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Science-Fiction-Roman und CO2-AusstoßKurs auf eine bessere Welt

Kommentar von Mathias Greffrath

Der Roman „Das Ministerium für die Zukunft“ beschreibt den Weg zum erstmaligen Sinken des CO2-Gehalts in der Atmosphäre. Das ginge auch im echten Leben.

Science-Fiction: 2050 beginnt der CO2-Gehalt der Atmosphäre zu sinken Foto: Ikon Images/imago

I m Jahr 2026 werden die ersten Kolonisten auf den Mars fliegen. So hat es sich der Science-Fiction-Romancier Kim Stanley Robinson vor achtundzwanzig Jahren ausgedacht, in seinem Roman „Red Mars“. Im wirklichen Leben wird 2026 die erste bemannte Rakete zum Mars starten.

So will es jedenfalls Elon Musk, der im Jahr 2050 mit seiner Firma SpaceX die erste Stadt auf dem Roten Planeten bauen will – als Rettungsboot für eine verwüstete Erde. 2050 wiederum wird das Jahr sein, in dem zum ersten Mal die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre sinkt – jedenfalls in Kim Stanley Robinsons neuem Roman „Das Ministerium für die Zukunft“, der mir ein ebenso inspirierendes wie unruhiges Lesewochenende beschert hat.

Robinson skizziert in 108 Kapiteln, wie die Klimaziele von Paris erreicht, ja übertroffen werden könnten – aber auch, mit welchen Katastrophen wir auf dem Weg dahin zu rechnen haben, angefangen mit einer Hitzekatastrophe im Jahr 2025, in der auf einen Schlag zwanzig Millionen Inder sterben. Daraufhin streut die indische Regierung Schwefel in die Atmosphäre. Schließlich wird eine UN-Exekutivbehörde installiert, das „Ministerium für die Zukunft“, ausgestattet mit einem Mandat der Ungeborenen und sehr weitgehenden ­Vollmachten.

Mit Geo-Ingeneering, mit Geheimdiplomatie, dem Aufschwung von sozialen Bewegungen, vor allem mit einer neuen Weltwährung, deren Verrechnungseinheit die Kohlenstofftonnen sind, die nicht gefördert oder in die Erdkruste eingelagert werden („Carbon Quantitative Easing“), wendet sich das Blatt. Nach drei Jahrzehnten mit Klimakatastrophen, Ökoterrorismus und fehlschlagenden Experimenten beginnt 2050 der CO2-Gehalt der Atmosphäre zu sinken.

Mathias Greffrath

lebt als freier Autor für Print und Radio in Berlin. Er ist Herausgeber von „RE: Das Kapital. Politische Ökonomie im 21. Jahrhundert“ (Kunstmann, 2017).

Das Pariser Abkommen, ein Grundgesetz

Es sei leicht, sagte Robinson in einem Interview mit dem Magazin Jacobin, sich die Regeln für eine andere, bessere Welt auszudenken; schwieriger schon, sich konkret den Weg aus unserer Misere hin zur neuen Ordnung vorzustellen. Diesen Versuch hat er unternommen. Und: alle Elemente seiner Anti-Dystopie existieren bereits: Drohnen, die Bäume säen, wo Menschen nicht hinkommen; Zentralbanker, die Milliardenkredite an Klimaschutz binden, Genossenschaften mit nachhaltiger Landwirtschaft.

Vor allem aber wird das ganze Arrangement zusammengehalten durch ein auch emotional starkes Bekenntnis zur Herrschaft des Gesetzes. Robinson betrachtet das Pariser Abkommen als verpflichtendes Grundgesetz des 21. Jahrhunderts. Seine Heldin Mary Murphy sagt: „Am Ende läuft es alles auf Gesetzgebung hinaus, wenn es darum geht, eine neue Ordnung zu schaffen, die gerecht, nachhaltig und sicher ist.“ Gesetze, das soziale Werkzeug der Menschheit, so alt wie der Pflug. „Sonst haben wir nichts in der Hand.“

Am Ende läuft alles auf Gesetzgebung hinaus. Von heute bis 2050 sind es gerade mal sieben Legislaturperioden. Und gemessen an diesem monumentalen Roman kommen einem die Zielbestimmungen, die wir von den Koalitionsverhandlungen erwarten können, wie harmloses Aufwärmspiel für eine „Klimaregierung“ vor. Dabei liegt der Entwurf einer wirklichen Regierungserklärung vor.

Am 9. Juni haben die Leopoldina und der „Rat für nachhaltige Entwicklung“ Angela Merkel ein 45-Seiten-Papier mit 14 Empfehlungen überreicht, einen großartigen strategischen Aufriss für den Übergang in ein neues Energiezeitalter gemäß den Zielen des Pariser Abkommens. Er berührt so ziemlich alle Dimensionen des Lebens in unserer Zivilisation: von einer globalen Rohstoffdiplomatie über die Umwälzung ganzer Industriezweige, die Lehrpläne an Schulen, die Digitalisierung des Alltags bis hin zu den Essgewohnheiten. Aber gelingen kann das nur, wenn es nicht allein von ökologischem, technischem und sozialem Enthusiasmus getrieben wird, sondern wenn aktive Bürger und Bürgerinnen mitmachen.

„Wir haben nichts in der Hand außer Gesetzen“

Das Kursbuch aus der Nationalakademie ist großartig. Er operationalisiert wie Robinsons Roman den Traum von einer Menschheit, die den Übergang in eine neue Epoche mit einem Überfluss an Energie und wachsendem Wohlstand gestaltet – und das auch noch demokratisch. Aber es ist, heute jedenfalls, eine Utopie, denn es ist kaum vorstellbar, dass am Ende der aktuellen Koalitionsverhandlungen ein solcher Plan mit klar umrissenen Zielen, Fristen und Finanzierungsplänen steht. Nicht vorstellbar eine Regierungserklärung, die mit den Worten beginnt: Wir haben viel vor, weil wir es müssen. Es ist machbar, aber es wird teuer und anstrengend.

Kann man darauf setzen, dass Elite-Institutionen wie die Leopoldina Formen und genug Leidenschaft entwickeln werden, das Parlament, die öffentliche Meinung und die Regierung nachhaltig und andauernd zu belagern: mit Analysen, mit Warnungen, aber vor allem mit Pfadanalysen für die Transformation? Dass die sozialen Bewegungen, hier vor allem FFF, von der Praxis des periodischen Demonstrierens zu einer vielgestaltigen, alltäglichen Praxis der Organisation finden?

„Wir haben nichts in der Hand außer Gesetzen“ – hier ist die Hauptfront. Und das ist eine unangenehme Erkenntnis, vor allem für uns: die ökologisch engagierte Mittelschicht und ihre demonstrierenden Kinder und anderen Anverwandten. In den Worten des Verfassungsrechtlers Christoph Möllers: „Geld für ein Projekt organisieren, Webseiten designen, Aufsätze im Merkur schreiben, Projekte planen oder Unterschriften sammeln.

Dagegen ist nichts zu sagen, nur dürfte es sich als Selbsttäuschung erweisen, dies als genuin politisches Engagement zu verstehen.“ Wer etwas verändern wolle, dürfe das nicht an das System delegieren und sich dann beklagen, sondern er werde sich seinen „politischen Formen anvertrauen müssen – und das bedeutet vor allem anderen, in politische Parteien einzutreten und einen relevanten Teil seiner Zeit in diesen zu verbringen.“

Und Philipp Amthor sekundiert: „So, genug Schabernack jetzt.“

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