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Rolle der FDP in AmpelkoalitionPlötzlich Schuldenkönig

Jasmin Kalarickal
Kommentar von Jasmin Kalarickal

Die Liberalen können in der Ampelregierung viel verhindern, aber wenig gestalten. Das zeigt sich besonders in der Person des Finanzministers.

Finanzminister Christian Lindner spricht im Bundestag Foto: Fabian Sommer/dpa

C hristian Lindner ist noch nicht lange Bundesfinanzminister, aber er hatte einen denkbar schwierigen Start. „Es gibt Wochen, die Dekaden prägen“, sagte er bei der IWF-Frühjahrstagung am Mittwoch in Washington. Keine konjunkturelle Erholung nach der Pandemie, hohe Inflation, hohe Lebensmittelpreise und Lieferkettenprobleme.

Der Angriffskrieg in der Ukraine hat die gekannte Ordnung auf den Kopf gestellt. Lindners Traum vom sparsamen Hüter der Finanzen, der den Linken auf die Finger schaut, hat sich in Luft aufgelöst. Dazu kommt: Der FDP-Chef wurde positiv auf das Coronavirus getestet – dabei steht am Wochenende der Bundesparteitag der Liberalen in Berlin an. Dort wird es vor allem um den Kurs der Partei zwischen Pandemie, Klimakrise und Ukrainekrieg gehen – Themen mit ausreichend Konfliktpotential.

Nicht nur, weil sich der FDP-Chef beim Streitthema schwere Waffen bislang auffällig zurückgehalten hat – während Po­li­ti­ke­r:in­nen von Grünen und FDP Bundeskanzler Olaf Scholz offen Führungsschwäche vorwerfen. Schwerer wiegt für ihn, dass er gegen alle Erwartungen zum Schuldenkönig wurde: 60 Milliarden Euro Nachtragshaushalt schob er an der Schuldenbremse vorbei in den Klima- und Transforma­tionsfonds, hinzu kommen 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr, zwei teure Entlastungspakete und Hilfen für die Ukraine. Lindner mag noch so oft beteuern, dass ab 2023 wieder die Schuldenbremse gilt. An diesem Vorhaben hängt mittlerweile ein großes Fragezeichen.

Zur Freude der Union: Beide Parteien buhlen um das konservative Bürgertum. Die Union klagte vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Umschichtung des Nachtragshaushalts. Wird das Vorgehen tatsächlich für verfassungswidrig erklärt, wird das vor allem den Finanzminister beschädigen. Dabei läuft es jetzt schon nicht gut für die Liberalen: 11,5 Prozent holten sie bei der Bundestagswahl, heute stehen sie in Umfragen bei 8 bis 9 Prozent. In einem Bündnis mit zwei linken Parteien dürfen sie ihr Profil nicht verlieren, gleichzeitig darf es nicht so wirken, als seien sie in der Opposition – ein Eindruck, der sich aber zuweilen aufdrängt.

Um handlungsfähig zu bleiben, baut die Ampel auf Teilerfolge statt Kompromisse. Das ist in erster Linie teuer

Alte Gewissheiten gelten gerade nicht mehr: SPD und Grüne verantworten Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet. Robert Habeck reiste nach Katar, um über neues Gas zu verhandeln, und die SPD macht eine Kehrtwende in ihrer Russlandpolitik. Die FDP hingegen bleibt beim Tempo­limit stur. Dieses wurde im Koalitionsvertrag auf Wunsch der FDP explizit ausgeschlossen. Dass SPD und Grüne dieses Fass wieder neu aufmachen, kann als Zeichen wachsenden Unmuts über den kleinsten Koalitionspartner gedeutet werden.

