Berliner Verein evakuiert Flüchtlinge: „Moldawien ist überfordert“

Der Verein „Be an Angel“ holt ukrainische Geflüchtete aus Moldawien mit privaten Charterbussen aus dem Land. Gründer Andreas Tölke erzählt, wie.

Geflüchtete am Grenzübergang in Palanca – Moldawien, Anfang März Foto: dpa

taz: Herr Tölke, wo sind Sie gerade?

Andreas Tölke: Im Moment bin ich für vier Tage in Berlin, dann fahre ich wieder nach Kischinau, das ist die Hauptstadt vom Moldawien.

Was machen Sie da?

Wir von „Be an Angel“ evakuieren aus der Ukraine geflüchtete Menschen nach Deutschland – und das täglich, seit dem 4. März. Dafür haben wir Reisebusse gechartert.

hat 2015 „Be an Angel“ gegründet. Der Verein hilft Geflüchteten, in Berlin Fuß zu fassen, hilft bei Ämtergängen, Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche. Im Restaurant „Kreuzberger Himmel“ des Vereins arbeiten nur Geflüchtete. Infos und Spendenmöglichkeit unter www.beanangel.direct/spenden.

Damit fahren Sie zur Grenze und fragen: Wer will nach Deutschland?

Das System ist ein bisschen anders: Wir bekommen Listen von der moldawischen Regierung. Die hat in der Hauptstadt sechs zentrale Lager, zum Beispiel in einem Fußballstadion, aufgebaut mit einer Kapazität von je 800 Menschen und dazu noch 26 Satelliten-Lager in ganz Moldawien verteilt mit einer Kapazität von jeweils 200 bis 300 Menschen.

Und die sind voll mit Flüchtlingen?

Ja, das kleine Moldawien mit seinen 2,6 Millionen Einwohnern hat bislang 320.000 Menschen aufgenommen, die mehr oder weniger lange im Land geblieben oder noch da sind. Aber damit ist man hier völlig überfordert, das ist ein richtig armes Land. Das Durchschnittseinkommen beträgt 600 Euro, das Sozialsystem ist, sagen wir mal, gerade im Entstehen. Und die Armut wird noch größer werden: Die Energiepreise explodieren hier durch den Krieg.

Wie nah ist der Krieg von der moldawischen Hauptstadt aus?

Von der Hauptstadt zur ukrainischen Grenze sind es zwei Autostunden, Odessa ist 20 Autominuten hinter der Grenze. Es gab eigentlich drei Grenzübergänge, aber die Russen haben einen bombardiert, da war eine Brücke über einen Fluss, die ist jetzt im Eimer. An den zwei verbliebenen Wegen stauen sich die Menschen bis zu 24 Stunden, weil die Grenze von 7 Uhr abends bis 7 Uhr morgens geschlossen ist.

Und dann?

Die meisten kommen jetzt am Grenzübergang Palanca im Süden auf die moldawische Seite. Von dort hat die Regierung einen sehr unregelmäßigen Shuttleverkehr in die Hauptstadt eingerichtet, ein bisschen auch von uns unterstützt. Zwei Kilometer von der Grenze entfernt, die muss man zu Fuß gehen, gibt es ein kleines Zeltlager zum Aufwärmen und zur Erstversorgung, auch von da gibt es Shuttles in die Hauptstadt. Dort kriegen wir von der Regierung die Information, wer nach Deutschland will und dafür die nötigen Papiere hat. Wir fahren die Unterkünfte ab, holen die Leute und fahren los.

Wie verteilen Sie sie in Deutschland?

Wir haben im Berliner Büro eine Koordinatorin, sie bekommt von uns aus Moldawien die Infos, wann Busse losfahren, mit wie vielen Menschen. Dann hat sie 36 Stunden Zeit – so lange dauert die Fahrt –, um Aufnahmemöglichkeiten zu finden. Sie telefoniert also unser Netzwerk ab, von Würzburg bis Bremen, quer durch die Bundesrepublik. Teilweise sind es Aufnahmelager wie in Gießen, teilweise sind es Privatpersonen, die zum Beispiel in Koblenz selber ein Helfer*innen-Netzwerk haben. Sie nehmen dann auch mal einen ganzen Bus in Empfang und verteilen die Leute auf Familien.

Sie haben also inzwischen ein Netzwerk aus privaten und staatlichen Ansprechpartnern in ganz Deutschland?

Genau, so etwa halb und halb. Das Problem ist, dass sich dauernd die Kapazitäten ändern. Das heißt, wir müssen tagesaktuell abfragen: Wer kann aufnehmen? Das ist eine echte Herkulesaufgabe!

Wie machen Sie das, mit Ehrenamtlichen?

Genau. Wir haben in Berlin vier Leute als harten Kern, die suchen Unterkünfte, verwalten die Spendengelder, machen Öffentlichkeitsarbeit. Wir brauchen ja Spenden für all das, jeder Bus kostet zwischen 5.000 und 7.000 Euro, bis Flensburg ist es viel teurer als bis München. Wir haben jetzt noch Kapazitäten für 30 Tage.

Und in Moldawien?

In Kischinau sind wir zu dritt. Außer mir ist dort ein Deutscher und ein ehemaliger russischer Offizier, der Russisch, Moldawisch und Ukrainisch spricht. Wir arbeiten wie gesagt mit der Regierung zusammen, die wurde vor Kurzem neu gewählt. Es ist die erste nichtkommunistische Regierung, wahnsinnig ambitioniert, ganz, ganz tolle Leute. Und wir arbeiten zusammen mit einer NGO aus der Ukraine, die in Moldawien aktiv ist, und mit Team Humanity.

Wer ist das?

Das ist eine Organisation, die 2015 mit Flüchtlingshilfe auf den griechischen Inseln gestartet ist. Die Leute von Team Humanity fahren bis nach Odessa, holen besonders gefährdete, kranke Menschen ab und fahren sie nach Kischinau. Vor ein paar Tagen haben sie einen russischen Angriff auf ihren Konvoi erlebt. Wir bringen die Leute nach ein paar Tagen Verschnaufpause weiter nach Deutschland. Insgesamt muss man leider sagen, dass wir hier quasi die Einzigen sind, die helfen. Moldawien ist mit der Versorgung der Flüchtlinge völlig allein gelassen. Alle schauen nach Polen oder Rumänien, hierher schaut niemand!

Außenministerin Annalena Baerbock war doch da.

Ja, sie war hier und hat annonciert, dass Deutschland eine Luftbrücke macht und 2.500 Leute rausholt. Ist da schon was passiert? Das haben wir erledigt: wir als kleine NGO. Wir haben einfach mal 2.500 Leute rausgeholt. Alles über Spenden finanziert, alles selber organisiert.

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