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Suche nach Long-Covid-TherapienErst am Anfang

Je­de:r zehnte Infizierte erkrankt an Long-Covid. Bisher können nur Symptome gemildert werden – die Forschung bemüht sich um Erkenntnisse.

Atemübungen in der Reha-Klink: In Bad-Rothenfelde werden Long-Covid-Patient:innen behandelt Foto: Friso Gentsch/dpa

Berlin taz | Für viele Menschen war der vergangene Mittwoch ein guter Tag. Endlich, so sieht es nach der jüngsten Bund-Länder-Konferenz zu Corona aus, ist das Ende nah: Freedom Day, Lockerungen, die Aussicht auf ein Leben in Normalität. Was eine Mehrheit mit Freude erfüllt, ist für andere noch in weiter Ferne. Denn für etliche ist Corona noch lange nicht zu Ende. Weil ihre Krankheit einfach nicht endet.

Zwei Wochen, in schweren Fällen drei bis vier – so lange würde eine Infektion mit dem neuen Coronavirus etwa dauern –, dachte man zu Beginn der Pandemie. Doch während der Erreger sich über die Welt ausbreitete, begannen sich Berichte von Pa­ti­en­t:in­nen zu häufen, die es anders erlebten. Sie wurden nicht mehr gesund, bekamen zum Teil neue Symptome hinzu.

Es waren die Pa­ti­en­t:in­nen selbst, die den Begriff „Long Covid“ prägten. Im Mai 2020 berichtete der britische Infektionsmediziner Peter Garner in einem Blog des British Medical Journal, was Covid-Infizierte weltweit feststellten: wie sie weit über vier Wochen hinaus mit schwerer Erschöpfung, Geschmacksverlust, Schmerzen, einem vernebelten Gehirn kämpften. Dass sie nicht, wie von ihnen erwartet wurde, nach wenigen Wochen an ihren Arbeitsplatz zurückkehren konnten.

Manche sind bis heute nicht in ihr altes Leben zurückgekehrt, aber eine Sache hat sich seit dem ersten Pandemiejahr immerhin geändert: Long Covid ist unter seriösen Me­di­zi­ne­r:in­nen inzwischen eine anerkannte Erkrankung, es gibt Forschung zu den Ursachen, zu Therapien, und die Betroffenen erhielten nach Möglichkeit eine gezielte medizinische Betreuung.

Andauernd erschöpft

Das liegt nicht zuletzt an der Häufigkeit, mit der Corona-Infektionen und damit auch die Spätfolgen mittlerweile auftreten. Etwa je­de:r zehnte Co­ro­na­pa­ti­en­t:in bleibt über die akute Infektion hinweg krank. Ab vier Wochen nach Infektion bis drei Monate nach der akuten Erkrankung sprechen Me­di­zi­ne­r:in­nen dabei von Long Covid oder post-akuten Covid-19-Folgen (Englisch: PICS abgekürzt). Dauern die Beschwerden an, wird aus Long Covid ein Post-Covid-Syndrom.

Die Mehrheit erholt sich nach einiger Zeit zwar wieder, aber ein Teil der Pa­ti­en­t:in­nen bleibt sehr lange oder chronisch krank, zumeist mit dem Leitsymptom einer andauernden Erschöpfung oder Fatigue. Sie und die sogenannte Post-exertionelle Malaise (PEM) gehören zu den prominentesten Symptomen von Long Covid. Viele Pa­ti­en­t:in­nen berichten zudem von Problemen mit der Atmung, über Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen, können nicht denken, nicht riechen und auch nicht schlafen. Manche haben Verklumpungen im Blut, die die Gefäße verstopfen, andere Haarausfall oder Ekzeme. Und es zeichnen sich weitere, zum Teil schwerwiegende Komplikationen ab.