Dabei versprach die Ampel eine neue politische Kultur: Politik als gemeinsames Projekt, der Abschied vom Koch-und-Kellner-Prinzip, Vertraulichkeit. Doch von der Anfangseuphorie ist nur noch wenig übrig. Dass die Regierung bei grundlegend unterschiedlichen Auffassungen wenig handlungsfähig ist, zeigte sich besonders bei der Impfpflicht, die krachend scheiterte. Nur 5 von 92 FDP­le­r:in­nen stimmten für den von Ampel-Abgeordneten vorgelegten Gesetzentwurf. Die Ampel erweist sich als fragiles Konstrukt. Bei strittigen Fragen lässt sich schwer eine Mehrheit organisieren. Das Desaster könnte sich beim 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr wiederholen.

Auf den ersten Blick wirkt die FDP wie eine innere Blockade: Nein zu Steuererhöhungen, Nein zum Mietendeckel, Nein zur Maske, Nein zur Impfpflicht, Nein zum Tempolimit. Dafür ein unsinniger Tankrabatt, der auch unter Ökonomen umstritten ist. Die starke Vetomacht der FDP ist weniger Verhandlungsgeschick, sondern der Arithmetik der Ampel geschuldet. Dass die FDP Zugeständnisse braucht, um sich auf die erste Ampelkoalition auf Bundesebene einlassen zu können, war von Anfang an klar. Zudem musste sie harte Kompromisse machen: den Mindestlohn von 12 Euro etwa.

Um handlungsfähig zu bleiben, versucht sich die Ampel bei kontroversen Themen erst gar nicht an einem Kompromiss, bei dem sich alle drei Parteien aufeinander zubewegen. Sie setzt vielmehr auf Teilerfolge – zu beobachten beim zweiten Entlastungspaket: Die FDP hat den Tankrabatt durchgesetzt, die Grünen ein billiges Nahverkehrsticket, die SPD 300 Euro Lohnzuschuss. Es fehlt die übergeordnete Idee, die Ausgaben addieren sich. Damit ist die Politik der Ampel vor allem: sehr teuer.

Verhindern oder ermöglichen?

Das stellt die FDP vor besondere Herausforderungen. Beim ihr wichtigen Thema Finanzen kann sie nicht punkten. Aufgefallen ist sie bisher vor allem mit ihrem Lockerungskurs in der Corona­politik, der aber für Unmut bei den Koalitionspartnern und auch in der Bevölkerung sorgt. Die Partei wäre gut beraten, nicht in eine ähnliche Rolle wie in ihrer letzten Regierungszeit mit der Union 2009–2013 zu fallen – was bekanntermaßen für die Liberalen im Desaster endete. 2013 verpassten sie erstmals den Einzug in den Bundestag. Die Gründe dafür waren vielfältig: Profillosigkeit, interne Querelen und das Gebaren einer Oppositionspartei. Außer der umstrittenen Mövenpick-Steuer für Hoteliers blieb wenig in Erinnerung.

Das Problem der FDP ist aber: Sie kann in der Ampel verhindern, aber wenig gestalten. Etliche Projekte aus dem Koalitionsvertrag haben noch kein Preisschild – die Kindergrundsicherung oder das Bürgergeld etwa. Lindner wird priorisieren müssen, darf aber nicht die Geduld der Koali­tionspartner überstrapazieren. Wird er verhindern oder ermöglichen?

Christian Lindner ist sich der misslichen Lage offenbar bewusst. Als er jüngst erneuerbare Energien als „Freiheitsenergien“ bezeichnete, war das kein Versuch, grüner als die Grünen zu werden. Es war der Versuch, die eigene Klientel auf mehr Klimaschutz einzustimmen. Denn immer nur Nein sagen ist auf Dauer keine Option.

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Jasmin Kalarickal
Redakteurin
Jahrgang 1984, ist Redakteurin im Parlamentsbüro der taz.
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1 Kommentar

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  • Das kommt davon, dass wir uns den Posterboy einer Lobby in die Regierung geholt haben. Wann lernen wir?

    Und, oh, an all die, die jetzt sagen "ich habe den nicht gewählt": ich auch nicht (bin Ausländer). Dennoch frage ich mich, ob ich genug dazu beigetragen habe, andere zu überzeugen, diesen Fehler nicht zu machen.