Neues Album „Covers“ von Cat Power: Spiel nie zweimal denselben Song

Cat Power hat ein neues Album mit Coverversionen herausgebracht. Ihre Bluesstimme transzendiert die Originale: dunkel, mit metallischer Kante.

Portrait von Cat Power

Chan Marshall alias Cat Power, die größte lebende Ponyträgerin der gegenwärtigen Popkultur Foto: Mario Sorrenti

Langhaarige Frauen mit Pony, das gibt’s sonst nur in Frankreich, bei Charlotte Gainsbourg oder ihrer Halbschwester Lou Doillon, oder bei Jane Birkin, der Mutter der beiden, die ihn sich vielleicht irgendwann mal von Nico alias Christa Päffgen abgeschaut hat. Langhaarige Frauen mit Pony, singende zumal, repräsentieren einen speziellen Typus; sie wirken introvertiert, scheu, unnahbar, wenn ihnen der Pony wie ein Theatervorhang über die Augen fällt.

Da Ponys die Augen verkleinern, betonen Trägerinnen – Achtung, Beautytipp – ihre Lider gern mit Kajal und Mascara, was den Eindruck von Schwermut und Drama noch verstärkt. Chan Marshall alias Cat Power, die größte lebende Ponyträgerin der gegenwärtigen Popkultur, ist nach einer kurzen Kurzhaarschnittepisode um 2012 wieder zur mythischen Frisur zurückgekehrt.

Beide Videos, die zum Release ihres elften Albums „Covers“ erschienen sind, zeigen Marshall in kleinen und kleinsten Clubs, in einer interessanten Mischung aus Rückzug und Nähe zum Publikum. In „Pa Pa Power“, Cat Powers Version eines Songs von Ryan Goslings Band Dead Man’s Bone, steht die Sängerin, in blaues Licht getaucht und von Adeline Jasso (Gitarre), Alianna Kalaba (Drums) und Erik Paparazzi (Klavier) begleitet, hinter einem Doppelmikrofon, das auch noch die untere Gesichtshälfte halb verdeckt; im Gegenschnitt fallen ihr einzelne Kon­zert­be­su­che­r:in­nen in die Arme, wobei meist nur deren euphorische Mienen zu sehen sind. Eine prä- oder postpandemische Umarmungsorgie, der Cat Powers elegische Interpretation kräftige Wehmutsschübe verpasst. Wird es jemals wieder so schön gewesen sein?

Im zweiten Clip steht Chan Marshall auf einer noch viel kleineren, intimen Privatclubbühne, keine Handvoll Gäste lauscht dem bislang von Billie Holiday am populärsten interpretierten Jazzstandard „I’ll be seeing you“, und statt Pony trägt die Diseuse diesmal Smoking, Bauchbinde und einen tief in die Stirn gezogenen Zylinder:  der Star im Dienst der Bourgeoise, wie es in Iggy Pops ebenfalls auf dem Album vertretenen „Endless Sea“ heißt.

Ein flüchtiges Wandertruppenbusiness

Das große Thema des Albums ist das Bekenntnis zum Live-Konzert, zu Pop als flüchtigem Wandertruppenbusiness und zur on stage performten, persönlichen Aneignung von Musikgeschichte. Denn überflüssig zu erwähnen, dass sämtliche zwölf Songs des Albums so stark nach Cat Power klingen, dass die meisten Originale kaum wiederzuerkennen sind.

Marshall, die vor zwei Wochen ihren 50. Geburtstag feierte, hatte Anfang der 90er Jahre über die New Yorker Free-Jazz- und experimentelle Musikszene, also letztlich übers Improvisieren, den Weg auf die Bühne gefunden, und schon im Jahr 2000 brachte sie mit „The Covers Record“ ein ähnliches Album heraus, auf dem gleich der erste Song „(I can’t get no) Satisfaction“ von den Stones zeigte, wohin der Hase läuft. Zu an „House of the Rising Sun“ angelehnten Gitarrengriffen ließ Marshall schwermütig zart die Strophen tropfen, ohne den berühmten Refrain überhaupt zu singen.