So hat eine Arbeit in Nature Medicine gerade gezeigt, dass Long-Covid-Patient:innen ein stark erhöhtes Risiko für praktisch alle Herzkreislaufleiden wie Schlaganfälle, Herzinfarkte, Herzmuskelentzündungen haben. Zehn Prozent der Post-Covid-Fälle gehen vermutlich in ein Chronisches Erschöpfungssyndrom, ME/CFS abgekürzt, über, das auch nach anderen Virusinfektionen auftritt, zum Beispiel mit dem Epstein-Barr-Virus. CFS ist eine schwere, unheilbare Erkrankung, die bisher eher selten war. Durch Corona könnte sie zu einem Massenphänomen werden.

„Wir haben mindestens schon zehn Millionen Infizierte in Deutschland und wir gehen davon aus, dass nach sechs Monaten ungefähr zehn Prozent relevant krank sind, also das, was man Post-Covid-Syndrom nennt“, sagt Carmen Scheibenbogen, die Leiterin der Immundefekt-Ambulanz an der Berliner Charité. „Wenn man davon ausgeht, dass davon nochmal zehn Prozent mit ME/CFS schwer krank sind, dann wären das allein schon 100.000 überwiegend junge Menschen, die auch aus dem Berufsleben fallen.“

Immunsystem Schuld?

Die Internistin sieht deshalb großen Forschungsbedarf. Zuerst, was die Ursachen von Long und Post Covid betrifft. Parallelen zu anderen Erkrankungen wie CFS oder der Multiplen Sklerose liefern Hinweise: So vermuten Expert:innen, dass der Verbleib von Viren oder Virusbestandteilen im Körper eine Rolle spielt.

Im Verdacht steht zudem eine anhaltende und damit überschießende Reaktion des Immunsystems, die sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion außerdem noch gegen den eigenen Körper richten könnte. Die Entstehung von Long Covid sei jedoch multifaktoriell und nicht bei jedem Patienten gleich, heißt es in der Leitlinie der Fachgesellschaften, die im vergangenen Sommer veröffentlicht wurde.

Seit jenem Sommer sind viele neue Fälle von Long Covid aufgetreten, die Folgen der Omikronwelle stehen noch aus. Doch so bitter es klingt: Die schiere Zahl an Pa­ti­en­t:in­nen wird die Forschung deutlich voranbringen – und auch die Suche nach Therapien. Erste Tests stimmen schon jetzt hoffnungsvoll. So konnten Heilversuche mit einem gegen Autoimmunkrankheiten entwickelten, in Studien bereits mehrfach untersuchten Medikament mehreren Patienten helfen.

Das Mittel, BC007, muss allerdings noch in größeren Studien an Long-Covid-Patienten getestet werden. Nach Angaben der Website Clinicaltrials.gov, die unter anderem vom nationalen Gesundheitsinstitut in den USA betrieben wird, laufen weltweit mehr als 80 klinische Studien zu Long-Covid-Behandlungen oder sind in Planung.

Vorsicht vor Quacksalbern

Bis richtige Therapien erforscht und zugelassen sind, lassen sich bislang nur Symptome lindern. Die als „Pacing“ bezeichnete Strategie kann helfen, die Kräfte besser einzuteilen. Je nach Vorgeschichte können Thrombosen vorgebeugt, die Atmung unterstützt und Schmerzen behandelt werden. Und schließlich braucht die Psyche meist professionelle Zuwendung.

Die Wartezeiten für solche umfassenden Maßnahmen sind lang, viele Menschen mit Long Covid müssen über Monate auf Hilfe warten. In der Zwischenzeit verzweifeln nicht wenige – an ihrer Krankheit, an dem Unverständnis, das ihnen bisweilen noch immer entgegengebracht wird, an der fehlenden Perspektive auf ein halbwegs normales Leben. Und wo der Leidensdruck groß ist, wo die nötige Hilfe fehlt, füllen nicht selten ungeprüfte Behandlungen und falsche Heilsversprechen die Lücke.

