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Neue Agrarstaatssekretärin Silvia BenderAgraringenieurin und trotzdem öko

Umweltschützerin Silvia Bender wird Staatssekretärin im Bundesministerium für Landwirtschaft. Kein Bauer kann ihr vorwerfen, sie habe kein Fachwissen.

Silvia Bender hat die Expertise, die dem Sozialpädagogen Özdemir bislang fehlt Foto: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Berlin taz | Silvia Bender hat Ahnung von Landwirtschaft, und dieses Fachwissen hat ihr wahrscheinlicher neuer Chef bitter nötig. Der designierte Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) will die ehemalige Artenschutzexpertin des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) dem Vernehmen nach zur beamteten Staatssekretärin ernennen. Die zukünftige starke Frau im Ministerium an der Berliner Wilhelmstraße hat das Fachwissen, das dem Sozialpädagogen Özdemir bislang fehlt.

Bis zu seiner Nominierung für das Ressort war der Grüne eher mit Äußerungen zur Außen- und Verkehrspolitik aufgefallen, aber nicht zu Bauern, Tieren und Pestiziden. Und auch nach Bekanntgabe seiner künftigen Tätigkeit kündigte Özdemir nur sehr vage an, mehr für Klima-, Arten- und Tierschutz in der Landwirtschaft zu tun.

Bender kann helfen, das zu präzisieren. Die vor 51 Jahren in Bonn Geborene ist seit November 2019 Staatssekretärin in Brandenburgs grünem Landwirtschaftsministerium. Kein Bauer kann ihr vorwerfen, sie sei fachlich nicht auf der Höhe: Sie hat Agrarwissenschaften mit dem Schwerpunkt Naturschutz und Landschaftsökologie studiert.

Das passte zu ihrem späteren Job als Leiterin des Berliner Büros von Deutschlands größtem Ökobauernverband Bioland. Fast zwei Legislaturperioden war die Agraringenieurin Referentin für Landwirtschaft der Grünen im Bundestag. Erfahrung in Behörden sammelte sie ab 2014 als Referatsleiterin des rheinland-pfälzischen Umweltministeriums und eben als Staatssekretärin in Potsdam.

So eine Karriere im Grünen-Milieu ist schon ungewöhnlich im Bundesagrarministerium, das eng vernetzt mit dem konservativen Bauernverband und der CDU ist. Auch unter CDU-Ministerin Julia Klöckner blockierte es regelmäßig effiziente Maßnahmen gegen das Insektensterben und Tierqualen in deutschen Ställen.

Verständnis für Bauern mit Existenzängsten

„Die Lage für eine Transformation war noch nie so gut wie heute“, sagte Bender bei einer Veranstaltung am Donnerstag in der taz-Kantine. Die Noch-Brandenburger Staatssekretärin begründete das mit der sich verändernden Perspektive der Bauern, die nicht nur Mitverursacher, sondern auch Opfer der Klimakatastrophe seien. Die politischen Rahmenbedingungen müssten so geändert werden, dass sie mit guten, regionalen Produkten sowie mit Klima- und Artenschutz Geld verdienen können.

„Es darf nicht allein darum gehen, ihnen den entgangenen Nutzen auszugleichen“, so Bender. Sie hat also nicht nur den Umweltschutz im Blick. Bender geht auch auf Bauern zu, die um ihre berufliche Existenz fürchten, wenn sie tier- und naturfreundlicher und damit teurer produzieren müssen.

Zu tun gibt es für Özdemir und Bender jede Menge: Die Bauern belegen die Hälfte der deutschen Landfläche, vor allem belasten sie das Grundwasser mit dem potenziell gesundheitsschädlichen Nitrat aus Düngern. Außerdem sind sie maßgeblich dafür verantwortlich, dass immer mehr Pflanzen- und Tierarten aussterben. 13 Prozent der Treibhausgase kommen laut Umweltbundesamt aus der Landwirtschaft.

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15 Kommentare

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  • Die Bauern belegen die Hälfte der deutschen Landfläche, damit produzieren sie netto etwa 85% der benötigten Nahrungsmittel für die Deutschen. Wenn jetzt extensiver produziert wird und mehr Flächen unter Naturschutz gestellt werden, wo wachsen unsere Nahrungsmittel dann? Muss dann für unsere Nahrung Regenwald gerodet werden?

