Fairer Supermarkt in Berlin-Wedding: Einkaufen im eigenen Geschäft
Bei der SuperCoop im Wedding arbeiten alle Kund*innen mindestens drei Stunden im Monat mit. Zugleich sind sie auch Inhaber*innen des Ladens.
Rund 2.000 Artikel führt der Laden in den Osram-Höfen – frisches Gemüse aus Brandenburg, Ostmost-Schorle und Kaffee von der wenige Kilometer entfernten Rösterei Flying Roasters, aber auch eine gute Auswahl französischer Weine und Klopapier. Der Großteil der Produkte ist bio, doch es gibt auch konventionelle Nudeln für 79 Cent. Etwa 800 Leute gehören bereits zur Genossenschaft.
Wer Mitglied werden und hier einkaufen will, zahlt einmalig 100 Euro und verpflichtet sich, drei Stunden im Monat mitzuarbeiten. Dafür sind Biogemüse und -obst billiger als bei Alnatura und Biocompany, und jeder kann vorschlagen, was noch ins Sortiment aufgenommen werden soll. An der großen Tafel am Eingang hängen lange Strichlisten für gewünschte Produkte.
SuperCoop hat im September eröffnet. Das älteste Vorbild des Ladens steht seit fast 50 Jahren in New York, Britta Sembach hat dort ein paar Jahre lang mitgearbeitet und eingekauft und steht nun auch im Wedding ab und an an der Kasse.
Der erste Mitmach-Supermarkt steht in New York. 1973 wurde die „Park Slope Food Coop“ in Brooklyn eröffnet. Das Prinzip: Wer einkaufen will, muss mitarbeiten. Zu kaufen gibt es frisches Gemüse von kleinen Farmen aus dem Hudson Valley, guten Käse, aber auch Yogamatten oder andere Dinge zu vergleichsweise günstigen Preisen. Die Genossenschaft hat inzwischen 17.000 Mitglieder aus allen Gesellschaftsschichten, auch weil Lebensmittel in New York ansonsten extrem teuer, in viel Plastik verpackt und häufig von schlechter Qualität sind.
Nach Europa kam die Idee vor knapp zehn Jahren. 2014 eröffnete „La Louve“ in Paris. Inzwischen gibt es in Frankreich und Belgien weitere Läden, im vergangenen Jahr eröffneten in München und Berlin die ersten in Deutschland, in Hamburg und Köln gibt es Initiativen. Nachdem eine Initiativgruppe 2019 einen Dokumentarfirm in Berlin gezeigt hatte, schlossen sich etwa 40 Menschen zu einer Genossenschaft zusammen und übten erst einmal im Kleinen mit einem Bestellsystem und wöchentlicher Abholung. Im September 2021 machte dann der Laden in der Oudenarder Straße im Wedding auf, wo es demnächst 4.000 Artikel zu kaufen gibt. (aje)
„Die Park Slope Food Coop war für mich der wichtigste Ort in meiner USA-Zeit: eine soziale Institution, wie ein Dorf in der Stadt“, schwärmt sie. Nicht nur habe sie dort viele Menschen jenseits ihrer Blase kennengelernt. Zu wissen, dass ihr Salat ein paar Blöcke weiter auf einem Dach gewachsen sei oder der Hummus von einem arabischen Produzenten um die Ecke stamme, hat ihr ebenfalls gefallen. „Auch hier bei der SuperCoop muss ich mir keine Gedanken machen, ob das Shampoo vielleicht Mikroplastik enthält“, sagt die 53-Jährige.
Eugénie Wateau ist eine der vier jungen Frauen, die die SuperCoop organisieren. Es ist kühl im Laden, sie hat ihre Jacke anbehalten und sitzt am improvisierten Schreibtisch in der Nähe des Eingangs. „Als wir angefangen haben, hatte keine von uns Ahnung vom Lebensmittel-Einzelhandel,“ sagt die 30-Jährige, die bei Paris aufgewachsen ist. Was alle teilten, war die Überzeugung, dass es dringend eine sozialökologische Transformation braucht. Dazu zählen faire Preise für Landwirt*innen sowie Produkte, die weder die Gesundheit der Herstellenden noch die Erde ruinieren.
Zugleich sind die vier aber auch Überzeugungstäterinnen in puncto Inklusion. Auf keinen Fall wollten sie einen Hipster-Shop aufbauen und der Gentrifizierung Vorschub leisten. Ganz bewusst haben sie sich für den Wedding als Standort entschieden. Wer möchte, kann den Genossenschaftsanteil in Raten zahlen; ein paar Mitglieder sind bereit, das Beitrittsgeld für eine andere Person zu übernehmen. Sich von den drei Stunden Mitarbeit im Monat freizukaufen ist aber ausgeschlossen.
