piwik no script img

Abschied von Gruner + JahrErst Dummheit, dann Mutwillen

Mit der Auflösung von Gruner + Jahr in RTL endet auch der Traum von einem idealen Verlag. Silke Burmester hat ihn eine Zeit lang mitgeträumt.

„Was ich dem Verlag übelnehme, ist der Verrat am Journalismus.“ Am Kiosk, 26. April 1983 Foto: imago

Funk Uhr oder Hörzu? Egal. Beide Fernsehzeitschriften, die in den 1970er und 1980er Jahren die Republik in bieder (Hörzu) und spießig und bieder (Funk Uhr) teilten, waren Teil desselben Kosmos des angepassten Bürgertums.

Jenseits dieser Sphäre gab es Titel wie Stern, Brigitte, Schöner Wohnen. Ihre Machart war anders. Offener, moderner, weitblickender. Ihre Leserinnen und Leser waren anders. Die Publikationen aus dem Springer-Verlag waren Abbild eines verängstigten Bürgertums, die aus dem Hause Gruner + Jahr eines neugierigen, progressiven, weltoffenen Blicks. Ich war ein Hörzu-Kind. Erinnere ich mich an irgendeinen publizistischen Coup dieser Zeitschrift? Nein. Und beim Stern? „Wir haben abgetrieben“, „Babystrich“, aus dem das legendäre Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ entstand, das Foto vom toten Uwe Barschel in der Badewanne.

Die Brigitte hatte unsere Mütter in ihrem Aufruhr gegen ihr Hausfrauendasein begleitet, und das 1976 vom Reportagefotografen Rolf Gillhausen entwickelte Geo brachte ferne Länder ebenso wie ihre Bewohner in einer Präsenz ins Wohnzimmer, die neu war in der BRD. Auch im Ausland wuchsen die publizistischen Aktivitäten kontinuierlich – Gruner + Jahr (G+J) wurde zum größten Zeitschriftenverlag Europas.

Bevor die Produktionsmittel durch die Digitalisierung beim Volk landeten, bedeutete Journalistin werden zu wollen die Notwendigkeit, in den Zirkel derer, die die Zeitungen und Zeitschriften machten, hineinzukommen. Eine Welt, die man von außen bestaunen musste: große, prächtige Verlagshäuser, in denen jene arbeiteten, deren Name mit Ehrfurcht ausgesprochen wurde.

Häuser auf Sylt

Günter Gaus, Fritz J. Raddaz, Ingrid Kolb, Michael Jürgs. Die einen Sack voll Geld verdienten und auf Sylt Häuser hatten. Die bis in die Ressortleiter-Position hinein einen Firmenwagen bekamen und unbegrenzte Spesenbudgets. Verlagshäuser, die für ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen Masseure beschäftigten und deren Kantinen auf Restaurantniveau kochten. Menschen, die lebten, wie die Zeitschriften, die sie schufen, es zeigten: modern, geschmackvoll, großzügig. Gruner + Jahr, mit dem frischen, apfelgrünen Logo, schien wie die Blaupause einer Wunschgesellschaft: gebildete Menschen mit Gesellschafts- und Gemeinsinn und einem für Kunst und Kultur. Kritische Geister, die für ihren Arbeitgeber und den Journalismus mitunter alles geben und im Gegenzug mit Respekt und sehr anständiger Bezahlung entlohnt werden.

Das Hörzu-Kind stand voll Ehrfurcht vor dem Spiegel- und dem G+J-Verlagsgebäude und schaute die Jour­na­lis­t*in­nen an, als wäre der Blick die Möglichkeit, sich etwas davon zu eigen zu machen. Als würde die Antwort sichtbar, wie es möglich ist, dort zu arbeiten.

Meine Berührungspunkte mit G+J begannen, als der Verlag noch im legendären „Affenfelsen“ an der Alster saß. Kurz vor dem Umzug in das Verlagshaus am Baumwall hatte meine Freundin, die dort eine Ausbildung zur Verlagsfrau machte, kleine Jobs für mich.

