Pflegekräfte über Care-Arbeit: „Sabine, halte durch!“
In Facebookgruppen erzählen Pflegekräfte von ihrem Stress, aber auch von ihrem Engagement für die Patient:innen. Unsere Autorin hat mitgelesen.
Pflegekräfte tauschen sich in Facebook-Gruppen über ihren Alltag aus, etwa in der Gruppe „Wir-sind-die-Pflege“. Sie hat 74.000 Mitglieder, die in der Langzeit- und Krankenpflege arbeiten. Daraus einige Posts*.
Ganz oben auf der Themenliste steht die UNTERBESETZUNG
SABINE KÖHLER: „Morgen habe ich wieder 11 Leute zu versorgen. 11 Vollpflegen, zwei davon Pflegegrad 5. Vier mit dem Stehlifter. Ich kann nicht mehr.“
VERONIKA SU: „Liebe Sabine, halte durch. Ich habe heute wieder Nachtdienst. Wir haben Noro im Haus, sind nur zu zweit für 80 Bewohner. Eins nach dem andern, mehr geht nicht.“
NATHALIE BERLIN: „Liebe Sabine, wichtig ist, dass Du Dir nach der Arbeit oder vor der Arbeit was Gutes tust, zwischen Deiner Arbeit zwei Minuten tief ein/ausatmen & Dir irgendwas mit zur Arbeit nehmen, was Du gerne trinkst, dass Du Dich darauf freust. Du musst Dir kleine Sachen aufbauen. Sieh nicht die elf Patienten, nicht das Ganze, denke einen nach dem anderen. Ich wünsche Dir viel Kraft & zwischendrin was Gutes tun nicht vergessen.“
LUTZ MÜLLER: „Drei Klienten können Dir die ganze Nacht einen Alptraum bringen. 50 Klienten, die ruhig schlafen, lassen Dich entspannt die Nacht verbringen.“
MONIKA HOCHFELD: „Nur zu zweit nachts für 100 Leute, auf fünf Stationen verteilt mit geschütztem Wohnbereich, sowas gibt es. Aber wer arbeitet bei ‚sowas‘ freiwillig? Der Markt schreit nach Pflegekräften. Bewerbungen schreiben! Und Kündigungsschreiben parat haben!“
CORINNE MAI: „Mein Arzt hat mich gestern stumpf für drei Wochen aus dem Verkehr gezogen. Ambulante Behandlungspflege, seit Monaten mehrere Kollegen krank, immer aufgefangen und abgepuffert, Rufbereitschaften für den Hausnotruf gemacht etc. Game over. Es gab eine Notsitzung mit Betriebsrat und Chefebene, die Klientenanzahl muss reduziert werden.“
Zur Unterbesetzung gehört das Thema EINSPRINGEN MÜSSEN IN DER FREIZEIT
LIESE MEHLMANN: „Hallo liebe Kollegen, ich bin mit meinem Latein am Ende. Und zwar geht es um Dienstabdeckung. Ich hätte regulär laut Dienstplan dieses Wochenende frei. Habe für morgen schon mit einem Kollegen getauscht, da er Privates zu erledigen hat. Jetzt hat mich meine stellvertretende Wohnbereichsleitung über Messenger angeschrieben, ich müsse wieder ins Wochenende zurück. Ich hätte dann mein viertes Wochenende hintereinander Dienst und bei einer 75-Prozent-Stelle zwölf Tage Dienst am Stück. Ich habe sie angerufen und habe gesagt, dass das nicht geht, ich hätte regulär frei, und dass ich nicht einsehe, dass ich, ohne dass ich gefragt werde, in den Frühdienst eingeplant werde an meinem Frei. Ihre Antwort ist, dass ich die Einzige bin, die Theater macht, dass die Dienste dann zusammenbrechen. Außerdem hätten meine Kollegen ja Kinder und ich nicht. Da kann ich doch wohl nichts dafür. Was soll ich tun?“
Erziehen, Zuhören, Pflegen – die einen nennen es Liebe, die anderen unbezahlte Arbeit. Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die sie übernehmen, selbst da, wo sie bezahlt wird. In unserem Schwerpunkt „Frauentag“ fragen wir pünktlich zum feministischen Kampftag: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die das Kümmern revolutioniert?
CHARLOTTE KOCH: „Der Dienstplan ist ein Dokument und genehmigt und somit ist es nicht verpflichtend, einzuspringen. Außerdem ist es eine Unverschämtheit, Dich über den Messenger anzuschreiben. Da würde ich überhaupt nicht reagieren. Schon mal was von Arbeitszeitgesetz und Arbeitsschutzgesetz gehört? Zwölf Tage, und dann muss Pause sein. Das musst Du Dir nicht gefallen lassen.“
ELFIE TALHEIMER: „Dienste müssen bis spätestens drei Tage vor dem Dienst stehen. Ein bereits geschriebener Dienstplan ist bindend, es sei denn, beide Parteien sind mit einer Änderung einverstanden. Lass Dir keinen Bären aufbinden. Kinder ja oder nein tun dabei nichts zur Sache.“
NATALIE NO: „Messenger? Dein Ernst? Du musst im Frei nicht erreichbar sein. Und schon gar nicht entgegen des bestehenden Planes arbeiten. Und lass Deine Nummer löschen.“
In den Posts gibt es auch Schönes, etwa zum Thema EINFÜHLUNG
ISA FEE: „Hallöchen und guten Tag. Hat vielleicht jemand eine Idee, wie man eine Zimmerdecke gestalten könnte für Bewohner, die den halben Tag im Bett liegen und dabei nur an die Decke starren? Die Bewohnerin kann sich aufgrund ihrer Demenz leider nicht mehr äußern und ich möchte, dass es trotzdem was Schönes gibt anstatt nur ’ne weiße Decke.“
GUNDA MAHARATI: „Wir haben uns die Biographie der Bewohner angeschaut und dann individuell die Decke gestaltet. Da hatte dann eine Bewohnerin leuchtende Tiermotive zum Bestaunen und die andere beleuchtete Teletubbies. Sie war ohne Witz ein großer Fan davon.“
SUSE LUCKWALD: „Wir haben einen Spiegel angebracht, so dass der Bewohner immer sehen konnte, wer rein kommt. Und Mobiles mit Bildern gebastelt aus früheren Zeiten oder von Reisezielen.“
JULIE FUCHS: „Einen Beamer kaufen. Dann kann man den Bewohnern auch mal Filme oder Serien anbieten.“
BEATE SÜSS: „Wir haben für zwei Bewohnerinnen, die nur im Bett liegen, einen bunt leuchtenden Sternenhimmel gekauft, der an der Decke in verschiedenen Farben und Formen leuchtet.“
MONIKA SCHULZE: „Natur, einen Ast, je nach Saison blühend über dem Bett befestigen, bei Allergierisiko einen trockenen und diesen dekorieren, vielleicht mit Federn, Luftschlangen.“
LUISE VON TANN: „Negativbeispiele sind für mich Dekorationen, die an der Wand hinter dem Kopfende hängen. Ich hab Kalenderbilder mit Motiven in DIN A 3 laminiert und unter die Decke geklebt. Je nach Biographie und Interessen lassen die sich schnell austauschen. Man kann auch großformatige Poster unter die Decke kleben. Ein Bewohner war entzückt von der mäßig verhüllten attraktiven Dame über seinem Bett.“
* Die Posts wurden von den Autor:innen zum Abdruck freigegeben, die Namen auf deren Wunsch hin geändert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!