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Auszeichung für Alexei NawalnyUnterstützung aus Brüssel

Das Europäische Parlament ehrt den prominentesten Kremlkritiker mit dem diesjährigen Sacharow-Preis für Menschenrechte.

Alexei Nawalny vor einem Gericht in Moskau im Februar 2021

Berlin taz | Russlands Opposition wird derzeit mit internationalen Auszeichnungen geradezu überhäuft: Am 8. Oktober wurde der Mitbegründer und Chefredakteur der Novaja Gazeta Dmitri Muratow mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Jetzt ist der Kremlkritiker Alexei Nawalny an der Reihe. Am Mittwoch zeichnete das Europäische Parlament den 45jährigen mit dem diesjährigen Sacharow-Preis für Demokratie und Menschenrechte aus.

„Herr Putin, lassen Sie Alexei Nawalny frei. Europa ruft dazu auf, ihn und andere politische Gefangene frei zu lassen“, heißt es in einer Erklärung der Europäischen Volkspartei (EVP), die Nawalny nominiert hatte. Nawalny für diese Ehrung vorzuschlagen, unterstreiche die Bemühungen eines mutigen Menschen, sich für Demokratie, Rechtsstaat, Bürgerrechte und den Kampf gegen Korruption einzusetzen“, hatte David McAllister, EVP-Abgeordneter und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, am Morgen gesagt.

Auch der Präsident des EU-Parlaments David Sassoli würdigte Nawalnys Engagement für die Korruptionsbekämpfung in Russland. Das habe ihn die Freiheit und fast das Leben gekostet. Die aktuelle Auszeichnung zeuge von Nawalnys immensen Mut, sagte Sassoli.

Nawalny ist der prominenteste Kri­ti­ke­r von Wladimir Putin. 2011 gründete er die „Stiftung für Korruptionsbekämpfung“ (FBK), die mittlerweile als „ausländischer Agent“ gelabelt und verboten ist. Im Juli 2013 wurde Nawalny in einem von vielen Beobachtern als politisch motiviert angesehenen Prozess wegen Unterschlagung zu fünf Jahren Haft verurteilt. Im Oktober 2013 wurde diese Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Anschlag mit Nowitschok

Am 20. August 2020 wurde Nawalny in Russland Opfer eines Giftanschlages mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok. Kurz darauf durfte er, mittlerweile im Koma, zu einer medizinischen Behandlung nach Deutschland ausreisen. Bei seiner Rückkher nach Russland im Januar 2021 wurde er bei seiner Ankunft auf dem Moskauer Flughafen festgenommen, da er gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Derzeit sitzt er in der Strafkolonie von Pokrow 100 Kilometer östlich von Moskau ein.

Am 30. September 2021 wurde bekannt, dass gegen Nawalny und einige seiner Mit­strei­te­r*in­nen wegen der Gründung und Leitung einer extremistischen Gruppierung ein neues Strafverfahren eingeleitet worden ist. Laut Ermittlungsbehörden sei Nawalnys Ziel gewesen, die Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung zu ändern sowie die öffentliche Sicherheit und staatliche Integrität der Russischen Föderation untergraben.

Der Sacharow-Preis, benannt nach dem sowjetischen Wissenschaftler und Dissidenten Andrej Sacharow, wird seit 1988 an Personen verliehen, die sich für die Verteidigung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit einsetzen. Er ist mit 50.000 Euro dotiert und wird am 15. Dezember in Straßburg verliehen. Im vergangenen Jahr war die Auszeichnung an die belarussische Opposition gegangen.

Interessant ist die Frage, ob und wie der Kreml auf die Auszeichnung Nawalnys, dessen Name von offizieller Seite nicht genannt wird, reagiert. Im Fall Muratows hatte Kremlsprewcher Dmitri Peskow zunächst gratuliert, Wladimir Putin jedoch eine unverhohlene Drohung ausgesprochen. Solange Muratow keine russischen Gesetze verletze und keinen Anlass dafür gebe, ihn zum ausländischen Agenten zu erklären, dann werde das auch nicht passieren, hatte Putin gesagt. Stigamtisierung als ausländischer Agent? Diese Stufe hat Nawalny bereits hinter sich.