Hübsche Briefmarken besorgen, sicherzustellen, dass die Barkasse, auf der der Vorstandsvorsitzende Gerd Schulte-Hillen mit Gästen herumschippern wollte, tipptopp war. Gäste mit den Architekten des neuen Verlagsgebäudes durch den Rohbau zu führen. Ich war Anfang 20, begann das Abitur nachzumachen und wollte Journalistin werden.

Auf der schwarzen Liste

Als ich Journalistin war, begann ich über Gruner + Jahr zu schreiben. Einer meiner ersten Texte war über „Brigitte TV“ beim NDR. Es war die erste Kooperation zwischen einem privatwirtschaftlichen Unternehmen und einem öffentlich-rechtlichen Sender. Mein Verständnis vom Wesen der Öffentlich-Rechtlichen war erschüttert. Mein Schreiben entsprechend. Irgendjemand steckte mir, dass ich nun dort gelandet war, was es offiziell bei der Brigitte nicht gab: auf der schwarzen Liste. Anne Volk, die legendäre Chefredakteurin, hatte die Sanktion verhängt.

Ich war überrascht über so viel Kleingeist, später hat ihre Nachfolgerin erneut Anlass gefunden, den Bann über mich zu verhängen, aber das musste mich nicht kratzen. Ich war gut im Geschäft, und bei Gruner gab es genügend Leute, die sich zwar über meine Arbeit als Medienjournalistin (vor allem für die taz) ärgerten, die mich aber trotzdem beschäftigten. Für ihre Blätter, an der Henri-Nannen-Schule.

Ich habe mich über die Jahre an Gruner + Jahr abgearbeitet. In meiner taz-Kolumne „Die Kriegsreporterin“ verging kaum eine Woche, in der ich nicht etwas aufgespießt habe, das für die leise Verabschiedung vom hehren Journalismus stand. Es sind nicht einmal die Hitler-Tagebücher, die ich dem Verlag ankreide. Das hätte wohl jedem der Häuser passieren können. Nein, was ich dem Verlag bzw. seinen Verantwortlichen übel nehme, ist der Verrat am Journalismus, den das Haus begangen hat. Zunächst durch Dummheit, dann durch Mutwillen.

Die Dummheit kam vor allem in der Schlaftrunkenheit eines Bernd Buchholz daher, heute Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein, FDP. Als G+J-Vorstandsvorsitzender erfreute er sich seiner roten E-Gitarre im Büro, verpennte aber die Umstellung auf Strom in der Publizistik, sprich die Digitalisierung. Seine gut drei Jahre Amtszeit verbrachte er sonst womit, nicht aber damit, das Haus zukunftstauglich zu machen.

Zwischen Yoga und DIY

So war es vor allem seine Nachfolgerin Julia Jäkel, die in rascher Geschwindigkeit den Verlag zumindest einigermaßen flott machte. Was nicht heißt, dass der Journalismus gefördert wurde. Im Gegenteil. Schnell stellte Jäkel die Financial Times Deutschland ein. Unter ihr und einem sich aus den Häkelfäden seiner Position als Brigitte- Chefredakteur befreienden Stephan Schäfer wurde vor allem in Richtung „Geschäftsfelder“ gedacht. Ein „Inhaltehaus“ wollte man sein. Immer schamloser wurden die Kooperationen mit der Industrie, die nun „Werbepartner“ hieß, immer dümmer die Publikationen, ob print oder online. Mit Journalismus hatte das nicht mehr viel zu tun, wenn die Befindlichkeit von Frauen zwischen Yoga und DIY verortet wurde und das Glück, sich in der Achtsamkeit des Milchschaumaufgießens gefunden zu haben, mit einem neuen Living-Magazin veredelt wurde.

Geld musste nach Gütersloh geschafft werden. Wie ein nach Blut gierender Drache saß dort der mittlerweile alleinige Eigentümer, der Bertelsmann-Konzern, zu dem auch RTL gehört, und sog ab, was in Hamburg erwirtschaftet wurde.