    • @Bernhard Hellweg:

      Nur mal so: für deutsche Omnivore und Tierproduktexporte ist bereits Regenwald gerodet worden. Futtermittelanbau wie Soja in Brasilien ist Praxis und Realität seit vielen Jahren. Wenn die Tierproduktion mit seinem gigantischen Flächenverbrauch zurückgefahren werden würde und auf Energieeinsparung und Effizienz (Ausbau von Bahn und ÖPNV, Reduzierung von Flügen, Kreuzfahrten und Auto) gesetzt würde um Biomasseanbau für Biofuels und Biogas zu vermeiden. Mensch kann auch selbst einen Beitrag leisten und positiv vorangehen und die eigene Ernährung auf vegan umstellen.

      • @Uranus:

        Soja wächst vom Süden Kanadas bis nach Patagonien, am wenigsten aber im Regenwald. Dieses Klima mag Soja gar nicht. Der Regenwald wird abgeholzt weil unsere Netto-Selbstversorgung mit Nahrung sinkt und sie sinkt weil unsere Landwirtschaft immer mehr Auflagen ausgesetzt ist. Jede Auflage mehr bei uns und jedes ha Öko-Landbau mehr, schadet direkt den Regenwald. Irgendwo muss unser Essen ja wachsen.

      • @Uranus:

        Wann fangen wir mit den Maßnahmen an? In der derzeitigen Situation weniger zu produzieren, hieße Produktion ins Ausland zu verlagern. Wenn wir hier weniger Tiere halten, heißt das nicht dass hier weniger Tiere gegessen werden.

  • "13 Prozent der Treibhausgase kommen laut Umweltbundesamt aus der Landwirtschaft" - nicht so viel, wenn wir bedenken, dass 100 Prozent von uns das dort Produzierte essen.... - aber ja, richtig, es wohnen auch 99 Prozent von uns in den Betonwänden der COzwei-Schleuder Zementindustrie, 100 Prozent verbrauchen (Braunkohle)Strom... Nur: So zu tun, als hätten Monokulturen Nitrat Gülle Methan etc. eigentlich nur was mit dem Verhalten der Landwirtinnen, aber eigentlich nix mit UNS allen zu tun und der Tatsache, dass wir was zu essen brauchen, is halt etwas einfach ...

    • @lesnmachtdumm:

      Sicherlich haben beide Seiten ihren Anteil am ökologischen Ergebnis. Wobei bspw. noch Argochemie, Agropharma, Supermarktketten, Ideologien in Parteien und Wähler*innen hinzukommen und einbezogen werden müssten. Langfristig machte es wenig Sinn die Schuld hin und herzuschieben. Allerdings sollte auch gesehen werden, wo es Spielräume gibt. Das sind weniger ein Teil der Landwirt*innen, die aufgrund Kapitalbegrenzungen und Marktkonkurrenz auf Kante genäht planen müssen und weniger Konsument*innen, die ein so geringes Einkommen haben, dass sie sich die billigsten Nahrungsmittel kaufen müssen. Viel Kapital und entsprechend mehr Handlungsspielräume hingegen gibt es in Agroindustrie, -chemie, pharma und Supermarktkonzerne sowie bei Wohlhabenderen. Bleibt abzuwarten, was nach dem sozialökologisch diplomatisch ausgedrückt mäßigem Wahlergebnis von der Koalition unter Lobbyismuseinfluss erreicht werden kann. Meine Erwartungen sind nicht hoch.

  • Herr Maurin, bitte erklären Sie mir was " belegen " bei der Nutzfläche bedeutet. Nutzen die Landwirte die Flächen unrechtmäßig ? stören sie andere weil sie die Fläche " belegen " ?



    Auf den 50 % der Fläche die in Deutschland für Lebensmittel und Energie ( 14% der Fläche ) genutzt werden entstehen 13 % der Treibhausgase, also wird auf der anderen hälfte der Fläche 87% der Treibhausgase erzeugt, da ist natürlich klar das nur die Landwirte die Schuldigen sein können.

    • @Günter Witte:

      Ach, Herr Witte, was Sie da so hinein interpretieren. Da steht doch, dass die Landwirtschaft für 13 % der Treibhausgase verantwortlich sind, nicht für 100 %. Dass Monokulturen und Pestizideinsatz Pflanzen- und Tierwelt gelinde gesagt negativ beeinflussen, dürfte doch auch schwer von der Hand zu weisen sein. Wie wäre es, konstruktiv für das eigene handeln Verantwortung zu übernehmen, anstatt sich in die Opferrolle zu begeben? Zumal doch logisch ist, dass ökologische Landwirtschaft bezüglich Erhalt der Artenvielfalt besser dasteht als Agrarindustrie und entsprechend für das Artensterben weniger verantwortlich (zu machen) ist. Allerdings hat diese einen kleinen Anteil an der Gesamtlandwirtschaft. Die Grünen wollen diesen erhöhen -> siehe auch Agrarwende. Bleibt abzuwarten, was sie bewirken können.

