Volksinitiative „Demokratie für Alle“: „Das ist machbar“
Wählen mit 16, Wahlrecht ohne deutschen Pass und digitales Abstimmen – dafür sammelt die Volksinitiative „Demokratie für alle“ jetzt Unterschriften.
taz: Frau Azimipour, die Volksinitiative „Demokratie für alle“ präsentiert am Donnerstag ihre Forderungen. Worum geht es?
Sanaz Azimipour: Erstens wollen wir das Wahlalter für die Wahlen zum Abgeordnetenhaus und für Volksentscheide auf 16 Jahre senken. Zweitens sollen Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die seit drei Jahren hier leben, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunal-, Landtags-, Bundestags- und Europawahlen erhalten – dazu soll der Senat eine Bundesratsinitiative starten. Unsere dritte Forderung ist die nach digitaler Demokratie: Es soll möglich sein, auch elektronisch Unterschriften für Volksinitiativen und Volksbegehren zu leisten.
Bis 25. März wollen Sie 25.000 Unterschriften sammeln. Das ist ambitioniert.
Wir denken, das ist machbar. Wir halten unsere Forderungen für realistisch, und wir werden von vielen Initiativen unterstützt.
Wer ist alles beteiligt?
Um nur einige zu nennen: Deutsche Wohnen & Co. Enteignen, Expedition Grundeinkommen, Berlin autofrei, Klimaneutral 2030, change.org und Nicht ohne uns 14 %. Gleichzeitig sind wir eine offene Gruppe und laden alle, die sich dafür interessieren, ein, uns zu unterstützen.
Sanaz Azimipour
ist Mathematikerin, Aktivistin und Autorin. Die gebürtige Iranerin hat den Verein MigLoom e. V. sowie die Kampagne „Nicht ohne Uns 14 Prozent“ mitgegründet.
Was treibt Sie an?
So wie Demokratie heute funktioniert, ist sie nicht inklusiv, nicht offen für alle. Das ist ein Widerspruch in sich selbst. Unsere Utopie ist eine Demokratie, die allen Menschen dient – auch marginalisierten Gruppen. Ob das Menschen ohne deutsche Staatsbürgerschaft sind, junge Menschen oder Menschen mit einer Behinderung, die es ihnen unmöglich macht, an einer Unterschriftensammlung auf der Straße teilzunehmen. Alle reden über Partizipation, aber 10 Millionen Erwachsene in Deutschland haben kein Wahlrecht, obwohl sie direkt von der Politik betroffen sind. Ich denke spontan an eine Nachbarin, eine alleinerziehende Mutter, die seit 30 Jahren in Deutschland lebt. Sie ist im Alltag Klassismus, Rassimus und Sexismus ausgesetzt, aber darf nicht einmal für ein Volksbegehren unterschreiben.
Man könnte sagen: 3 Jahre Aufenthalt oder 16 statt 18 sind auch willkürliche Zahlen.
Wir sollten mit Kompromissen anfangen, nur so ist es möglich, politische Veränderungen anzustoßen. Natürlich heißt das nicht, dass damit alle Probleme gelöst sind. Aber unsere Forderungen haben, so wie sie sind, eine realistische Chance. Die ersten beiden stehen sowieso im Koalitionsvertrag. Allerdings standen sie im letzten auch schon, und es ist nichts geschehen, deshalb machen wir Druck.
Migrantenselbstorganisationen machen seit Jahrzehnten Druck. Warum denken Sie, dass ihre Initiative jetzt Erfolg hat?
Wir sehen gerade weltweit, wie soziale Bewegungen eine Neudefinition von Demokratie einfordern. An einigen Orten wird das auch schon umgesetzt, zum Beispiel in New York, wo auch die Black-Lives-Matter-Bewegung vieles vorangebracht hat. Das Thema ist heute viel mehr Menschen bewusst – es passt also zeitlich sehr gut.
Warum haben Sie nicht gleich ein Volksbegehren angestoßen? Das wäre doch viel verbindlicher.
Da gibt es mehrere Gründe: Erstens dürfen bei einer Volksinitiative auch die Menschen mitbestimmen, die betroffen sind – also Menschen unter 18 und ohne deutschen Pass. Zweitens wollen wir, dass sich das Parlament schnell mit unseren Forderungen befasst und sofort handelt. Wir wollen zum Beispiel, dass das Wahlalter 16 schon jetzt kommt, nicht irgendwann in den nächsten fünf Jahren. Und ein dritter, technischer Grund: Mit einem Volksbegehren kann man nur ein Gesetz ändern, und wir adressieren unterschiedliche politische Ebenen und Gegenstände.
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