Mord an Frederike von Möhlmann 1981: Wiederaufnahme von Prozess möglich

Für einen neuen Prozess im Mordfall von Möhlmann änderte der Bundestag das Gesetz. Rich­te­r:in­nen gaben nun grünes Licht für einen neuen Anlauf.

Prozessakten

Prozessakten zum Mordfall Frederike von Möhlmann liegen im Gerichtssaal des OLG Celle Foto: Peter Steffen/dpa/picture alliance

FREIBURG taz | Das Wiederaufnahmeverfahren im Mordfall Frederike von Möhlmann hat eine wichtige Hürde überwunden. Das Oberlandesgericht (OLG) Celle hat keine verfassungsrechtlichen Einwände gegen das neue Verfahren. Der 32-seitige Beschluss des OLG wurde am Mittwochnachmittag veröffentlicht. Das spektakuläre Tötungsdelikt wird also wohl bald neu aufgerollt.

Frederike von Möhlmann war 17, als sie 1981 mit mehreren Messerstichen getötet wurde. Zuvor hatte sie der Täter vermutlich vergewaltigt. Verdächtigt wurde der damals 22-jährige Ismet H.

An der Kleidung des Opfers fanden sich mehrere Faserspuren, die zu den Sitzfellen und anderen Textilien in H.s. Pkw passten. H. wurde zunächst vom Landgericht Lüneburg wegen Mordes verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch wieder auf. In einem zweiten Prozess am Landgericht Stade wurde H. 1983 freigesprochen. Die Faserspuren genügten nicht als Beweis.

Doch 2012 konnte eine Sekretspur vom Tatort per DNA-Analyse Ismet H. zugeordnet werden. Ein neuer Prozess war aber nicht möglich, da H. bereits rechtskräftig freigesprochen worden war. Hans von Möhlmann, der Vater des Opfers, startete daher eine Petition, um in solchen Fällen eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu ermöglichen. Fast 200.000 Menschen unterschrieben.

Massive Kritik an der Gesetzesänderung

2021 hatte von Möhlmann Erfolg. Die große Koalition aus CDU/CSU und SPD änderte tatsächlich die Strafprozessordnung und führte einen neuen Wiederaufnahmegrund ein. Wenn „neue Beweismittel“ auftauchen und nun „dringende Gründe“ für eine Verurteilung sprechen, kann ein Verfahren auch „zu Ungunsten“ des Angeklagten wiederaufgenommen werden.

Die Kritik an dieser Änderung war massiv. Die damalige Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) hielt sie für verfassungswidrig. Denn im Grundgesetz heißt es: „Niemand darf wegen der selben Tat zweimal bestraft werden“. Traditionell wird dies so ausgelegt, dass auch nach einem Freispruch keine erneute Anklage möglich ist. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnete Ende 2021 das Gesetz nur mit ausdrücklichen Bedenken. Auch der neue Justizminister Marco Buschmann (FDP) hat verfassungsrechtliche Zweifel.

Wie erwartet wurde der heute 63-jährige Ismet H. im Februar verhaftet und sitzt seitdem in U-Haft. Die Staatsanwaltschaft Verden beantragte die Wiederaufnahme des Verfahrens, das Landgericht Verden hielt den Antrag für zulässig. Die Anwälte von Ismet H. legten jedoch Beschwerde ein. Darüber entschied nun das OLG Celle.

Das OLG Celle hält die Neuregelung für verfassungskonform und legte den Fall daher nicht dem Bundesverfassungsgericht vor. Das Verbot der Doppelverfolgung sei nicht absolut, so die Richter:innen. Um andere Verfassungswerte zu verwirklichen, wie die Schaffung „materieller Gerechtigkeit“, könne das Verbot vom Gesetzgeber durchbrochen werden. Schließlich sei laut Gesetz schon seit Jahrzehnten eine Wiederaufnahme möglich, wenn ein freigesprochener Angeklagter die Tat später doch gesteht.

Die Celler Rich­te­r:in­nen haben auch keine Sorge vor einem „Dammbruch“ und immer neuen Aufweichungen des Verbots der Doppelverfolgung. Dies sei reine Spekulation. Die jetzige Reform sei jedenfalls verhältnismäßig, weil sie auf wenige schwerste Delikte begrenzt ist: Mord, Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Auch „dringende Gründe“ für eine Verurteilung von Ismet H. hält das OLG für gegeben. Es wies das Argument von H.s Verteidiger Johann Schwenn zurück, dass 1981 vermutlich gar keine Vergewaltigung stattgefunden habe, da es keine Spuren von Gewaltanwendung gab. H. hätte deshalb die junge Frau – falls er der Täter sein sollte – nicht zur Verdeckung einer Straftat getötet, sondern vielleicht, weil sie ihn als Türken beleidigt hatte, so Anwalt Schwenn. Das aber wäre ein Totschlag, kein Mord.

Dieser Argumentation folgten die Rich­te­r:in­nen nicht. Es sei fernliegend, dass die schüchterne und unerfahrene Frederike von Möhlmann mit einem Autofahrer, der sie mitnimmt, sofort einvernehmlichen Sex gehabt habe. Für eine Vergewaltigung sei es auch nach damaligem Recht nicht erforderlich, dass der Täter Gewalt anwendet, es genügte die Drohung mit Gewalt, so das OLG.

Die Anwälte von Ismet H., der wegen Fluchtgefahr weiter in Untersuchungshaft bleiben muss, wollen nun Verfassungsbeschwerde einlegen. Doch diese hat keine aufschiebende Wirkung.

Als nächster Schritt muss das Landgericht Verden endgültig über die Wiederaufnahme entscheiden. Wenn es dem Antrag der Staatsanwaltschaft stattgibt, womit zu rechnen ist, wird der Mordprozess gegen Ismet H. 41 Jahre nach der Tat neu aufgerollt, mit Zeug:innen, mit Sachverständigen, mit Gutachten – und einem neuen Urteil.

Aktualisiert und korrigiert am 21.04.2022 um 13:00. Der Anwalt des Beschuldigten mutmaßt, dass das Opfer den Beschuldigten – so er denn Täter war – beleidigt haben könnte weil dieser aus der Türkei stammt und nicht wegen dessen Körper, wie es im Text zunächst fälschlich hieß. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. d. R.

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