      • @Uranus:

        Zur ihrer Erklärung :



        Auf der einen hälfte in der in Deutschland, Lebensmittel und Energie erzeugt werden, entstehen 13% der Treibhausgase, auf der anderen hälfte MÜSSEN dann also 87% der Treibhausgase erzeugt werden, WARUM setzt man da nicht bei den größeren Verursachern an ??



        Übrigens gibt es auch im Bio-Anbau Monokulturen, weil wenn der Bio Landwirt z.B. Weizen anbaut möchte er auch Weizen ernten.



        Aber der entscheidende Punkt bleibt das Geld. Durch das EEG zahlen wir in Deutschland die höchsten Strompreise in Europa, dann müssen wir das halt beim Essen auch so machen. Durch höhere Erzeugerpreise könnte jeder Landwirt, Bio oder Konventionell, Flächen für den Artenschutz brachliegen lassen, was den Insekten sehr helfen würde. Nur das dieses nicht umsetzbar ist da Deutschland keine Insel ist und das Essen bei uns IMMER billig SEIN muss.

        • @Günter Witte:

          Sie sehen aber schon, dass es im Rahmen des Klima/Existenzschutzes um eine generelle Treibhausgasreduktion gehen muss und hiervon der Landwirtschaftssektor nicht ausgenommen werden kann? Ihre Argumentationsweise führt in letzter Konsequenz zu nichts konstruktivem. Sie könnten genauso gut das ebenso problematische Argument aufgreifen, dass Deutschland nichts tun bräuchte, da dessen Anteil von 2 % am Weltweiten Treibhausgasemissionen gegenüber dem von China und USA klein sei. Ihre Argumentation, Whataboutism, dient der Abwehr. Dabei ist es erwiesen, dass jetzige Tierproduktionsmenge enormen Flächenverbrauch, Treibhausgasemissionen sowie Pestizideinsatz bedeuten.



          Dass es im Bio-Anbau auch Monokulturen gibt, ist mir bewusst. Im Ökolandbau gibt es allerdings, meine ich, zumindest mehr Vorgaben für Blühstreifen etc., die zudem wenigstens weniger gefährlicherem Pestizideinsatz ausgesetzt sind. Es ist eine Frage der Ausgestaltung der Agrarwende würde ich sagen. Diese müsste die Nahrungsmittelerzeugungsweise beinhalten wie auch die Bezahlungsweise für Landwirt*innen.

  • Lieber Jost Maurin,



    eine selten merkwürdige Überschrift im Jahr 2021......

    Silvia Bender hat ein gute Ausbildung, steckt seit Jahrzehnten in der Bio-Landwirtschaft uns ist ein sehr netter Mensch. Good luck!!!!!!!!!!!

  • Sachverstand ist immer gut! Auch und gerade in einer solchen Position. Der letzte grüne Agrarstaatssekretär, an den ich mich erinnere, war Matthias Berninger im Ministerium von Frau Künast, ein studierter Chemiker. Laut wikipedia verantwortet er heute den Bereich Nachhaltigkeit bei der Bayer AG. Die Wege von Frau Bender und ihrem Amtsvorgänger dürften sich daher in den kommenden Jahren häufiger kreuzen, sei es auf einem Parteitag der Grünen, bei der Grünen Woche in Berlin oder beim Ausdiskutieren weiterer grüner Themenkomplexe. Die beiden sprechen das gleiche Fachvokabular und an fehlendem Sachverstand sollte die Diskussion ebenfalls nicht scheitern.

  • Es wird alles richtig spannend! Ich freu mich schon!!! Und es tauchen überall neue Namen auf, denen dann nicht selten hohe Fachkompetenz attestiert wird. Total abgefahren, das.



    Endlich. Mal wieder Politik zum drauf-Freuen - mal sehen, wie lange es hält ...

  • "Kein Bauer kann ihr vorwerfen, sie sei fachlich nicht auf der Höhe ..."

    Auch nicht andere Menschen (Lobbyisten, Forist*innen), die vorgeben, welche zu sein ;-)

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Zum Glück eine Frau mit Sachverstand.



    Weinkönigin können andere!