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Der Krieg am Brandenburger TorScheinheilige Lichtspiele

Auch das Brandenburger Tor leuchtet in Blau-Gelb. Die Frage lautet nicht, wann der Projektor eingeschaltet wird, sondern wann er aus bleibt.

Blau-gelbe Solidarität am Tor Foto: Paul Zinken/picture alliance/dpa

J edes einzelne Zeichen der Solidarität ist derzeit wichtig, aber auch der Krieg in der Ukraine beweist es mal wieder: Die Auswahl der Länder, deren Farben aufs Brandenburger Tor geworfen werden, bleibt – sagen wir mal – unausgewogen. Wobei sie nicht mal konsequent eurozentrisch oder westzentriert erfolgt. Das wäre immerhin ehrlich, wenn auch gehörig bäh! Stattdessen macht es das Land Berlin genauso wie wir im Privaten auch. Wir propagieren die weltweit ach so unteilbaren Werte der Freiheit und Demokratie, ignorieren aber die meisten Orte, wo sie militant missachtet werden. Dafür steht die Berliner Projektionsfläche sinnbildlich.

Die Frage lautet nicht, wann der Projektor eingeschaltet wird, sondern wann er aus bleibt. Hat eigentlich jemand mal die Farben des Jemen am Brandenburger Tor gesehen? Die Kenias oder Nigerias, wo islamistische Milizen regelmäßig Menschen abschlachten? Was ist mit Putins früheren Opfern, Georgien und Tschetschenien? Mit der Auswahl der Landesfarben reproduzieren wir bisher doch eigentlich nur das, was in der Politik kühl als deutsche Interessen in der Welt bezeichnet wird.

Trotz der Zuständigkeit der Regierenden Bürgermeisterin, ist es die visualisierte Scheinheiligkeit von uns allen. Ein Blick ins Netz reicht aus: Viele derjenigen, die das Blau-Gelb der Ukraine am Brandenburger Tor posten und sich dieselben Farben aufs Profilbild legen, zugleich (und das ist entscheidend!) von universell geltenden Menschenrechten faseln, weil der Krieg diesmal vor der eigenen Haustür tobt, schweigen, wenn Menschenrechte sonst wo zur Strecke gebracht werden.

Scheinheilig sind aber auch diejenigen, die nölen, dass etwa nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo die Farben Frankreichs zu sehen gewesen seien, aber nicht die Pakistans oder Mexikos, wenn dort Menschen massakriert würden. Auch deren Doppelmoral schreit zum Himmel! Denn auch sie haben nur ihre eigene kleine Auswahl an Konflikten, zu denen sie ihr Schweigen brechen.

Die selektive Wahrnehmung ist allzu menschlich, gerade die von Krieg und Leid. Aus purem Selbstschutz

Und nee, mir fehlt es weder an Empathie für die Ukraine noch an Hochachtung vor den vielen Helfer:innen. Im Gegenteil, als Kind habe ich (sowjetrussisches) Militär in Kabul kennenlernen dürfen. Ich habe eine Ahnung davon, wie es den Ukrai­ne­r:in­nen geht: genauso elendig wie den vielen Millionen aus Syrien, Irak und Afghanistan. Oder den Refugees aus Zentral- und Südamerika. Auch geht es mir nicht um die wichtigen Demos gegen Putin. Es geht mir um die Licht gewordene Bigotterie an der Quadriga, die das Brandenburger Tor zum Olymp unserer doppelten Standards macht.

Dabei ist selektive Wahrnehmung allzu menschlich, gerade die von Krieg und Leid. Aus purem Selbstschutz. Zutiefst menschlich ist es auch, die eigene geografische Nachbarschaft zuerst wahrzunehmen, solange das frei von Rassismen geschieht. Perfide wird es nur, wenn man von universellen Menschenrechten salbadert, dabei aber den Großteil von Krieg und Elend auf der Welt ignoriert. Und – muss Berlin das dann auch noch institutionalisieren?

Bevor wir aber den Projektor in die Tonne kloppen, warum nicht mal wahrhaftig konsequent sein und das Berliner Wahrzeichen ganzjährig anstrahlen? Jede Woche eine neue Fahne. Über fünfzigmal im Jahr. In Berlin leben doch so viele Menschen mit Fluchtgeschichte. Dazu Aufklärung über Lautsprecher oder eine App: Um was für einen Konflikt geht es? Was hat das mit uns zu tun? Wem und warum liefern wir Waffen? Wer sind die Gewinner der vielen Tode?

Zu den eigenen Prinzipien stehen – wäre nicht auch das mal eine angebrachte Zeitenwende, wenn auch nur symbolisch?

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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2 Kommentare

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  • Nein, es ist nicht scheinheilig oder Doppelmoral, wenn man betoffener ist, weil "der Krieg diesmal vor der eigenen Haustür tobt". Ich bin schließlich auch emotional stärker ergriffen, wenn ein Familienangehöriger erkrankt als wenn das gleiche einer mir unbekannten Person passiert.

    Hier in Europa muss/kann/wird man nicht allen Konflikten und Elend auf der Welt die gleiche Aufmerksamkeit schenken und im gleichem Maße mitfühlen. Das ist normal, nachvollziehbar, vernünftig.

  • "Warum nicht mal wahrhaftig konsequent sein und das Berliner Wahrzeichen ganzjährig anstrahlen? Jede Woche eine neue Fahne. Über fünfzigmal im Jahr. In Berlin leben doch so viele Menschen mit Fluchtgeschichte."

    Weil es dann beliebig und dekorativ wirken würde. Die politische Botschaft eines solchen Symbols muss schon aus sich selbst sprechen, ohne dass es weiterer Erläuterungen darf. Deswegen besteht immer ein Bezug zu aktuellen politischen Ereignissen und Debatten.

    Dabei geht es auch um mehr, als darum bestimmten Menschen mit Fluchtgeschichte bestimmte Farben zuzuordnen. Es geht um eine politische Parteinahme - in diesem Fall für die Ukraine und gegen das Putin-Regime. Eine solche eindeutige Parteinahme macht bei vielen anderen Konflikten, Kriegen und Bürgerkriegen dieser Welt politisch einfach keinen Sinn. Wenn wir die Farben Syriens verwenden würden, wäre das eine Parteinahme für das Assad-Regime, das kann man nicht wollen.