Viele Mitglieder arbeiten deutlich mehr. Zum Beispiel Nina Bender. Neben ihrer Schicht am Samstagmorgen engagiert sich die Grafikdesignerin in der Arbeitsgruppe, die sich um Diversität kümmert. „Es darf kein Privileg sein, sich gut zu ernähren“, sagt Bender. Die AG hat Flyer in mehreren Sprachen verfasst und überlegt, wie Menschen mit wenig Geld der Einkauf ermöglicht werden kann. Nina freut sich, in der SuperCoop mit Leuten zusammenzuarbeiten, die sie sonst nie kennengelernt hätte. Und sie ist stolz, dass nun Lupinenkaffee im Angebot ist, den sie selbst vorgeschlagen hatte.
Die Rechnung bei der SuperCoop ist transparent: Auf alle frischen und unverpackten Produkte werden 26 Prozent aufgeschlagen, auf Haltbares 23 Prozent. Diese Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis finanziert die Miete sowie die Löhne von vier Vollzeitkräften und einem Minijobber. Gerade läuft eine Kampagne, um Geld für die nächste Phase des Ladens zu sammeln. „Nur als Vollsortimenter haben wir auf Dauer eine Chance“, sagt Johanna Kühner, die sich um die Finanzen kümmert. Sie kalkuliert konservativ und kann auf Erfahrungen von Läden in Frankreich zurückgreifen. „Die haben ihre Bücher ganz solidarisch für uns geöffnet“, erzählt die 24-Jährige. Ziel ist, dass die SuperCoop Ende kommenden Jahres mindestens 1.700 Mitglieder hat, die für 110 Euro im Monat einkaufen – dann sind die Kosten gedeckt.
Derzeit misst der Laden 250 Quadratmeter, und es gibt kaum Lagerfläche. Das wird sich im Mai ändern. Gerade legen Handwerker in den 700 Quadratmeter großen Räumen nebenan neue Kabel, bald werden SuperCoop-Mitglieder hier Wände ziehen. Stephan Fiedler eilt durch die leere Halle und zeigt, wo sich demnächst das Mitgliederbüro, die Kinderspielecke, Kühl- und Lagerräume befinden werden.
Wenn sich der Rentner nicht um seine 14 Enkelkinder kümmert, taucht er mehrfach pro Woche in der SuperCoop auf. Er hat errechnet, welche Wärme die Kühlschränke und -truhen abgeben, wie oft die Fenster geöffnet werden müssen und dass es im Hochsommer kritisch wird mit Temperatur und Frischluft. Im Laden tippt er auf eine kleine Metallröhre in der Größe eines Tischfeuerwerks. Ein grünes Licht leuchtet auf und sein Smartphone zeigt ebenfalls an, dass die Raumluft okay ist. „Ab und zu hab ich schon mal angerufen und gesagt, dass jemand das Fenster aufmachen muss“, berichtet der 63-Jährige, der früher an Planungen für Fabriken und Büros beteiligt war.
„Fans von solidarischen Systemen“
„Wir sind Fans von solidarischen Systemen“, erklärt Marie Populus. Zucker, Schokolade und Apfelsinen bezieht die SuperCoop über die Genossenschaft Ethiquable in Neukölln, die faire Bioprodukte von Kooperativen in Asien, Afrika und Lateinamerika vertreibt. Gemüse kommt möglichst von regionalen Bauern. „Mit Tiny Farms in Müncheberg habe ich einen Anbauplan für dieses Jahr verhandelt, wir tragen auch einen Teil des Risikos“, erzählt Populus.
Zugleich räumt die Frau mit BWL- und Landwirtschaftspolitik-Studium ein, dass sie den Logistik- und Kommunikationsaufwand für die Beschaffung aus unterschiedlichen Quellen unterschätzt hat. So bestellt die SuperCoop einen erheblichen Teil des Sortiments beim Biogroßhändler Terra. Konventionelle Ware liefert das französische Handelshaus Agidra, weil in Deutschland keine praktikable Alternative zu finden war.
„Vieles ist noch nicht perfekt, wir brauchen Geduld“, sagt die 36-Jährige. Schließlich müssen erst neue Strukturen entstehen auf einem Markt, der zu 85 Prozent von Aldi, Rewe, Edeka, Lidl und seinen Tochterunternehmen beherrscht wird. Die SuperCoop verfolgt das Ziel, neue Wertschöpfungswege zu etablieren und so den Weg für weitere Läden zu bereiten.
„Wir haben aber nicht vor, selbst 20 Filialen in Berlin aufzubauen, sondern möchten unser Wissen mit anderen teilen“, stellt Populus klar. Schließlich geht es nicht um Profit, sondern um eine sozialökologisch verantwortungsvolle Versorgung – und um Spaß, Gemeinschaft und Lebensqualität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen