich die eigentliche Aufgabe der Politik, auch des rot-grün-roten Senats: Die Strukturen in der Pflege besser zu machen. Erst kürzlich hat ein breites Klinik-Bündnis eine Unterfinanzierung der landeseigenen Krankenhäuser im Haushaltsentwurf für die beiden kommenden Jahre angemahnt. Charité und Vivantes würden dadurch nur weiter angehalten, Personalmittel für Investitionsvorhaben zweckentfremden.
Nun gut, dafür kann die Bildungsverwaltung wiederum nichts. Sie hat Gutes im Sinn, wenn sie den coronageplagten Jugendlichen ein Praktikum angedeihen lassen will. Und dass der Pflegejob kein Geschenk ist, das können die Schüler*innen besser früher als später auch selbst feststellen. Etwas zynisch könnte man feststellen: Je höher der Fachkräftemangel, desto höher der Druck auf die Politik, etwas zu ändern.
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