Die algerische Rockband Imarhan: Staubtrockene Gitarrenriffs
Der Blues eines Wüstenvolks: „Aboogi“ heißt das neue Album der algerischen Tuaregmodernisten Imarhan. Es trägt den Sahara-Blues in die ganze Welt.
Trommeln, akustische Saiteninstrumente, E-Gitarren, Bass und Stimmen: Mehr braucht es nicht für die repetitive Musik der algerischen Rockband Imarhan. Zart, poetisch, schrundig und scharfkantig klingt ihr Sound – wechselnd zwischen den Polen westlicher Rockmusik und den traditionellen Klängen der Tuareg.
Mastermind Iyad Moussa Ben Abderahmane, der sich Sadam nennt, hat dieses Wechselverhältnis in einem Interview einmal so beschrieben: „Wir lieben und respektieren die Musik der älteren Tuareg. Aber wir sind anders. Viele von ihnen halten nur an ihren Traditionen fest und würden die Wüste am liebsten nie verlassen. Wir wollen mit der Welt in Kontakt treten, sie bereisen und unsere Geschichte erzählen.“
Imarhan: „Aboogi“ (City Slang/Indigo)
Seit einiger Zeit sind die staubtrockenen Gitarrenriffs diverser Tuareg-Bands nicht mehr nur in Nordafrika, sondern auch in Europa, Japan und den USA zu vernehmen. Gruppen wie Tamikrest und Tinariwen haben diesen Wüstenblues weltbekannt gemacht: ein genuin afrikanischer Blues. Ein Blues, geprägt durch Vorbilder wie den 2006 verstorbenen Gitarristen Ali Farka Touré aus Mali, doch durch und durch von ureigener Schönheit.
Und ähnlich klingen auch Imarhan, die wie Tinariwen aus Tamanrasset im Süden Algeriens stammen und verwandtschaftlich mit Tinariwen verbandelt sind. Tamanrasset wurde in den vergangenen Jahren zu einer neuen Heimat vieler Tuareg, die wegen dem Bürgerkrieg aus Mali fliehen mussten.
Sozialer Ausgrenzung ausgesetzt
Schon auf ihrem beim Berliner Label City Slang erschienenen Debütalbum erzählten Imarhan von ihrem Alltag, von der Faszination der Wüste, von der Magie, doch auch von den beinharten Realitäten des 21. Jahrhunderts – einer Gegenwart, die für die Tuareg immer noch ein Kampf um Selbstbestimmung bedeutet. Doch geht es dem Quintett nicht nur um die eigenen Belange, wie Bandleader Iyad Moussa Ben Abderahmane erklärt: „Überall gibt es Probleme, Migration, Kriege, Leid, Flüchtlinge.“
Dieser Desert-Blues, gesungen in der Tamasheq-Sprache der Tuareg, erzählt von einer Kultur, die in Mali, Algerien und Niger noch immer sozialer Ausgrenzung ausgesetzt ist. Der Blues erzählt aber auch von dem Ort, wo diese Musik entsteht. Imarhan-Songs öffnen immer ein großen, freien Klangraum. Offenbar kann die dort zum Ausdruck kommende Einsamkeit auch heiter sein. Leere und Weite befreien, wie ein erster Pinselstrich auf einer weißen Leinwand.
„Du musst mit deinem Volk um jeden Preis solidarisch sein, bis zum Ende“, sagt Sadam. So spricht ein Angehöriger eines Volkes von etwa 1,5 Millionen Menschen, das in der Sahara und im Sahel, in Teilen Algeriens, Malis, Libyens, Burkina Fasos und Nigers teilweise noch nomadisch lebt – und das seit der französischen Kolonialzeit. Bis heute wird um Autonomie und Unabhängigkeit gerungen. Der Kulturraum der Sahara ist ein widersprüchlicher Ort, der immer noch von den aus der Kolonialzeit stammenden politischen Grenzen geprägt ist und auch daran leidet.
Sanfte Entrücktheit
Der Folksound dieses Volkes ohne Staat ist spartanisch, repetitiv und von kreisender, nach innen gerichteter Intensität. Wir hören schnelle, gezupfte Gitarren, Rockriffs, Trommeln, das rhythmische Klatschen der Hände, dazu die Stimmen des Chors und der Solisten, die in der Berbersprache Tamasheq singen. Auch das dritte Album „Aboogi“ von Imarhan, das sie nach ihrem 2019 eröffneten Studio in Tamanrasset benannt haben, das erste professionelle Aufnahmestudio in der Region, lässt aufs Neue staunen.
Staunen über die psychedelische Schönheit und die sanfte Entrücktheit dieser Musik. Über die ungehörte Mischung fremder und vertrauterer Musikelemente. Stücke wie „Achinkad“, „Temet“ oder „Tamiditin“ zeigen, wie sehr die Band in der Tuareg-Tradition wurzelt, doch auch, wie sehr sie bereit sind, sich auf Anderes einzulassen, auf spröden Desert-Rock, funkigen Afrobeat, vor allem aber auf kargen Blues. So ist es eigentlich nur wenig erstaunlich, dass neben der sudanesischen Sängerin Sulafa Elyas sowie Abdallah Ag Alhousseyni von Tinariwen auch der Multiinstrumentalist Gruff Rhys von der walisischen Rockband Super Furry Animals auf dem Album zu hören ist.
„Adar Newlan“ heißt das wunderbare Stück, das Imarhan mit ihm in Algerien aufgenommen haben. Kennengelernt haben sie sich in London bei einer Show des Musikerkollektiv-Projekts Africa Expess, an dem auch Damon Albarn beteiligt ist. Und es stellt unter Beweis, wie nah sich die musikalischen Welten kommen.
Der Song wird von einem kunstvollen Animationsvideo begleitet, das die Geschichte eines Fremden erzählt, der auf eine Gruppe von Tuareg trifft und von ihnen eingeladen wird, sich ans Feuer zu setzen und mit ihnen Tee zu trinken. Und so muss man die Musik von „Aboogi“ unbedingt als Einladung verstehen, einen tiefen Blick in ein fremdes Leben zu bekommen – das ungemein reich ist. An Geschichte und künstlerischer Ausdruckskraft. Diese Musik entführt uns, auch wenn das beinahe wie ein romantisches Klischee klingt, in eine andere, ferne Welt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen