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„Nicht alle haben überlebt“

Exemplarisch die NS-Zeit erforscht: Michael Batz über sein Buch „Das Haus des Paul Levy“

Marcus Brandt/dpa

Michael Batz

70, Autor und Performancekünstler, verfasst seit 1998 für die Hamburgische Bürgerschaft Dokumentarstücke zum Holocaust-Gedenktag – 2016 ging es darin um Paul Levy.

Interview Petra Schellen

taz: Herr Batz, wie kam es zu Ihrem Interesse am „Haus des Paul Levy“ in der Hamburger Rothenbaum­chaussee 26?

Michael Batz: Auslöser war die auf dem Dachboden gefundene Klarinette, von der mir ein Bekannter berichtete. Man hatte sie beim Renovieren gefunden, und ich habe mich gefragt: Warum versteckt man ein so wertvolles Instrument? Was ist das überhaupt für ein Haus, welche Geschichte hat es? So hat meine Recherche begonnen, aus der eine Musikperformance und ein Buch entstanden.

Wer war Paul Levy?

Ein jüdischer Privatbankier, der Ende des 19. Jahrhunderts nach Hamburg kam. Er hatte durch den Ersten Weltkrieg Kapital verloren und überlegte, wie er eine repräsentative Stadtwohnung finden und finanzieren könnte. Er tat sich mit einigen anderen zusammen und beauftrage die jüdischen Architekten Gerson, ein Haus mit modernen Wohnungen zu bauen. Sie taten es – aber nicht im weiß getünchten dekorativen Stil der Nachbarhäuser, sondern in neusachlichem, schnörkellosem Backstein. Das gab Riesenproteste. Auch die Finanzierung war neu: 1921 war es das erste baugenossenschaftliche Haus in Hamburg.

Und in der NS-Zeit?

Das Haus wurde „arisiert“. Die mehrheitlich jüdischen BewohnerInnen waren gezwungen zu emigrieren. Das taten sie nach und nach.

Haben alle überlebt?

Nein. Auguste Friedburg und Berthold Löwy sind in Theresienstadt umgekommen. Die meisten haben aber überlebt, weil sie die Mittel hatten, Hamburg rechtzeitig zu verlassen.

Wer zog an ihrer Stelle ein?

Zum Beispiel Walter Dessart, Zahnarzt, bekannter Tennisspieler, SS- und NSDAP-Mitglied. Oder Theodor Heynemann, Direktor der Frauenklinik am Uni-Klinikum Eppendorf, Fördermitglied der SS; er hat Zwangssterilisationen durchgeführt.

Zogen hauptsächlich Nazi-Funktionäre ein?

Lesung und Gespräch: So, 6. 2., 19.30 Uhr, Literaturhaus Hamburg (2G+), Anmeldung: lit@lit-hamburg.de

Das Schlimmste wurde verhindert, weil die – „arisierte“ – Warburg-Bank es schaffte, dass ihr Prokurist Rudolf Brinckmann als Treuhänder eingesetzt wurde. Er achtete darauf, dass keine SS-Größen einzogen.

Wie verhielt sich Brinckmann nach 1945?

Er bot zunächst die Rückgabe der Bank an. Aber die in die USA emigrierten Warburgs zögerten, weil der Antisemitismus in Deutschland noch stark war. Brinkmann führte die Bank allein weiter, die dank Wirtschaftswunder florierte. Später, als Warburgs bereit waren, wollte er sie nicht mehr hergeben. Die Auseinandersetzungen endeten erst mit Brinckmanns Tod.

Ihr Buch zeichnet mit dem Haus verwobene Lebensläufe nach.

Es ist ein Roman aus Tatsachen. Zugleich ein Essay über das Verschwinden von Menschen. Ein Vexierbild, das um Abwesenheiten kreist.

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