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8 Kommentare

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  • Der Sacharow-Preis ist gedacht für die russische Opposition. Also ein Anti-Putin-Preis. Da war Nawalny natürlich überfällig. Nächstes Jahr gewinnen belorussische Exilsportler.

  • Hmm, ein Menschenrechtspreis für einen Politiker, der Homophobie und rechtsextremen Gedankengängen zugeneigt ist, die Deportation bspw. von Georgiern aus Russland fordert oder die Annexion der Krim mit Heim-ins-Reich-Attitüde gutheißt? Sehr seltsame Entscheidung. Natürlich ist Kritik an der Verfolgung Nawalnys und der Opposition in Russland völlig legitim und angebracht. Aber Menschenrechtspreise an Menschen zu vergeben, die Anderen ihre Menschenrechte absprechen, ist irgendwie ... bescheuert.

    • @StefanG:

      Danke! Besser hätte man es nicht zusammenfassen können. Genau dieses Sammelsurium der immer gleichen Versatzstücke, mit der die Kremlpropaganda, vor allen in den Köpfen der westlichen Linken, das Bild vom „Faschisten Nawalny“ installiert hat, hatte ich im Kopf, als ich gestern hier meinen Kommentar geschrieben habe:

      taz.de/Sacharow-Pr...-Nawalny/!5810005/

      Ich greife mir mal nur eine Aussage von ihnen heraus:



      (…) „oder die Annexion der Krim mit Heim-ins-Reich-Attitüde gutheißt“,



      und bitte darum, das zu belegen. Dann diskutiere ich gern weiter. Falls sie das nicht belegen können oder nicht diskutieren wollen, sollten Sie sich an einen TAZ-Moderator wenden mit der Bitte, ihren Beitrag zu löschen, es handelt sich bei Ihrer Aussage nämlich um Verleumdung.

      • @Barbara Falk:

        Ich bekomme die Rundmails von Cinema for Peace. Dahinter steht ein russischer Oligarch, der auch den Flug des vergifteten Kremlkritikers in die Charite bezahlt hat. Zu Corona sagte er: Bill Gates war es. Dann ist "Kritik an der Korruption" vielleicht nicht viel mehr als die beruehmte "Kritik an der Elite" unserer Querdenker. Jedenfalls habe ich noch nichts anderes von ihm gehoert. Misstrauen gegen den Staat, das sich kein Staat auf Dauer leisten kann.

      • @Barbara Falk:

        Bitte mal auf Wikipedia (gehört nicht Putin) nachlesen, wie er aus der Partei Jabloko (prowestlich) geflogen ist. Steht im Abschnitt "Politische Aktivitäten".

        Nach Menschenrechtler klingt das nicht. Und er war damals auch nicht mehr 14.

  • Preisträger des Sacharow-Preises:

    2018: Oleg Senzow.



    2020: Die Belarusische Oppositionsbewegung.



    2021: Alexej Navalny

    Deutlicher könnte das Europaparlament sich nicht positionieren. Man kann allenfalls kritisieren, dass die Preisvergaben der letzten Jahre europalastig waren. Aber da Putin nicht nur ein Feind der europäischen Demokratien ist, ist das für mich auch in Ordnung. Drei kluge Entscheidungen in vier Jahren, Danke dafür.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Nun ja, ich kann das nicht nachvollziehen, warum man diesem seltsamen Typen den Sacharow-Preis verleiht. Ähnlich wie damals der Friedensnobelpreis an Arafat.

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Der Friedensnobelpreis kommt aus Norwegen. Und Arafat wurde zusammen mit seinem mittlerweile leider ermordeten israelischen Partner fuer Camp David geehrt.