piwik no script img

Prozess um Behilfe zur SelbsttötungUrteil gegen Suizid-Arzt bestätigt

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte lehnt die Beschwerde eines dänischen Mediziners ab. Es gäbe kein Recht auf assistierten Suizid.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Verurteilung am Dienstag bestätigt Foto: Imago

Freiburg taz | Die Verurteilung des dänischen Arztes Svend Lings wegen Beihilfe zur Selbsttötung hat seine Menschenrechte nicht verletzt. Das entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am Dienstag in Straßburg. Anders als in Deutschland ist es in Dänemark strafbar, einem anderen bei der Selbsttötung zu helfen.

Der inzwischen über 80-jährige Lings ist in Dänemark als „Selbstmord-Arzt“ bekannt. Auf seiner Webseite hat er einen 25-seitigen „Selbstmord-Leitfaden“ veröffentlicht, in dem er die aus seiner Sicht besten Methoden zusammenstellte. Das Handbuch ist nicht verboten und heute noch zugänglich.

Nachdem Lings 2017 in einem Radio-Interview von konkreten Fällen sprach, in denen er Todeswilligen half, verlor er allerdings seine ärztliche Zulassung und kann seitdem keine Medikamente mehr verschreiben.

Im Straßburger Verfahren ging es um die strafrechtliche Verurteilung von Lings zu einer Bewährungsstrafe von sechzig Tagen wegen Hilfe zum Suizid in zwei vollzogenen Fällen und einem versuchten Fall. Die Strafe wurde 2019 vom Obersten Gerichtshof Dänemarks bestätigt.

Kläger berief sich auf sein Recht auf Meinungsfreiheit

Im ersten Fall tötete sich ein Mann, der fast am ganzen Körper gelähmt war. Im zweiten Fall starb eine 85-jährige Frau, die lebensmüde war. Der gescheiterte Suizid betraf einen Mann, der an einer Nervenkrankheit litt. Die erforderlichen Medikamente besorgten sich die todeswilligen Personen nicht über Lings, sondern selbst, über Ehepartner oder über einen anderen Arzt.

Lings legte gegen das Strafurteil Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ein. Der EGMR ist das Gericht des Europarats, dem seit dem Ausschluss Russlands noch 46 Staaten angehören, von Island bis zur Türkei. Lings berief sich auf sein Menschenrecht der Meinungsfreiheit. Er habe den Sterbewilligen nur Tipps gegeben, die auch in seinem Suizid-Handbuch stehen.

Eine siebenköpfige Kammer des EGMR hat die Beschwerde des Arztes einstimmig abgelehnt. Das Strafurteil habe nicht seine Meinungsfreiheit verletzt. Denn er sei nicht für die Veröffentlichung des Suizid-Leitfadens verurteilt worden, sondern weil er konkreten Personen beim Suizid geholfen habe. In allen Fällen habe er gewusst, dass die Personen, denen er Informationen gab, sterbewillig waren.

Gericht: Es gibt keinen europäischen Konsens

Der EGMR betonte, dass es in der Europäischen Menschenrechtskonvention kein ausdrückliches oder implizites Recht auf assistierte Selbsttötung gebe. Es gebe auch keinen europäischen Konsens in dieser Frage. Nur in 6 der 46 Staaten des Europarats sei die Hilfe zur Selbsttötung erlaubt: Deutschland, Österreich, Italien, Estland, Finnland und die Schweiz.

Die von Dänemark strafrechtlich verfolgten Ziele – Schutz der Gesundheit, der Sittlichkeit und der Rechte anderer – seien legitim, so der EGMR. Die konkrete Strafe von 60 Tagen Freiheitsstrafe, auf Bewährung ausgesetzt, hielten die Straßburger Rich­te­r:in­nen für verhältnismäßig.

In Deutschland ist die Hilfe zur Selbsttötung traditionell straffrei. Allerdings stellte die Große Koalition ab 2015 die „geschäftsmäßige“ Suizidhilfe unter Strafe, um Organisationen wie Dignitas oder Sterbehilfe Deutschland zu bekämpfen. Suizidhilfe sollte keine normale Dienstleistung werden.

Dieses strafrechtliche Verbot wurde vom Bundesverfassungsgericht Anfang 2020 für nichtig erklärt, weil es unverhältnismäßig in das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eingreift. Seitdem berät der Bundestag über eine Neuregelung.

(Az.: 15136/20)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Artikel 1 GG, die Würde des Menschen ist unantastbar. Wenn ich als Mensch im Sinne des GG den freien und unabänderlichen Entschluss gefasst habe, Suizid zu begehen, und zwar im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und im vollen Bewusstsein über die Konsequenzen, warum soll ich dann gezwungen sein, das in würdeloser und schmerzhafter Form machen zu müssen? Warum kann ich da nicht auf die Hilfe von Menschen zurückgreifen, die die Qualifikation haben, mir ein Sterben in Würde zu ermöglichen?