Unrechtsregime in Kambodscha: Aktivistin Theary Seng klagt an
Mit schillernden Aktionen prangert die Menschenrechtlerin die Diktatur an. Zuletzt mit einer Protestaktion vor dem Amtssitz von Ministerpräsident Hun Sen.
Sengs Umweg wäre keine Schlagzeile wert gewesen, hätte sie dabei nicht orange Gefängniskleidung aus der Zeit des Terrorregimes (1975–78) und dazu barfuß damalige schmiedeeiserne Fußfesseln getragen. Damit konnte die Menschenrechtsaktivistin, die von einer früheren Protestaktion noch den Kopf kahl geschoren hatte, nur demonstrativ langsam gehen.
Weil in Kambodscha jeder die Anspielung der 51-Jährigen auf Hun Sen versteht, der sie und andere wegen ihrer Proteste gegen das Verbot der wichtigsten Opposionspartei vor Gericht bringen ließ, griff die Polizei sofort durch. Sie zerschlug Sengs Smartphone, mit dem sie sich gerade selbst für die sozialen Medien filmte, zwängte sie in ein Fahrzeug und brachte sie zur nächsten Wache. Doch viele Journalist*innen wurden Zeugen der Szene, deren Aufnahmen bald kursierten.
Nach einem Verhör wurde Seng zum Gericht geschickt. Dort musste der Richter zähneknirschend ihre Kleidung akzeptieren, zwang sie aber, die Metallfesseln abzulegen. Im Oktober war sie vor diesem Gericht, bei dem sie des Aufruhrs angeklagt ist und mit bis zu zwölf Jahre Haft rechnen muss, in der Kleidung einer traditionellen kambodschanischen Apsara-Tänzerin erschienen. Damit zeige sie, dass der Prozess „politisches Theater“ sei, erklärte sie. Bei einer anderen Verhandlung erschien sie, ebenfalls aus Protest kahl geschoren, demonstrativ im westlichen Anzug mit Krawatte.
Genozid forderte mehr als eine Million Tote
Die 51-Jährige ist selbst promovierte Juristin. Als sie sieben Jahre alt war, wurden ihre Eltern und andere Verwandte von den Roten Khmer ermordet, deren Genozid mehr als eine Million Tote forderte. „Ich habe im Gefängnis mit meinen Eltern Häftlingskleidung und Fußfesseln tragen müssen“, sagte sie einem Journalisten kurz vor der Festnahme am Dienstag.
1979 gelangte sie neunjährig in die USA. Deren Staatsbürgerschaft hat sie noch heute neben der kambodschanischen. Der US-Hintergrund, verbunden mit den in ihrer Generation in Kambodscha raren Englischkenntnissen, machte sie zur Gesprächspartnerin für westliche Medien.
Zwar gibt es auch andere mutige Aktivist*innen, die Hun Sen samt Handlangern Paroli bieten. Aber Seng erregt mit ihren schrillen Aktionen immer wieder internationale Aufmerksamkeit und weist auf die Bedrohungen zivilgesellschaftlicher Aktivist*Innen hin.
Das ist wichtig für das kleine Land, an dem fast nur noch China interessiert scheint. Viele wollen Kambodscha wohl lieber vergessen, schließlich haben sich auch westliche Staaten, allen voran die USA, an den dortigen Verbrechen mitschuldig gemacht. Auch darauf weist Seng, die sich seit Jahren für die Opfer der Roten Khmer, einsetzt, immer wieder mit Aktionen hin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke