piwik no script img

Stand der KlimaforschungDie Welt am Scheideweg

Die Energiewende geht global viel zu langsam voran, zeigt ein neuer Bericht des Weltklimarats. Es gibt aber auch Fortschritte.

Die Welt geht bade: Freizeitidyll nahe dem Kohlekraftwerk Boxberg Foto: Stefanie Loos

Berlin taz | Ja, erneuerbare Energien sind in den vergangenen Jahren besser und billiger geworden, und Klimaschutz ist in aller Munde. Eigentlich sollte die Senkung der erderhitzenden Treibhausgas-Emissionen kein umstrittenes Thema mehr sein, aber sie ist es eben doch.

„Wir haben das fossile Zeitalter leider immer noch nicht hinter uns gelassen“, sagte der Umweltökonom Jan Christoph Minx vom Berliner MCC-Institut. Zusammen mit Hunderten Kol­le­g:in­nen hat er an einem neuen Bericht des Weltklimarats IPCC gearbeitet, der am Montag erschienen ist. Minx war dabei Leitautor eines Kapitels über Trends der globalen Emissionen.

Darin ist zu lesen: Die globalen Emissionen sind im vergangenen Jahrzehnt, also von 2010 bis 2019, weiter gestiegen, wenn auch langsamer als im Jahrzehnt davor. „Wir zeigen, dass die Dekarbonisierung der Energie viel zu langsam voranschreitet“, sagte Minx. Dekarbonisierung bedeutet, etwas CO2-frei zu gestalten, also zum Beispiel den Umstieg von Kohle- und Gaskraftwerken auf Windräder und Solaranlagen.

Der geht aber deutlich zu langsam. „In 2-Grad-Szenarien erfolgt die Energiewende etwa zehnmal schneller, als wir das zwischen 2010 und 2019 beobachtet haben“, meint Minx. Von den Szenarien, in denen die Welt sich gegenüber vorindustriellen Zeiten bis zum Ende des Jahrhunderts nur um 1,5 Grad aufheizt, ganz zu schweigen. Dafür müsse es bei der Energiewende weltweit 25-mal schneller gehen, sagt der Umweltökonom.

Es wird gefährlich

Die Welt ist also absolut nicht dabei, ihre klimapolitischen Ziele zu erreichen. Im Pariser Weltklimaabkommen haben alle Regierungen versprochen, die Erhitzung der Erde bei 2 Grad zu begrenzen, möglichst sogar bei 1,5 Grad.

Mit jedem Zehntelgrad Erd­er­hitzung wird die Welt gefährlicher. Das gilt vor allem für diejenigen, die geografisch gesehen in besonders betroffenen Regionen leben, und diejenigen, die wenig Geld haben, um mit den Folgen der Klima­krise umzugehen. Diese hat das Potenzial, Orte unbewohnbar machen, weil es zum Beispiel draußen zu heiß ist für Menschen, weil durch Dürren Hungersnöte herrschen oder die Ozeane ganze Landstriche verschluckt haben.

Die neue Veröffentlichung des Weltklimarats ist Teil 3 eines vierteiligen Berichts. Das Gesamtwerk soll den aktuellen Kenntnisstand der Menschheit zur Klimakrise abbilden. Es ist der sechste große Bericht dieser Art. Alle paar Jahre kommen dafür Hunderte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen aus aller Welt zusammen und werten alle relevanten Studien aus, weitere Tausende Ex­per­t:in­nen begutachten das Ergebnis.

Der erste Teil befasst sich mit den physikalischen Grundlagen des Klimawandels, der zweite mit dessen Folgen. Im dritten Teil geht es um Klimaschutz – also um Strategien, die Emissionen zu senken. Das ist der aktuelle Bericht. Der vierte Teil wird später alle vorherigen zusammenbringen. Zuletzt gab es 2014 einen solchen Rundumschlag.

Es gibt auch positive Entwicklungen

Seitdem hat sich allerdings nicht alles zum Schlechteren gewandt. „Wir zeigen auch auf, dass es Anzeichen für Fortschritte gibt“, sagte Umweltökonom Minx. Da wäre erst einmal die Tatsache, dass das Wachstum der Emissionen sich global zumindest verlangsamt hat. In manchen Teilen der Welt geht es aber auch schon bergab, also im guten Sinne.

„Es gibt Länder, die ihre Emissionen jetzt schon länger als zehn Jahre immer gesenkt haben“, so der Experte. „Es gibt auch technologische Entwicklungen, die besser verlaufen, als selbst Ex­per­t:in­nen das gedacht haben.“ Windräder, Solaranlagen und Batterien stehen zur Verfügung, seit 2010 sind die Kosten dafür sogar um bis zu 85 Prozent gesunken.