Geschichten von Einzelfällen, in denen Therapien Heilung gebracht haben sollen, häufen sich, auch im Fernsehen. Da ist der Mann, der durch eine hyperbare Sauerstofftherapie kuriert worden sein will. Das Verfahren führt dem Körper unter hohem Druck Sauerstoff zu. Der Sauerstoff, heißt es, rege eine Regeneration von Zellen im Körper an. Berühmt ist eine Blutwäschepraxis in Mühlheim, sie soll das Blut von krankmachenden Bestandteilen reinigen. Auch hier berichten Pa­ti­en­t:in­nen medienwirksam von Heilerfolgen.

Studien, die solche Wirkungen klar belegen, gibt es bislang nicht. Machen kann die Therapien trotzdem jede:r, die oder der dafür zu zahlen bereit ist. Ein paar Tausend Euro, manche müssen sich dafür verschulden. Es ist ein Geschäft mit der Hoffnung, bis jetzt jedenfalls. Nur die Forschung kann helfen, das zu ändern. Ein Anfang – immerhin – ist gemacht.

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9 Kommentare

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  • Ich hatte im letzten Jahr ein ähnliches Krankheitsbild: Totale Erschöpfung, Brust-, Kopf- und Gliederschmerzen, Stimmverlust etc. mehrere Monate nur im Bett verbracht. Zwar nicht nach Covid, sondern nach der Grippe. Aber alles lässt sich unter Postvirale Fatigue zusammenfassen.

    Ich ging nicht mehr zu Ärzten, recherchierte Tag und Nacht. Nach weniger als einer Woche, ging ich wieder meiner größten Leidenschaft nach, dem Sport.



    Ich kann Betroffenen empfehlen, folgenden Begriffen nachzugehen: Fight and Flight Mode, Limbic System, Mind Body Connection, Neuroplastizität, Brain Retraining, TMS u.v.m.



    Die Psyche wird definitiv in der Medizin und der Forschung vernachlässigt!

    Ein Problem, das mir dabei auffiel: auf deutscher Sprache gibt es im Internet kaum Heilungs- und Erfolgsgeschichten, kaum Support. Wenn man ME/CFS googled und denkt, dass man daran (oder an Ähnlichem) erkrankt ist, dann kann man nur in Panik verfallen… Darin liegt das entscheidende Problem, denke ich.

    • @tech girl:

      Im Artikel wird ME/CFS als seltene Krankheit dargestellt. Das ist falsch und schon von daher tragisch, da im Folgeabsatz Frau Prof. Scheibenbogen von der Charité zitiert wird, die führende deutsche Forschende auf dem Gebiet ME/CFS. Sie predigt quasi gebetsmühlenatig, dass ME/CFS mit schätzungsweise 250.000 Betroffenen (vor Corona) eben KEINE seltene Krankheit ist.

    • @tech girl:

      Schön, dass Sie wieder genesen sind.

      Es ist jedoch tückisch, bei den im Artikel behandelten Krankheiten Long-Covid und ME/CFS phychische Ursachen zu vermuten. Die Forschung kennt mittlerweile für beide Krankheiten physiologische Ursachen. Eine phsochologische Begleitung kann zur Bewältigung der starken Symptome hilfreich sein, reicht aber als Therapie alleine nicht aus.

    • @tech girl:

      Schön, dass es ihnen wieder besser geht, dennoch sollten sie vielleicht auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass nur weil das bei ihnen bei einem ähnlichen Krankheitsbild so war, noch längst nicht heißen muss, dass das für andere an einem ähnlichen Krankheitsbild aber eben doch von einer anderen Krankeit Betroffenen ebenso gelten muss. Die Erklärung, dass das ja alles 'nur' psychisch ist wird spätestens dann zynisch wenn die Genesung nicht oder nur langsam eintritt, weil die Ursache davon damit zu einer mangelnden Willensstärke verschoben wird sich aufzuraffen und den Sport zu treiben, der ja schon nach nur einer Woche die Heilung bringen würde.



      Mal ganz davon abgesehen, dass "Verklumpungen im Blut, die die Gefäße verstopfen, [...] Haarausfall oder Ekzeme" durchaus handfeste physische Symptome sind. Entsprechend ist ihr Fall wohl eher eine der "Geschichten von Einzelfällen, in denen Therapien Heilung gebracht haben sollen".