Cat Power: „Covers“ (Matador/Beggars Group/Indigo)

Auch mit eigenen Songs verfuhr sie auf Konzerten frei nach der heimlichen Dylan-Doktrin, nie zweimal denselben Song zu spielen. Später gehörten Covers zu ihren bekanntesten Songs, etwa Phil Phillips „Sea of Love“, das sie 2007 nur von einer Harfe begleitet auf dem Höhepunkt von Jason Reitmans Film „Juno“ sang.

„Jeder Song, den du dein ganzes Leben geliebt hast, ist Teil deiner Geschichte“, erklärt die Künstlerin dem Musikblog Stereogum. Und tatsächlich ist „Covers“ bei aller Wiedererkennbarkeit der Covernden die vergangene Zeit durchaus anzuhören. Während Cat Power in den Nullerjahren noch sehr minimalistisch arrangierte und selten mehr als zwei Instrumente ihre Stimme begleiteten, sind die neuen Interpretationen üppiger, greifen teilweise auf elektronische Effekte zurück, die Marshall 2012 mit dem geradezu tanzbaren Album „Sun“ erprobte.

Ihre Aneignungen werden zu Hymnen

Frank Oceans „Bad Religion“, das der Rapper im Original zum Sound einer Leierorgel, dann von einem ganzen Streichorchester begleitet singt, lebt auf „Covers“ vom Kontrast zwischen dem schleppenden Upbeat-Piano und Marshalls mit Hall verschliffener Mehrstimmigkeit. Auch in die Lyrics greift sie ein, macht etwa aus dem arabischen Gotteslob des Taxidrivers, gegen das Ocean sich wehrt, ein „Praise the Lord, Hallelujah, little Girl/Woman“ – nicht nur deshalb klingt der Song bei ihr auch nach Gospel.

Zu Hymnen werden ihre Aneignungen von Lana del Reys „White Mustang“, Nick Caves „I Had a Dream Joe“ und vor allem Bob Segers erzbraver Rocksong „Against the Wind“, bei Cat Power ein paradoxerweise zugleich verlangsamtes und beschleunigtes Juwel mit brodelnden Klavierbassläufen und elegischen Seufzern.

Überhaupt transzendierte Chan Marshalls Bluesstimme die Originale noch einmal: dunkel, rauchig, weich, mit einer unverwechselbaren metallischen Kante. Die minimalistisch abgespeckten Balladen auf „Covers“ wie „A Pair of Brown Eyes“ (The Pogues), „Endless Sea“ (Iggy Pop), „It wasn’t God who made Honky Tonk Angels“ (Jay Miller) oder „These Days“ (Nico) werden fast ausschließlich von dieser Stimme getragen, immer einen Tick schleppender als im Original.

Feministische Netzwerkerin

Was in dieser Stimme ebenfalls mitschwingt: Chan Marshall, die in den Nullerjahren Stil-Ikone und Cover-Girl war, für Karl Lagerfelds Chanel-Shows sang und bei Wong Kar-Wai mitspielte, ist kein ewiges Mädchen mit schwieriger Südstaaten-Kindheit geblieben, sondern längst eine kraftvolle Frau. Alkohol- und Drogeneskapaden liegen hinter ihr, obwohl sie auf Instagram auch mal ihren Lieblings-Mezcal preist; 2015 wurde sie Mutter.

Sie verbündet sich, ganz feministische Netzwerkerin, mit Kolleginnen, etwa mit Lana del Rey oder auch mit der eingangs erwähnten Lou Doillon; sie positioniert sich öffentlich für Black Lives Matter. In ihrem Fall sicher mehr als linksliberale Boheme-Attitüde, da Marshall sich klar auf Schwarze Musiker bezieht, vom King of Soul Otis Redding bis zu Teenie Hodges, mit dem sie 2006 an „The Greatest“ arbeitete, dem Album, das Cat Power spätestens auch dem Indie-affinen europäischen Mainstreampublikum bekannt machte und den sie als Vaterfigur bezeichnet.

Auch ein Selbstcover ist auf dem „Covers“-Album. „Hate“ erschien 2006 auf „The Greatest“, und selten dürfte jemand so samtig und zärtlich den Verzweiflungsvers „I hate myself and want to die“ gesungen haben wie Marshall auf dieser Platte. Sie singt ihn auch 2022 noch, umspielt von einem Backgroundchor ihrer eigenen Stimmen, überhaupt klingt der Selbsthass hier wärmer und ja, irgendwie unpersönlicher. Der Song ist längst umgetauft in „Unhate“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.