Fehlende Technologien sind also nicht das Problem. „Es gibt noch 1,5-Grad-Pfade, aber dafür müssen wir einiges tun“, sagt Minx. „Wenn wir beherzt in diese Richtung losmarschieren, dann steckt da noch viel Musik drin.“

Um das 1,5-Grad-Ziel noch zu schaffen, müsste es eine dramatische Abwärtsentwicklung der Emissionen geben, und zwar sehr bald. Der globale Höhepunkt beim CO2-Ausstoß müsste 2025 erreicht sein, schon bis 2030 müssten sich die Emissionen fast halbiert haben, um rund 2050 praktisch bei null zu liegen.

Was dann noch an Emissionen übrig ist, muss der Atmosphäre wieder entzogen werden – entweder durch natürliche Faktoren wie Wälder und Moore, oder aber durch Technologien, die bisher im großen Stil kaum erprobt sind.

In einem gewissen Ausmaß ist das laut Wissenschaftler Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Leitautor des entsprechenden Kapitels im aktuellen Bericht, nicht mehr zu verhindern. „Es ist bislang untergegangen in der politischen Debatte, dass wir eigentlich schon Ja zur CO2-Entnahme gesagt haben, wenn wir Netto-Null-Emissionen versprochen haben“, so Geden. Und das haben die meisten Länder, auch Deutschland.

Der Bericht wurde im Übrigen deutlich später fertig als ursprünglich geplant – oder zumindest die Kurzfassung, die die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen stets gemeinsam mit Re­gie­rungs­ver­tre­te­r:in­nen erarbeiten. Der Weltklimarat ist kein rein wissenschaftliches Gremium, sondern ein zwischenstaatliches Projekt.

Die Berichte selbst darf die Politik zwar nicht anrühren, aber bei den Zusammenfassungen wird um Formulierungen gerungen, auch wenn die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen im Zweifel das letzte Wort haben. Auch die Zusammenfassung ist also auf jeden Fall wissenschaftlich gedeckt, aber der genaue Wortlaut steht zur Debatte.

Die Regierungen versuchen durchaus, das zu nutzen, um ihre eigenen Strategien in ein gutes Licht zu rücken. Da die Interessen der verschiedenen Länder aber teils konträr sind, wird darüber sehr gestritten. So auch diesmal: Eigentlich hätten diese ohnehin mehrwöchigen Beratungen am vergangenen Freitag abgeschlossen sein sollen, stattdessen wurde das Wochenende durch verhandelt. Statt Montagmorgen erschien das Dokument dann erst am späten Nachmittag.

Jetzt ist das Ergebnis also da: „Wir stehen am Scheideweg“, sagte Weltklimaratschef Hoesung Lee. „Die Entscheidungen, die wir jetzt treffen, können eine lebenswerte Zukunft sichern – wir haben das Werkzeug und das Know-how.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • Vier Monate ist Bearbock im Amt, statt Tempolimits auf deutschen Straßen gibt es jetzt einen Freifahrtschein für Schwere Waffen wie selbstfahrende Haubitzen in die Ukraine, und in Zukunft wohl in alle Welt... Wer glaubt mit den Grünen würde sich gesellschaftlich etwas ändern wurde wohl nun eines besseren belehrt.

  • Es interessiert nicht alle (viel zu wenige), und die Gleichgültigkeit dem Thema gegenüber ist immer noch beeindruckend groß. Ein Einsehen auf breiter Front (weltweit) ist nach wie vor viel zu wenig in Sicht. Die Unvollkommenheit des Homo Sapiens tritt hier offen zu Tage. In meinen Augen ist das Thema durch.

    • @dator:

      Kann ich nur zustimmen. Das Thema ist durch. Lieber auf andere Themen konzentrieren, wo sich was bewegt.

  • Wir müssen mit gutem Beispiel vorangehen. Nicht zum Zwecke der Selbstbeweihräucherung sondern beispielgebend für andere Länder.



    Hilfsgelder sollten hier u.a. an erreichte Klimaziele gekoppelt werden.

    Beispiel Südafrika



    "Bislang gewinnt das Land 90 Prozent der Energie aus Kohle. Es verbrennt davon jedes Jahr rund 17 Millionen Tonnen – mit steigender Tendenz. Um eine halbwegs sichere Energieversorgung für die nächsten Jahre zu gewährleisten, wurden zwei stillgelegte Kohlekraftwerke kürzlich wieder in Betrieb genommen und weitere Kohlevorkommen erschlossen.



    Das Potential für die Nutzung erneuerbarer Energien ist hoch. Südafrika hat 300 Tage intensive Sonneneinstrahlung im Jahr.



    www.dandc.e"

    Beispiel Vietnam



    Scheint bei den Erneuerbaren auf dem Vormarsch zu sein.



    Einspeisevergütung als Treiber des Solarbooms

    "Zurückzuführen ist die solare Erfolgsgeschichte in Vietnam wohl in erster Linie auf einen Marktmechanismus, der uns in Deutschland nicht ganz unbekannt ist: die Einspeisevergütung. www.energiezukunft...t-einen-solarboom/"



    Gleichzeitig hört man aber, dass Vietnam wieder verstärkt auf Kohle setzt. Die haben eigene Vorräte.