Julia Jäkel mag in ihrer Rolle als Vorstandsvorsitzende die Erste im Staate gewesen sein, aber mit jedem Jahr, das Stephan Schäfer als Geschäftsführer an ihrer Seite wirkte, verlor der Verlag an journalistischem Gewicht und Relevanz. Redak­tionen wurden aufgelöst und zusammengelegt, die Honorare für Freie immer winz- und witziger, eine Geschichte in x Publikationen ausgespielt, die inhaltliche Verantwortung etwa der zur „Eltern Family“ gehörenden Medien einem BWLer unterstellt, und der Stern hat nicht einmal mehr eine eigene Politikredaktion. Und während es ein Witz ist, dass der – zumindest in der äußeren Wahrnehmung – wichtigste Journalistenpreis, der Henri-Nannen-Preis, noch immer in der Hoheit der Stern-Redaktion liegt, wissen selbst Journalistinnen und Journalisten oft nicht, wie die Person heißt, die aktuell den Stern leitet. Und erst recht nicht, dass es zwei Personen sind.

Der überraschende und plötzliche Abgang von Julia Jäkel letztes Jahr, für den sich wenig Erklärung finden ließ, lässt sich jetzt lesen. Man kann denken, dass sie das Aufgehen in RTL nicht mittragen wollte. Oder auch, dass sie gegenüber dem Buddy-Business von Stephan Schäfer und Bertelsmann-Vorstand Thomas Rabe den Kürzeren gezogen hat.

Arbeitsverdichtung bis zum Gehtnichtmehr

Es macht den Anschein, als sei der einstige Vorzeigeverlag in den letzten Jahren gezielt auf RTL-Level herabgewirtschaftet worden. Sukzessive hat Stephan Schäfer den Verlag auf ein Niveau geführt, in dem das „Inhaltehaus“ in einem Fernsehsender vom Format eines Ein-Euro-Shops aufgehen kann, ohne dass es rumpelt. Auch rumpelnde, also sich querstellende Mit­ar­bei­te­r*in­nen sind bei der Gründung von „Deutschlands größtem Entertainmentunternehmen“ (Eigenwerbung) nicht zu erwarten.

Die meisten G+J-Journalist*innen haben schon in den letzten Jahren Arbeitsverdichtung bis zum Gehtnichtmehr hingenommen; wie auch mit befristeten Verträgen an der Leine gehalten zu werden und jenseits aller journalistischer Ethik und Anstand die Interessen der „Werbepartner“ in den Publikationen unterzubringen. Jetzt halt was mit Medien im Entertainmenthaus.

Ich habe vor zwei Jahren meinen Beruf als schreibende Journalistin aufgegeben. Ich habe keine Perspektive mehr für mich darin gesehen. Seit ein paar Tagen lautet der erste Satz des Wikipedia-Eintrags von G+J: „Gruner + Jahr war ein Medienunternehmen mit Sitz in Hamburg“. Das tut weh. Sehr.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • ... G & J Zeit ist (selbstverschuldet) vorbei. Schade, sehr schade. Genauso schade wie der Niedergang des privatwirtschaftlichen unabhängigen Presse-Grossandels, dessen baldigen



    Exitus die Großverlage, Hand in Hand mit dem schwachen Kartellamtspräsidenten, besiegeln.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Sie lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord…

    G+J in höchster Not.



    Ein Luxusdampfer, schon fast tot,



    holt Synergie ins Rettungsboot.



    Mit BWL und RTL



    ging die Übernahme schnell.



    Qualität, die fliegt von Bord.



    Erklärung gibt’s mit einem Wort



    zum Sonntag von der Medienfront.



    Silke wieder sehr gekonnt:



    „in dem das ‚Inhaltehaus‘ in einem Fernsehsender vom Format eines Ein-Euro-Shops aufgehen kann,“

  • als ich 1981 mit meinem Foto-Design.-studium begann ,waren Hat Geographic, Geo und der Stern die Gipfel des Olymp. Abr Geschichten vom Marktweglaufen ,damit sie kein anderer publiziert, Storys ablehnen und die aber 4 Wochen später als Eigengewächs nachfotografiert selbst zu publizieren, nicht einhelantend Zusagen, an die sich niemand mehr erinnert, arrogantestmögliche Bildredakteure, tragischerweise bis zuletzt als Dozenten für Bildjournalismus unterwegs und ArtDirectoren, auf sehr hohem Rosse reitend, alles selbst erlebt. Das Ende der Printausgabe ist nur noch eine Frage der Zeit.

