Editorial von Andreas Rüttenauer: Champagner, Handball, Flüssiggas
Irgendwas mit Sylt ist immer. Die Insel ist so etwas wie der aus den Nordseewellen schaumgeborene Superpromi Schleswig-Holsteins. In dieser Woche ist es dort um das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr gegangen und die Angst vor einer Horde armer Schlucker, die damit anreisen könnten. Bei deren Anblick könnte den noblen Stammgästen auf Sylt die Lust auf Champagner glatt vergehen. So ungefähr. Eine Klatschgeschichte eben. Und sonst so? Jede Menge!
Da ist die CDU, die mit Ministerpräsident Daniel Günther an der Spitze überaus liberal daherkommt, auch wenn die Basis – auch im Landtag – immer noch bäuerlich-konservativ geprägt ist. Auch das wird es so schwer machen zu messen, wie viel Friedrich Merz in einem möglichen Wahlsieg der CDU wohl stecken mag. Mit der FDP und den Grünen jedenfalls ist Günther gut ausgekommen in der Koalition, so gut, dass die SPD mit ihrem Spitzenkandidaten Thomas Losse-Müller ganz weit weg ist von der Rückeroberung des Ministerpräsidentensessels.
Auch die Grünen in Schleswig-Holstein, die mit Monika Heinold zum ersten Mal explizit eine Ministerpräsidentinnenkandidatin ins Rennen geschickt haben, hinken hinterher. Dass sie der Republik mit Robert Habeck einen der populärsten Politiker geschenkt haben, wird der Partei wohl nicht gedankt werden. Zu Habecks Erbe als Landesminister für Energiewende, Umwelt und Landwirtschaft gehören gewiss die vielen Windkraftanlagen im Land. Und auch wenn die Windräder bisweilen stillstehen, weil die Leitungs- und Speicherkapazitäten mit dem Angebot an Strom aus Schleswig-Holstein nicht mithalten können, soll der energetische Weg nicht verlassen werden.
Nun müssen sich die Grünen angesichts der geopolitischen Verwerfungen dieser Tage damit beschäftigen, Flüssiggasterminals zu errichten. An Forderungen nach Waffenlieferungen an die Ukraine hat sich die grüne Basis gewöhnt. Aber ein Gasterminal? Schwierig.
Es sind besondere Probleme da oben, hoch im Norden. Da soll es doch tatsächlich Orte geben, an denen ein Junge zum Handball greift, wenn er von einer Karriere im Profisport träumt. Die Hauptstadt Kiel, die nicht als Perle gilt, sie kann auch glitzern. Und wer vermutet, dass der Zaun zwischen Dänemark und Deutschland nicht allein deshalb hochgezogen wurde, weil man im nördlichen Nachbarland die Schweinepest fürchtet, könnte gar nicht mal so falsch liegen. Seit 2015 ist die Grenzgängerei zum früher ach so hyggeligen Dänemark ganz anders geworden.
Nein, man muss nicht nach Sylt reisen, um etwas über Schleswig-Holstein zu erzählen. Man muss auch nicht die Stammkneipe von Wolfgang Kubicki aufsuchen. Das schon gar nicht.
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