Olympia 2022 – Dabei sein verboten (15): Nicht lang gefackelt
Der Uigure Kamaltürk Yalqun war 2008 stolzer olympischer Fackelläufer. Jetzt rief er aus dem Exil zum Boykott auf. Sein Vater sitzt in Haft.
Aktivisten, die Pekings massive Repression der Uiguren als Genozid bezeichnen, hatten bis zuletzt einen Olympiaboykott gefordert: Und zwar nicht nur der Diplomaten, wie ihn die USA und einige westliche Staaten praktizierten, sondern auch einen der Sportler. Zu den Boykottbefürwortern gehört auch ein uigurischer früherer Olympia-Fan.
„Als Fackelläufer der Olympischen Spiele in Peking 2008 möchte ich darauf hinweisen, dass eine Teilnahme an den Spielen 2022 angesichts von Genozid und Menschenrechtsverletzungen an den Uiguren diesen Albtraum nur verlängert“, schrieb Kamaltürk Yalqun Anfang Februar auf Facebook.
2008 war er entsprechend dem Olympiamotto „Dabei sein ist alles“ begeisterter Fackelläufer gewesen. „Ob als freiwilliger Helfer, als Fackelläufer oder nur als Zuschauer, jeder war so stolz, einfach nur dabei zu sein,“ erinnerte er sich gegenüber der Nachrichtenagentur AP.
Dabei hatten schon 2008 Tibeter kritisiert, dass Olympia dem Regime helfe, seine Verbrechen in Tibet zu übertünchen. In dessen Hauptstadt Lhasa kam es im März 2008 zu tödlichen Unruhen. Und beim Fackellauf gab es in mehreren Ländern Proteste gegen Peking. Doch als damals unpolitischer 17-jähriger Schüler habe er in Chinas zensierter Welt nichts mitbekommen, sagt Yalqun.
Lage der Uiguren seit 2008 massiv verschlechtert
Ausgewählt worden sei er wegen seiner guten Schulnoten. Ihn selbst reizte die Reise nach Peking. Dort sei er von Parteikadern samt seinen Englischkenntnissen überprüft und dann überraschend sogar als Fackelträger bestimmt worden.
Das Ereignis selbst war sehr kurz. Er habe eine Kopie der Fackel bekommen, diese bei seinem Vorläufer entzündet, sei 30 Meter gelaufen, dann habe der Nächste seine Fackel an der seinen entzündet.
Später in Peking habe die Polizei sein Hotel kontrolliert. Doch wegen seines Olympia-Outfits samt Fackelkopie, die er behalten durfte, hatte er auch als Uigure keine Probleme gehabt. Seine Familie und Freunde seien wie er selbst sehr stolz gewesen, dass er bei Olympia dabei war.
Nach 2008 hätte sich die Situation der Uiguren aber weiter massiv verschlechtert, Menschenrechtsorganisationen sprechen inzwischen von mehreren hunderttausenden Uiguren und Angehörigen anderen Minderheiten in Umerziehungslagern. Auch Zwangsarbeit soll stark verbreitet sein. Yulqun ging 2014 zum Studium in die USA. Heute lebt er in Boston im Exil lebt und arbeitet dort als Chemiker.
Sein Vater ist wie viele Experten uigurischer Kultur in Haft
2016 wurde sein Vater, ein bekannter uigurischer Literaturwissenschaftler, wegen Subversion zu 15 Jahren Haft verurteilt. Wie viele andere bis dahin anerkannte uigurische Kulturexperten sei er plötzlich zum Staatsfeind erklärt worden. „Seitdem ist das olympische Feuer, das eine Botschaft des Friedens und der Freundschaft ist, für mich erloschen,“ sagt Yulqun.
Dabei hat er noch Glück gehabt. Mit Adil Abdurehim sitzt ein anderer uigurischer Fackelläufer von 2008 sogar im Gefängnis. Wegen Anschauens „konterrrevolutionärer Videos“ wurde das KP-Mitglied zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt, wie der US-Sender RFA berichtete.
Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat Chinas Außenminister Wang Yi am Samstag Kritik an Chinas Umgang mit den Uiguren scharf zurückgewiesen. Es habe in der Provinz Xinjiang „nie“ sogenannte systematische Zwangsarbeit oder sogenannte Umerziehungslager gegeben. „Das sind Lügen,“ so Wang.
Wang zeigt sich offen für Xinjiang-Besuch
Die Regierung habe gegen „terroristische Kräfte“ vorgehen müssen, auch präventiv. Heute könnten alle Bürger dort friedlich und glücklich leben und ihrem Glauben frei nachgehen. Wang zeigte sich offen für einen Xinjiang-Besuch der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet. Es dürfe aber keine Untersuchung auf Grundannahme einer Schuld geben und keine „Anklagen, die nicht auf Tatsachen beruhen.“
Chinas Souveränität, Regeln und Gesetze seien zu respektieren. Bachelet fordert einen ungehinderten Zugang. Denn zuletzt war es China gelungen, einer Delegation der Weltgesundheitsorganisation in Wuhan Zugänge zu möglichen Ursprüngen des Coronavirus zu verweigern. Journalisten können in Xinjiang schon länger nicht unabhängig recherchieren.
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