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Empörung über „Rückführungsoffensive“

Die Ampelbeschlüsse zu Migration sind liberaler als die Asylpolitik der Groko. Dennoch werden die Pläne von links scharf kritisiert – sehr zum Leidwesen der Grünen

„Rückführungsoffensive“ auf dem Flughafen Leipzig-Halle: Polizeibeamte schleppen noch Ende Juli einen Afghanen ins Flugzeug nach Kabul Foto: Fo­to: Michael Kappeler/dpa

Von Ralf Pauli

Die Sätze, die am Tag eins nach Vorstellung des Ampel-Koalitionsvertrags wohl am heftigsten diskutiert werden, finden sich auf Seite 139, im Kapitel zu Asylverfahren: „Nicht jeder Mensch, der zu uns kommt, kann bleiben“, heißt es da einleitend. Dann folgt die Ankündigung, die vor allem unter Grünen und Linken für Aufregung sorgt: „Wir starten eine Rückführungsoffensive, um Ausreisen konsequenter umzusetzen, insbesondere die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern.“

„Rückführungsoffensive“? „Wie unter Seehofer“, ist noch eine der netteren Reaktionen in den sozialen Medien. „Ausländer raus auf Grün“, urteilt eine Twitter-Userin. Und der Vorsitzende des Flüchtlingsrats Sachsen-Anhalt ätzt: „Weil Abschiebungen in Deutschland noch nicht brutal und traumatisierend genug sind, geben wir dem Ganzen noch einen militärischen Sound. Ganz toll verhandelt.“ Kritik, die den Grünen überhaupt nicht schmeckt.

Schon die Ampelbeschlüsse zum Klimaschutz haben bei der grünen Kernklientel für Enttäuschung gesorgt. Luise Amtsberg sagt dennoch: „Ich bin sehr zufrieden mit dem Koalitionsvertrag.“ Die Bundestagsabgeordnete aus Kiel war Chefverhandlerin der Grünen für die Themen Flucht, Migration und Integration – und hatte es auf der Gegenseite mit zwei politischen Schwergewichten zu tun: Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius verhandelte für die SPD, Nordrhein-Westfalens Familienminister Joachim Stamp für die FDP. Beide bezeichneten die Einigung als Erfolg – auch explizit die beschleunigten Rückführungen.

„Es war klar, dass wir uns nicht mit unseren Maximalforderungen werden durchsetzen können“, sagt Amtsberg zur taz. So hätten die Grünen gerne die Liste der „sicheren“ Herkunftsländer verkleinert oder sich auf einen Abschiebestopp für Afghanistan geeinigt. Das sei aber nicht drin gewesen, so Amtsberg. Die harsche Kritik am Ergebnis kann sie dennoch nicht nachvollziehen. „Das ist europaweit der progressivste Regierungsvertrag zu Integration und Migration“, sagt sie. Vor allem aber sei mit der Ampel ein „klarer Kurswechsel“ gegenüber der Groko geschafft – und zwar vor allem dank der Grünen.

Setzt die künftige Bundesregierung ihre Pläne um, wird die Einwanderung und die Integration Schutzsuchender in Deutschland tatsächlich erleichtert. So sollen über ein humanitäres Aufnahmeprogramm bis zu 20.000 Af­gha­n:in­nen einreisen dürfen. Der Familiennachzug, den die Groko für subsidiär Schutzberechtigte gedeckelt hat, soll wieder uneingeschränkt gelten. Schutzsuchende, die bereits in Deutschland leben, dürfen sich über einen Anspruch auf einen Integrationskurs, besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung, Arbeitserlaubnis unabhängig vom Aufenthalts­titel und die Aussicht auf die deutsche Staatsbürgerschaft freuen.

Dass Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus in den Ampelvereinbarungen einen „Pull-Faktor für ganz, ganz viel illegale Migration“ sieht, ist dabei weniger aussagekräftig als das Lob von Pro Asyl: „Nach jahrelangem Kampf der Betroffenen und der Zivilgesellschaft ist die notwendige Verbesserung beim Familiennachzug zum Greifen nahe“, sagt Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Dennoch kritisiert auch er: „Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete werden nicht klar ausgeschlossen.“

Das allerdings soll künftig der Bundesinnenminister ohne Zustimmung seiner Länderkollegen beschließen dürfen. „Wir streben an, dass die zuständige oberste Bundesbehörde für einzelne Herkunftsländer einen temporären nationalen Abschiebestopp erlassen kann“, heißt es im Koalitionsvertrag. Zuständig ist dafür aber dann die SPD.

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