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Die Kunst der Woche für BerlinIm Ohrenschmalz die Kenntnis

Durch Gräser tauchen mit Raphaël Larre, Gemälde aus Samen von Trisha Baga und ein einziges Winden durch die Gehörgänge mit Wong Ping.

Wong Ping, Crumbling Earwax, 2022, 3-channel video installation, © Wong Ping, Installation view Foto: Jens Ziehe, Berlin

V ielleicht ist es einfach nur Eskapismus, jetzt, wo nicht weit von uns Krieg ist, dass man sich plötzlich die Natur anschauen mag. Vielleicht geht von den Bäumen, Büschen und Gräsern zwischen dem Asphalt so eine wohltuende Unschuld aus. Und so bleibt der Blick auch auf den Pflanzen von Raphaël Larre in den Vitrinen des Institut Français am Ku’damm hängen. Seine großformatigen Zeichnungen mit Kohlestift sind wild und skizzenhaft, die mit Tusche hingegen mechanisch und abstrahiert.

Raphaël Larre hält darauf einerseits Beobachtungen von Pflanzen der Umgebung fest, von ihren eigenwillig gewachsenen Ästen und sich biegenden Gräsern. Und andererseits ahmt er die Dekors der Einkaufsstraße von Geschirr oder Stoffen nach. Und wie da auf so einfache Weise künstliche und tatsächliche Natur nebeneinander stehen, öffnet sich auch eine emotionale Schere zwischen dem Geformten und dem Naturwüchsigen.

Trisha Baga stellt auf ihren Bildern bei Société gar keine Natur dar. Ihre skizzenhaften Gestalten wandeln vielmehr in leblosen, wüstenartigen Weiten als wäre die dystopische Welt des Science Fiction-Epos „Dune“ schon eingetreten. Ihre Bildkompositionen sind schwer greifbar, die Leere und seltsame Perspektive sind einer digitalen Bildcollage entsprungen.

Aber: Trisha Baga fertigte ihre Gemälde aus Samen an. Die Wüste, das ist Hirse. Die Menschen, das ist schwarzer Sesam. Und diese Dichte tausender Keime auf den Leinwänden, aus denen allen etwas wachsen könnte, diese eigentlich bekloppte Idee Bagas, berührt auf einer ganz sentimentalen Ebene. Man kuckt auf digital generierte Seltsamkeiten, aufgelöst in Pixel aus Samen – und ist von einem Kitsch der Keime ergriffen.

Manchmal hilft das Absurde. Oder auch nur das Pseudoabsurde. Denn folgt man den exzentrischen Überlegungen von Wong Ping, könnte man wirklich auch im Ohrenschmalz eine Weltkenntnis finden. „Dringt da ein Murmeln aus jemandes Ohr?“, beginnt er seine irre Videoinstallation im Times Art Center. „Es ist das Echo, einem Übermaß an unerquicklichen Worten entsprungen, die vom Trommelfell blockiert wurden. Die, die es hindurchgeschafft haben, sind nichts als Unsinn, nur das Ohrenschmalz bleibt eine Weisheit.“

Und mit dieser eigenwilligen Dichtung taucht man schnell ein in die grotesken Gehör- und Gedankengänge des Künstlers aus Hongkong, in denen das Geistige körperlich und das Körperliche politisch ist, die sich vom Ohrenschmalz über Pofalten und Proteste in Hongkong zur Gentrifizierung der Stadt winden.

Wong Ping, dessen naivliche, aber häufig explizit sexuellen Animationsfilme im Guggenheim und im Centre Pompidou gezeigt werden, stellt der 3-Kanal-Videoarbeit in seiner ersten Berliner Einzelausstellung ein gigantisches Ohr vorweg. Metergroß hängt die Gestalt mit tiefen Falten und ausgeleiertem Schmuckloch von der Decke, dramatisch ausgeleuchtet wie der Gong in einem tibetischen Tempel. Doch eine geräuschvolle Mechanik beschießt das sakrale Setting mit Tischtennisbällen aka Ohrenschmalz.

Wong Ping meint es ernst mit seiner Verspieltheit und bringt damit einen Zwiespalt zum Ausdruck, der uns alle derzeit nur allzu gut erfasst: Das innerliche Unbehagen gegenüber den dramatischen Geschehnissen da draußen, auf der Straße, in der Welt, während wir gleichzeitig physisch unbewegt bleiben – außer vielleicht mal im Ohr zu pulen.

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