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Hamburgs FDP in schwerer SeeEin Parteichef schlägt Haken

Hamburgs FDP versinkt im überwunden geglaubten Chaos. Schuld daran ist vor allem der Parteivorsitzende Michael Kruse.

Mit Zankapfel: Erst stritten FDP-Chef Michael Kruse und die Julis über die Coronabekämpfung Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg taz | „So gerne“: Als er vor ein paar Wochen auf dem Landesparteitag sprach, benutzte Hamburgs FDP-Chef Michael Kruse viel den Konjunktiv: „So gerne“ also hätte er mit den Parteifreundinnen und -freunden den Einzug in die Bundesregierung gefeiert, hätte berichten wollen vom „erfolgreichen Abschluss der Koalitionsgespräche“, den „tollen Fachsprecherrollen“. Von denen hat er selbst eine ergattert: Im Bundestag ist der studierte Volkswirtschaftler energiepolitischer Sprecher der Freien Demokraten, wirklich nicht unwichtig in diesen Tagen.

In Hamburg war Kruse seit 2017 Fraktionschef – bis die FDP dort 2020 an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte. Und verglichen mit jenem Jammertal, aber auch den früheren, teils erbittert geführten Streits innerhalb des Landesverbandes hätte er nun wirklich frohe Kunde zu bringen gehabt. Was dem im Weg stand? Der russische Angriff auf die Ukraine, der zu einer kurzfristigen Änderung des Parteitagsprogramms führte; aber auch parteiinterne Querelen, die eben doch kein reines Ding der Vergangenheit sind.

Ausgerechnet mit den Jungen Liberalen (Julis), in deren Bundesvorstand er selbst einst saß, hat sich Kruse dieser Tage in einen nicht ohne Weiteres zu verstehenden Streit verheddert. Den er, wenn es sowas denn gibt, am Ende verloren haben dürfte.

Streit um Coronapolitik

Der Auslöser: Kruse wollte juristisch dagegen vorgehen, dass Rot-Grün Hamburg zum Coronahotspot erklärt, um damit Pandemiemaßnahmen zu verlängern. So weit, so Freiheitspartei – hätte nicht Carl Cevin-Key Coste Einspruch erhoben, bis vor Kurzem Vorsitzender der örtlichen Julis, aber vor allem der rechtspolitische Sprecher der Hamburger FDP. Er nannte Kruses angekündigte Klage einer Rechtsstaatspartei nicht würdig und forderte, solche PR-Stunts doch der AfD zu überlassen. Die ist mit ihrem entsprechenden Eilantrag inzwischen gescheitert.

Womit die FDP sich der Versöhnung hätte zuwenden können: Costes juristische Bedenken scheinen nicht völlig frei von Relevanz. Aber mehr noch das Politische: Wen hätte es wohl überzeugen können, in so einer Sache hinter der AfD herzudackeln? Stattdessen enthob der Parteivorstand lieber den angeblichen Querulanten Coste seines Amtes.

Flotte Eskalation

Und in kürzester Zeit eskalierte die Sache weiter: Gleich gegen vier Julis wurden Schiedsgerichtsverfahren mit dem Ziel des Parteiausschlusses eingeleitet. Neben Coste traf es dessen Nachfolgerin an der Juli-Spitze, Theresa Bardenhewer, und ihre Vizes Nils Knoben und Gloria Teichmann.

Die Gegängelten holten sich prominente Unterstützung gegen die „politische Säuberung“: die Kanzlei von Ex-Bundesinnenminister Gerhart Baum, also DEM prominenten Vertreter eines Liberalismus-Verständnisses, das sich nicht erschöpft in der Ablehnung von Ladenschlusszeiten oder Autobahn-Tempolimit.

Kruse ist nun erkennbar darauf aus, die Sache einzuhegen: Mehrfach sprach er von seiner ausgestreckten Hand, wollte aber eine Entschuldigung hören, auch der Parteiausschluss der vier Julis wird nun nicht mehr verfolgt. Eine Entschuldigung verlangen aber auch die: Kruse solle öffentlich feststellen, „dass wir durch den Entzug der Mitgliedsrechte in diesen verletzt worden sind“.

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2 Kommentare

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  • Wieso sollte es denn einer "Rechtsstaatspartei" nicht würdig sein, dagegen zu klagen, dass sich ein Bundesland zum Corona-Hotspot erklärt? 14 von den 16 Bundesländern haben sich nicht zum Hotspot erklärt, und die meisten haben dies mit rechtlichen Bedenken begründet. Außer Hamburg hat sich nur Mecklenburg-Vorpommern zum Hotspot erklärt, und dort hat das Oberverwaltungsgericht dies für rechtswidrig befunden.

  • "... das sich nicht erschöpft in der Ablehnung von Ladenschlusszeiten oder Autobahn-Tempolimit."

    Sagt es. Sagt es immer wieder. Die FDP ist gekapert und zombifiziert worden.

    Nein, meine Partei war sie nie. Aber eine, die ich in der demokratischen Auseinandersetzung ernst nehmen konnte, das war sie mal.