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Rache ist teuer

Das endgültige Verbot von Maxim Billers Roman „Esra“ und die Folgen: Wie Sie als Schriftsteller Klagen, einstweilige Verfügungen und langwierige Prozesse vermeiden. Eine Gebrauchsanweisung

VON DANIEL VÖLZKE

1. Fühlen Sie sich nicht unantastbar! „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ So steht es im Grundgesetz. Und da Sie Vertrauen in den Staat haben, Deutschland vielleicht sogar für „das aufgeklärteste Land der Welt“ halten (Maxim Biller), sorgen Sie sich nicht, in der Ausübung Ihrer Kunst belästigt zu werden. Das könnte ein Fehler sein. Denn noch andere Grundrechte schenkt uns die Verfassung, etwa den Artikel 1 Absatz 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Überlegen Sie, wie ein Roman die Würde eines Menschen verletzen könnte – damit Sie nicht aus Versehen so ein Buch schreiben! Denn Kunstfreiheit kann durch andere Grundrechte beschränkt werden. Wenn der Roman dann schon gedruckt ist, wird ein Verbot teuer.

2. Schreiben Sie nie über ehemalige Lebensgefährten! Das Leben schreibt die besten Geschichten. Die Versuchung ist groß, diese zu kopieren. Am besten kennen Sie sich natürlich mit Ihren Liebesbeziehungen aus. Da aber glückliche Beziehungen langweilen, möchten Sie die gescheiterten literarisch verarbeiten, durchaus im therapeutischen Sinn. Sie haben Recht, schreiben Sie alles auf, diese Geschichte können nur Sie so erzählen! Nur veröffentlichen Sie die nicht! Wenn Sie über die Figur, die Sie aus Ihrem Partner gemacht haben, intime Details verraten, könnte Ihnen das als Verletzung von Persönlichkeitsrechten ausgelegt werden. Die unantastbare Würde des Menschen schützt auch die Intimsphäre Ihrer ehemaligen Lebensgefährten.

3. Beschreiben Sie Typen, keine realen Menschen! Sie können realistische Romane schreiben, ohne bestimmte Personen haargenau nachzeichnen zu müssen. Beschreiben Sie Typen, nicht Individuen! Nehmen Sie ein bisschen Meier, ein bisschen Schmidt, nehmen Sie Figuren, in denen „man“ sich durchaus wieder erkennt. Dieses „man“ wird Sie nie verklagen. Aber Vorsicht: Behaupten Sie nicht einfach, Sie hätten einen „Typus“ dargestellt, während Sie doch Ihre Figur nach einer konkreten Person modelliert haben. Das hat schon Klaus Mann in „Mephisto“ versucht und ist damit an den Persönlichkeitsrechten des Intendanten Gustaf Gründgens gescheitert, der für die Allgemeinheit im Roman erkennbar blieb.

4. Denken Sie nicht, dass Sie mit Toten alles machen können! Persönlichkeitsrechte können über den Tod hinauswirken. Beispiel „Mephisto“: Als sowohl Klaus Mann wie auch sein ehemaliger Schwager Gustaf Gründgens tot waren, wollte ein Verlag den Roman in den Sechzigerjahren veröffentlichen. Doch Gründgens’ Adoptivsohn klagte die Persönlichkeitsrechte seines Adoptivvaters ein – mit Erfolg. Nur wenn keine Verwandtschaft, keine alte Liebe, keine Gesellschaft zum Andenken dieser Person mehr existiert, können Sie, getreu dem Spruch „Wo kein Kläger, da kein Richter“, loslegen.

5. Widerstehen Sie dem Versuch, sich schreibend zu rächen! Vielleicht mögen Sie kein Geld besitzen, keinen Rechtsschutz und schon gar keinen politischen Einfluss, aber Sie können schreiben. Mit lässiger Geste gelingt es Ihnen, Gegner als das zu entblößen, was sie sind. Eine Veröffentlichung schadet dem Ansehen der Person, die Sie treffen wollen. Doch seien Sie vorsichtig: Nicht nur wenn Sie sexuelle Eskapaden schildern, verletzen Sie Persönlichkeitsrechte, sondern auch durch Diffamierung und Verleumdung!

6. Verfremden Sie! Wenn es Sie aber langweilt, die Geschichte einer längst toten Person zu erzählen, wenn Ihr Erlebtes durch öffentliche Aufmerksamkeit geadelt werden muss oder wenn Ihre strenge Poetik nur die Verdichtung eigener Anschauung erlaubt, dann verfremden Sie. Übersetzen Sie die Geschichte in eine neue Grundsituation. Warum kann der Sadomaso-Sex nicht in mittelalterlicher Kulisse spielen? Warum finden Sie für Ihre komplexen Gefühle nicht einfache Metaphern wie Sintflut, Riese oder Vampir und machen so aus Ihrem Roman einen Fantasy-Reißer? Schauen Sie sich die Bestsellerlisten an: Das kommt gut an. Und vielleicht erfahren Sie durch den distanzierten Blick, den Verfremdung schafft, etwas Neues über die Welt und Ihre Rolle darin.

7. Denken Sie nicht, ein Roman wäre immer Fiktion! Als Dichter haben Sie Ästhetiken und Poetiken gelesen. Doch schon aus dem Deutschunterricht wissen Sie: Niemals darf ein Romanleser den Ich-Erzähler mit dem Autor gleichsetzen. Die Figuren sind höchstens „Anlehnungen“ an echte Menschen, das Erzählte vielleicht ein „autobiografischer Roman“, aber solange „Roman“ auf dem Cover steht, ist da keine Autobiografie drin. Kunstbetrachtung hielten Sie für interesseloses Wohlgefallen. Sie müssen umlernen: Die Feuilletons und die Leser wünschen sich wenn schon realistische Literatur, dann skandalöse Texte, die skandalöse Wirklichkeit preisgeben, in der Wirklichkeit skandalös wirken oder am besten beides. Überlegen Sie also gut, was Sie dieser Meute zu fressen geben. Interesselos ist Ihr Wohlgefallen schon lange nicht mehr.

8. Suchen Sie sich einen guten Lektor! Besprechen Sie sich mit ihm. Nehmen Sie zu gemeinsamen Essen immer jemanden aus der Rechtsabteilung des Verlags mit.

9. Sparen Sie Geld für schlechte Zeiten! Wenn Sie alle Regeln befolgen, sind Sie leider auch nicht sicher. Auf diesem Gebiet wird noch viel experimentiert. Niemand weiß zum Beispiel, was Kunst ist, kein Richter macht sich ein Bild davon, wie viele Leute eine reale Person in einer Ihrer Romanfiguren wieder erkennen müssen, damit das Persönlichkeitsrecht gefährdet ist. Ihr Buch könnte also immer Opfer einer einstweiligen Verfügung werden – und Sie könnten ohne Einkünfte dastehen. Sparen Sie deshalb Geld! Es muss nicht immer Rotwein sein, das ist ein Klischee. Ein leicht verzweifelter Zug schadet Ihren Texten nicht. Und wenn gar nichts mehr geht, denken Sie immer daran: Sie leiden für die Kunst.

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