Referentin über Entwicklungsarbeit: „Problematische Besserwisserei“
Wie lässt sich Entwicklungszusammenarbeit frei von Rassismus gestalten? Virginie Kamche vom Afrika Netzwerk Bremen hält darüber einen Online-Vortrag.
taz: Frau Kamche, kann man von Menschen, die sich in der Entwicklungszusammenarbeit engagieren, nicht einfach erwarten, dass sie nicht rassistisch sind?
Virginie Kamche: Meine Bedenken liegen bei den Begriffen. Wer sind die Benachteiligten? Nach welchen Kriterien sagt man, jemand ist benachteiligt? Wer entwickelt wen? Ich würde über Partnerschaft auf Augenhöhe reden, statt über Entwicklungszusammenarbeit. Jeder weiß, was für ihn gut ist. Aber dann kommen Menschen, die keine Ahnung von den Bedürfnissen vor Ort haben, und sagen: „Wir haben etwas für euch konzipiert. Das soll so aussehen.“ Dieses Unverständnis ist für mich problematisch.
Ist es rassistisch?
Ich möchte das Wort Rassismus in dem Fall vermeiden. Es ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Wir lernen voneinander. Jeder kennt seine Bedürfnisse. Es kann nicht funktionieren, wenn jemand sagt: „Wir wissen besser, was für euch gut ist.“ Zum Teil begegne ich Menschen, die sagen: Lass uns zusammen auf Augenhöhe arbeiten. Aber andere haben ein Konzept und sagen: Ihr seid nur für die Umsetzung da. Auch, wenn man widerspricht, sagen sie: Doch, das muss so sein, wir denken, das ist gut für euch. Diese Menschen lassen nicht mit sich reden.
56, ist Fachpromotorin für Migration, Disapora und Entwicklung im Afrika Netzwerk Bremen.
Wie muss Entwicklungszusammenarbeit aussehen, um dabei keinen Rassismus zu reproduzieren?
Die sogenannten „Benachteiligten“ müssen involviert werden. Wie können wir das Problem gemeinsam lösen? Und nicht denken: Ach, gerade werden im Globalen Süden überall Brunnen gebaut, dann brauchen sie wohl Brunnen. Aber vielleicht brauchen sie etwas anderes. Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem, so für andere zu bestimmen. Überzeugt zu sein, dass das gut sein muss.
Welche Entwicklungen nehmen Sie in der Entwicklungsarbeit der letzten Jahre wahr?
Eine Verbesserung. Es gibt Projekte wie das Eine-Welt-Promotor*innen-Programm in Bremen, das ich leite. Der Koordinator Christopher Duis ist nah bei den Promotor*innen und hat ein Ohr dafür, wie man es besser machen kann. Die Umsetzung braucht noch Zeit, wir sind aber auf einem guten Weg. Man hat gelernt, mit der Zivilgesellschaft zu arbeiten, das gab es früher nicht. Man macht sich Gedanken, dass die Leute sich nicht gekränkt fühlen. Stellt Fragen: Was können wir tun, damit das besser wird?
Online-Vortrag „Rassismus in der heutigen Entwicklungszusammenarbeit“: 21. Dezember, 18 Uhr via Zoom, Anmeldungen unter anmeldung@ben-bremen.de
Wie kann ein „Raum zum Zuhören“, wie er in der Veranstaltungsreihe entstehen soll, helfen?
Es wird helfen, indem er die Möglichkeit für eine Auseinandersetzung mit dem Thema gibt. Bei Entwicklungszusammenarbeit geht es um das Voneinanderlernen, damit ein Perspektivenwechsel stattfindet. Es wird ein Raum geschaffen, der einen Dialog ermöglicht. Was gefällt euch nicht, wie können wir Projekte gemeinsam planen und nachhaltig gestalten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!