Neues Teleskop im All: Den Urknall im Blick
Wie sahen Sterne vor über 13 Milliarden Jahren aus? Das soll mit dem James-Webb-Telekop erforscht werden. Wie genau erklärt Ingenieur Peter Rumler.
taz am wochenende: Herr Rumler, nächste Woche soll das James-Webb-Teleskop in den Weltraum geschossen werden. Wo werden Sie während des Starts sein?
Peter Rumler: Im Kontrollraum. Wir von der Europäischen Weltraumorganisation ESA sitzen dort vor einem Bildschirm und kontrollieren die Daten. Die Verantwortung für den Webb-Satelliten hat aber letztlich die Nasa. Und für den Start der Ariane-5-Rakete, mit der der Satellit ins All geschossen wird, das Team von Arianespace. Das heißt, wenn etwas beim Start nicht stimmt, können nur die eingreifen oder den Countdown stoppen. Wir haben alles getan, dass die Rakete funktioniert, aber ein gewisses Risiko bleibt immer.
Was passiert nach dem Start?
Etwa 30 Minuten nach dem Start löst sich die Rakete von dem Satelliten, der das Teleskop trägt. Die genauen Daten über die Flugbahn des Satelliten erreichen uns eine weitere halbe Stunde später. Weil der Satellit nicht abbremsen kann, programmieren wir seine Beschleunigung immer etwas zu gering. So können wir auf jeden Fall seine Flugbahn korrigieren. Wenn alles wie geplant läuft, wird nach 12 Stunden nachjustiert, der Geschwindigkeit des Satelliten also ein kleiner Push gegeben. Hat der Satellit die korrekte Geschwindigkeit erreicht, beginnt das Auffalten des Satelliten, was etwa zwei Wochen dauert.
Wie läuft das genau ab?
In den ersten Tagen öffnet sich das Sonnenschild, um den Satelliten auf die notwendige Temperatur von -233° C abzukühlen, auch der Primärspiegel wird entfaltet. Das dauert etwa einen Monat. Dann folgen einige Wochen, in denen die Elektronik und die Mechanik überprüft werden und anschließend die Einstellungen für die wissenschaftliche Arbeit. Die ersten interessanten Fotos erwarten wir schon während der Testphase nach zwei oder drei Monaten. Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit aber kann erst nach etwa sechs Monaten beginnen.
Was werden wir durch das Teleskop sehen?
Das Webb hat zwei Hauptaufgaben. Das ursprüngliche Ziel war es, das Universum kurz nach dem Big Bang zu untersuchen, der vor etwa 13,7 Milliarden Jahren stattfand. Der Theorie nach hat es danach nochmal rund 500 Millionen Jahre gedauert, bis die ersten Galaxien entstanden. Das Webb ist in der Lage, die Sterne und Galaxien in dem Zustand, in dem sie vor 13,5 Milliarden Lichtjahren Entfernung waren, zu beobachten. Das spielt sich im Infrarotbereich ab, der für das menschliche Auge nicht wahrnehmbar ist, für das Webb schon.
Was kann der Mensch dann überhaupt erkennen?
An Bord unseres Satelliten sind auch Kameras, die den sichtbaren Bereich des Lichts aufnehmen. Die Resultate des Spektroskops sind aber in der Tat Daten aus dem für uns unsichtbaren Infrarotbereich. Wissenschaftler machen dann aus diesen Daten anschauliche Bilder.
arbeitet seit 34 Jahren bei der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA, seit 2004 am James-Webb-Teleskop, für das er inzwischen auch hauptverantwortlich ist. Als Ingenieur leitete er die Entwicklung der Trägerrakete Ariane 5 und des Infrarot-Spektrografen NIRSpec.
Und die zweite Aufgabe des Teleskops?
Die Spektroskope des Webb sind sehr gut geeignet, um Planeten außerhalb unseres Sonnensystems zu beobachten. Immer, wenn ein Planet an seiner Sonne vorbeizieht, sehen wir ihn mit Hilfe des Webb als einen leichten Schatten und können daraus Rückschlüsse auf die Elemente in seiner Atmosphäre ziehen. Damit kann man Planeten suchen, auf denen sich das befindet, was wir unter Leben verstehen: Wasser, das weder verdampft noch gefriert.
Mit Hubble gibt es schon ein Weltraumteleskop. Warum jetzt Webb?
So ist das eben mit der Wissenschaft. Man gibt ihr ein schönes, schnörkelloses Instrument, und daraus ergeben sich 10 Antworten und 100 neue Fragen. Also bauen wir wieder ein neues Instrument. Früher haben wir das Geld in die Kathedralen gesteckt, heute in die Wissenschaft.
Was sind die technischen Unterschiede?
Die beiden Teleskope ergänzen sich und arbeiten parallel. Hubble arbeitet vor allem im sichtbaren Bereich, das Webb dagegen im Infrarotbereich. Es kann also wesentlich weiter ins Universum gucken, und die Auflösung ist 100-mal besser.
Das Webb wurde schon vor 20 Jahren entwickelt. Ist es überhaupt noch state of the art, wenn es nun nach oben geschossen wird?
Alles, was heute in den Weltraum geht, ist immer state of the art. Im Vergleich zur Mikroelektronik auf der Erde ist unsere Technik immer mindestens 10 Jahre hinterher. Durch die hohe Strahlung im Weltraum ginge die Technologie, wie wir sie hier unten benutzen, einfach kaputt. Deswegen muss die Elektronik besonders geschützt werden. Man kann nicht einfach wie mit dem Auto kurz in die Garage fahren und etwas reparieren. Das heißt, man muss sicher sein, dass alles funktioniert.
Gehört das auch zu den Gründen für die Verzögerung des Starttermins und die hohen Kosten des Teleskops?
Sicher. Wir machen ja keine Massenproduktion, sondern hochempfindliche Einzelteile. Daher ist das alles sehr teuer, es gibt quasi keine Ersatzteile. Bei Prototypen darf nichts schiefgehen, sonst müssen monatelange Testverfahren wiederholt werden.
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Erst vor wenigen Jahren hat das erste Bild von einem schwarzen Loch große Aufmerksamkeit erregt. Erwarten Sie, dass das Webb ähnlich spektakuläre Bilder liefert, oder geht es nur um Grundlagenforschung?
Alles, was wir in der Astronomie machen, ist Grundlagenforschung. Wenn wir vorher schon wüssten, was wir entdecken, bräuchten wir keine neuen Instrumente und Teleskope. Aber natürlich wäre es spektakulär, wenn wir sagen könnten: Wir haben in der Atmosphäre eines Planeten Wasser gefunden.
Sie beobachten Objekte, wie sie vor über 13 Milliarden Jahren ausgesehen haben. Verändert das Ihre Zeitwahrnehmung?
Studenten fragen mich das oft so: Wie sieht es da heute aus, was so weit weg und zurückliegt? Die Antwort ist: Wir wissen es nicht. Um das zu wissen, müssten wir noch mal ein paar Milliarden Jahre warten. Das ist zwar bizarr, aber damit müssen wir eben leben: viele Fragen, wenige Antworten.
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