  • Nicht ganz. 10-15% haben so schweres Long Covid, dass sie reha- oder frühverrentungspflichtig sind.

    Noch einmal 15-20% haben Long Covid, aber bei ihnen sind nur ZNS und Herz-Kreislauf-System betroffen, und eine hausärztliche Diagnostik kann nichts Auffälliges finden (außer vielleicht einem erhöhten Blutdruck); die Betroffenen sind nicht invalide, sondern verlieren 10 bis 20 Lebensjahre durch beschleunigte Alterung der betroffenen Organsysteme. Plötzlicher Herztod mit Mitteende 60; wir werden davon noch sehr, sehr viel erleben in den nächsten Jahrzehnten. Die sind dann nicht "an" oder "mit" Covid gestorben, sondern "durch Covid".

    Als Faustregel kann man von durchschnittlich 5 "life years lost" als Folge einer erfolgreichen Infektion durch SARS-2 ausgehen.

    Man kann das sehr gut an Menschen mit Prädisposition zu Gefäßverschlusserkrankungen sehen. Davon spürt man nichts, bis es fast zu spät ist. Eine Covid-Erkrankung führt unabhängig der Verlaufsschwere des primären Infekts bei rund 1/3 der so Vorerkrankten zu einer differentialdiagnostisch überdeutlichen Verschärfung der Erkrankung - ohne dass die sich bis zum ersten Herzinfarkt oder zum Absterben der Zehen in eindeutigen Symptomen manifestieren würde. Denn weder ZNS noch Blutgefäße haben Schmerzrezeptoren; selbst lebensgefährliche Erkrankungen an diesen Organen äußern sich bis kurz vor



    Exitus nur in leichtem Unwohlsein. (Wer schon einmal eine Blutvergiftung hatte, kennt das: man fühlt sich etwas müde und hat erhöhte Körpertemperatur, aber eigentlich ist alles in Ordnung - wäre da nicht dieser langsam herzwärts wandernde knallrote Streifen.)

  • Psychische Aspekte sucht man bei "Long-Covid" irgendwie vergebens. Es wird immer nur darauf verwiesen, dass das Immunsystem angegriffen wird, Probleme mit der Atmung, Gelenkschmerzen, Abgeschlagenheit, ....

    Ich hatte vor circa 2 Jahren ähnliche Symptome. Habe ich mich allerdings nie durch einen Arzt "kategorisieren" lassen. Auch waren es höchst wahrscheinlich keine Post-Covid-Folgen. Die Ursache ist mir relativ klar; es war ein Art Burnout. Der Zustand hielt sich auch einige Monate mit den fast identischen Erscheinungen.



    Es wäre daher dringend ratsam, Long-Covid breit angelegt zu untersuchen. Es kann ja durchaus sein, dass psychische Aspekte eine viel größere Rolle spielen als bisher angenommen. Die Isolation, die Angstzustände .. all dies kann psychologische Störungen hervorrufen.

    • @Mopsfidel:

      Dann wäre aber zu erwarten, dass die Zahl der Post-Covid-Erkrankten in etwa vergleichbarem Umfang auch bei Personen die nie an Covid erkrankt waren auftreten müsste. Das ist aber nicht der Fall. Also scheint die Infektion selbst durchaus eine relevante Rolle zu spielen.

      • @Ingo Bernable:

        Ihre Antithese sehe ich kritisch. Denn seit Beginn von Corona haben die regulären Arztbesuche stark abgenommen. Ebenso Behandlungen wie Psychotherapie. Daher lässt sich gar kein direkter Vergleich ziehen für die letzten Monate.

    • @Mopsfidel:

      Dann wäre aber zu erwarten, dass die Zahl der Post-Covid-Erkrankten in etwa vergleichbarem Umfang auch bei Personen die nie an Covid erkrankt waren auftreten müsste. Das ist aber nicht der Fall. Also scheint die Infektion selbst durchaus eine relevante Rolle zu spielen.