Draußen vorm Balkon: Birds don’t come easy to me
Bei der Stunde der Wintervögel sollen alle zu Forscher*innen werden und Vögel vor ihrer Haustür beobachten. Wir haben es ausprobiert.
BREMEN taz | Werde ich eine Heckenbraunelle vom Hausrotschwanz unterscheiden können? Einen Buchfink vom Bergfink? Etwas aufgeregt bin ich beim Schritt auf den Balkon: Heute bin ich Bürgerforscherin. Vom 6. bis zum 9. Januar sollen Freiwillige bei der „Stunde der Wintervögel“ für den Naturschutzbund (Nabu) Vögel vor ihrer Haustür zählen.
Ob die Vögel das wissen? Sie lassen sich jedenfalls nicht blicken. Der Innenhof, pardon, Hotelparkplatz hinter unserem Haus wirkt ohnehin nicht wie ein Vogelparadies. Aber schließlich weiß ich ja, dass sich hier im Kirschbaum sonst die Amseln versammeln und die Spatzen schwatzen. Heute aber steht der kahle Baum nur verwaist im Regen.
Zehn Minuten vergehen, ganz ohne Vögel! Ein Blick aufs Handy belehrt mich eines besseren: Ich sitze erst seit drei Minuten hier draußen. Die Zeit vergeht langsam, wenn es wenig zu sehen gibt und erstaunlich kalt ist. Im Sommer fliegen hier die Schwalben und schreien ihr langes Sriii! Die sind jetzt im Süden, schon klar.
Aber wo bitte sind zumindest die Tauben? Wie oft musste ich im letzten Jahr aufspringen, um die gurrenden Pärchen zu vertreiben, die direkt auf unserem Balkon ein Heim finden wollten? Jetzt sind sie nichtmal bei Nachbars zu sehen, wo sie sonst ein fröhliches Vogelleben führen und aufgepäppelt werden.
Bürgerforschung erzieht zu Bescheidenheit
Kurz denke ich darüber nach, aufzugeben oder mir eventuell etwas auszudenken, einen Steinschmätzer vielleicht, einen Eisvogel, einen Bartgeier! Aber ach, ich besinne mich aller je gesehenen Naturdokus, gedenke der Geduld aller Naturforscher – und harre tapfer aus.
Da endlich! Eine Möwe! Zwei! Vier! Auf der Liste mit den 35 häufigsten Gartenvögeln, die der Nabu als Identifikationshilfe herausgegeben hat, finde ich die Möwe nun nicht, aber ich habe mich vorab ja auf alle möglichen Exoten gut vorbereitet und zusätzlich die App heruntergeladen. Doch es beginnen neue Probleme. Sobald ich auf eins der Möwenfotos klicke, kommen mir Zweifel: Im Winter, zeigen mir die Bilder, müsste diese Art anders aussehen. Das ist nicht meine Möwe!
Nervosität setzt ein. Was, wenn ich Fehler mache? Forschung falsch, Fake News in der Welt, Bremen wird Möwenschutzgebiet? Die FAQ des Nabu rät mir, die Vögel wegzulassen, wenn ich sie nicht bestimmen kann. Frustrierend; was, wenn es meine einzigen Vögel bleiben und ich sie nicht angeben darf? Ich gehe noch einmal alle Möwen durch: So feine Schwingen im Flug, so schwarze Spitzen unter den Flügeln, wie diese vor meinem Balkon hat auf den Fotos nur die Sturmmöwe. Sie ist es! Nennt mich Ornithologin.
Auch Vögel mögen keinen Regen
Endlich hört auch der Regen auf. Zwei Straßentauben tauchen auf (Straßentauben, Columba livia forma domestica), auf der Birke bei Nachbars sitzen zwei Krähen (Rabenkrähen, Corvus Corone); und da, nicht allzu weit, wippt eine Amsel mit ihrem Bürzel (auch: Schwarzdrossel, Turdus merula). Die Möwen kreisen weiter, aber nie mehr als vier: vier also gilt, so ist die Regel bei der Nabu-Vogelzählung.
Ein Vogel fehlt. Ich höre sein heller werdendes T-ri-ri-ri-ri-ri immer wieder, aber zeigen tut er sich nicht. Die Tonerkennung der Nabu-App verweist mich erst auf den Grünfink, dann auf die Kohlmeise, dann auf – die Nebelkrähe? Euer Ernst? Na ja. Bürgerforschung hat halt Grenzen.
Leser*innenkommentare
el_Andreas
Wir wohnen in einer Kleinstadt mit Blick in den Garten und füttern den ganzen Winter durch am Vogelhaus und mit Meisenknödel und habe deswegen Zulauf. Dominant sind Amseln und Sptzen, Meisen, Straßentauben und Finken.
Letztes Jahr kam genau in der Zählstunde ein Grünspecht der sonst das ganze Jahr nicht sichtbar ist.
Wenn man mal angefangen hat auf die Vögel zu achten, sieht man immer mehr.
Ich konnte auch schon in der Großstadt vom Büro aus (Gewerbegebiet, 4 Stock, aber begrünte Dächer) schon einiges bebachten.
Tinus
Ja, das Vögelbestimmen ist nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Dennoch, immer noch das Einfachste.
Versuchen Sie mal die Fliegenarten in ihrem Heim zu bestimmen oder das Unkraut in den Blumentöpfen, auch alles wichtige Biodiversität. Da wird's dann echt schwierig. Aber es zwingt zum genauen Hinschauen und weckt Fazination für das große Granze.
Was wir erstaunt betrachten, werden wir nicht zerstören. Tolle Aktion vom Nabu!!!!
Beate Homann
Genau! Mauersegler, meine Lieblingsvögel, meine Sommerboten. Sie tauchen mit ihren Schreien immer exakt in der ersten Maiwoche ganz oben am Himmel über meinem Balkon auf und ebenso pünktlich verschwinden sie in der ersten Augustwoche und lassen mich mit meiner Trauer über das Sommerende zurück. Ich beobachte, dass der Pulk der eleganten Flugkünstler und Luftbewohner kleiner und kleiner geworden ist...
petermann
" Im Sommer fliegen hier die Schwalben und schreien ihr langes Sriii!"
Das waren Mauersegler!