  • "Es macht den Anschein, als sei der einstige Vorzeigeverlag in den letzten Jahren gezielt auf RTL-Level herabgewirtschaftet worden. "

    Es wird wohl kaum das Ziel der Eigner von G&Jahr gewesen sein, Miese zu erwirtschaften.

    Es zeigt sich bei der Entwicklung von G&J die allgemeine Entwicklung der Printmedien, die durch Online-Medien verdrängt werden.

    Der Zusammengang mit RTL ist nichts weiter als der Versuch durch Zusammengang neue Stärke zu gewinnen und die sogenannten Synergien mit ins Boot zu holen.

  • Groß geworden bin ich auch als HörZu-Kind, noch mit Mecki. Mein erster selbstgekaufter Stern war der mit Günther Wallraffs Enthüllungen über die Bild-Zeitung (Herbst 1977). Und plötzlich kam ich mir ziemlich erwachsen vor, so eine tolle (und auch schon legendäre) Zeitschrift zu lesen. Dem Stern habe ich dann für die nächsten 15-20 Jahre viel zu verdanken, ich habe viel gelernt und kennengelernt. Natürlich hatte ich auch das Heft mit den Tagebüchern, es fiel mir damals schon schwer, das alles zu glauben.



    Doch irgendwann begann der Stern sich langsam, aber sicher zu verändern, es wurde flacher und seichter.



    Vor kurzem habe ich mir nach sehr langer Zeit nochmal eine Printausgabe gegönnt. Unfassbar, in welche Tiefen (von Niveau verbietet sich zu sprechen) der Stern inzwischen abgesunken ist.Wie so häufig ist eine sehr starke BURDAisierung zu erkennen; grenzenlose Flachheit, in der selbst der ungeübteste (geistige) Nichtschwimmer frei bewegen kann.

    Ganz viele Aussagen in dem Artikel kann ich sehr genau nachvollziehen, auch zur Brigitte, meinem ehemals sehr geliebten GEO, von Ausgabe 1 an verfolgt, und vielem mehr. Deswegen geht es mir auch sehr ähnlich, es tut doch ziemlich weh, so etwas mit ansehen zu müssen.

  • Prima Artikel!

  • Das wird bei G+J nicht stehen bleiben. Dazu ging es dem Verlag lange zu gut, da schleichen sich Machtstrukturen und eine Hochnäsigkeit ein, die dann schnell zum freien Fall umschwängt. Ich muss aber sagen, dass ich das letzte Mal vor etlichen Jahren ein G+J-Produkt kaufte. ich weiß einfach nicht, was ich dabei gewinne. Für eine Bahnfahrt sind mir taz und spiegel, besser noch ein Buch doch lieber. Aber es waren viele liberale, demokratische und gute Journalisten am Werk, das wird dann fehlen. Und diese Entwicklung stärkt am Ende immer den öffentlich rechtlichen, weil die sich über Zwangsmittel finanzieren. Es kann denen ziemlich egal sein, wie sie sich verkaufen, aber verkaufen tun die sich an die Politik und diese Machtgruppen, die sich da manifestieren dürfen und sollen. G+J hatte auf der betriebswirtschaftlichen Ebene immer einen Zug zur FDP ...

  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    Da würde ich schnell noch den ComputerChannel beisteuern, den G&J vor allem in München 1999 aus dem Boden stampfte - aber 2001 wieder einstellte, weil die betriebswirtschaftlichen Erwartungen nicht erfüllt wurden.

    Also bei der Digitalisierung wäre er schon dabei gewesen und da wäre auch was daraus geworden, wenn man halt eine Spur Geduld gehabt hätte...

    Das passiert, wenn Kaufleute Journalismus machen...