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Broken-Heart-SyndromStress, der alte Herzensbrecher

Kummer kann krank machen. Die Zahl der Betroffenen des Broken-Heart-Syndroms steigt stetig. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?

Mit Romantik hat das nichts zu tun Foto: Ikon/imago images

Immer mehr Menschen leiden unter einem gebrochenen Herzen. Und das hat nicht immer nur mit Liebeskummer zu tun. Das Broken-Heart-Syndrom, auch bekannt als Takotsubo-Syndrom (TTS), kann lebensbedrohlich sein. Die Patientinnen, es sind überwiegend Frauen, verspüren ein Engegefühl im Brustkorb, Brustschmerzen und massive Atemnot.

Es sind Symptome, die einem akuten Herzinfarkt ähneln. Die linke Herzkammer arbeitet praktisch nicht mehr. Anders als bei einem normalen Infarkt liegt das aber nicht an verstopften Blutgefäßen. Beim Broken-Heart-Syndrom reißt das Herz nicht wirklich entzwei, die Gefäße ziehen sich jedoch so eng zusammen, dass der Muskel nicht mehr pumpen kann. Folge: Der Blutdruck fällt ab und der Körper wird nicht ausreichend mit Blut versorgt, im schlimmsten Fall kommt es zu Herzversagen und Tod durch einen kardiologischen Schock. In einer neuen Studie fanden US-Forschende heraus, dass die Häufigkeit der Krankheit über die letzten Jahre stetig zugenommen hat.

Der Quasiherzinfarkt tritt in der Regel nach großen emotionalen oder körperlichen Krisen auf – Liebeskummer, Trauer, Stress bei der Arbeit, ein Leben in Sorge, aber auch besonders positive Stressoren wie ein Lottogewinn können Auslöser sein. Inzwischen weiß man auch: Das Herz bricht zunächst im Kopf. Die Amygdala ist bei Pa­ti­en­t:in­nen des Broken-Heart-Syndroms besonders aktiv. Diese Hirnregion kontrolliert unsere Emotionen. Sie verarbeitet und bewertet Eindrücke und ist allgemein als Angst- und Stresszen­trum des Hirns bekannt. Bei Aufregung, Ärger, Niedergeschlagenheit, kurz: Stress, sind die unteren Stirnlappen besonders tätig. Stress überfordert also unser Herz – Stresskummer statt Liebeskummer, sozusagen.

Besorgniserregende Entwicklung

Dass immer mehr Pa­ti­en­t:in­nen des Heart-Break-Syndroms dem Stress ihr Leben lassen, sollte uns zu denken geben. Die leitende Studienautorin Dr. Susan Cheng nennt die sprunghaft ansteigenden Raten „besorgniserregend“. Sie sagt: „Je älter wir werden und je mehr Verantwortung wir im Leben und bei der Arbeit übernehmen, desto höher ist unser Stresslevel. Und mit der zunehmenden Digitalisierung in allen Bereichen unseres Lebens haben auch die Umweltstressoren zugenommen.“

Besorgniserregend ist vor allem der menschliche Lebenswandel: Wir essen zu viel und bewegen uns zu wenig. Wir hetzen von einem Meeting zum anderen und selbst „Achtsamkeit“ steht als Termin auf dem Kalender. Wir sind dauererreichbar und ständig prasseln schlechte Nachrichten auf uns ein. Umweltkatastrophe hier, Krieg da, Klimawandel überall und die Rechten regieren Länder dieser Welt. Es ist laut und es ist voll, es blinkt und dröhnt – und niemand fragt, warum das bloß so sein muss.

Stress ist unser Alltagsbegleiter, gesellschaftlich anerkannt

Stress ist unser ständiger Alltagsbegleiter, gesellschaftlich anerkannt. Auf „Ich bin heute so im Stress“ wird mit stummem, verständnisvollem Nicken geantwortet. Seufz. Kennen wir ja alle. Burn-out, Schlafstörungen, Magengeschwüre, chronische Kopfschmerzen – und auch unser Herz leidet. Wir stressen uns bis unsere Herzen brechen.

Burn-out gilt als schick

Mit Romantik hat das in diesem Fall leider gar nichts zu tun. Dass besonders häufig Frauen am Broken-Heart-Syndrom erkranken, ist wenig überraschend. Sind es doch die Frauen, die emotional durch Carearbeit, Pflege und das Gefühl des „Verantwortlichseins“ extrem belastet werden. Im Stressreport der Techniker Krankenkasse von 2016 gab die Hälfte der Deutschen an, sie sei gestresst. Dabei nannten Männer ihren Beruf als häufigsten Stressauslöser, während Frauen überdurchschnittlich oft die Ansprüche an sich selbst unter Druck setzen. So wenig wie Schokolade Liebeskummer heilt, heilt schweigendes Verständnis Stress. Warum bloß leben wir in einer Gesellschaft, in der ein Burn-out als schick gilt? Nach dem Motto „Sie hat sich wenigstens richtig angestrengt“.

Die Au­to­r:in­nen der neuen Broken-Heart-Studie arbeiteten ausschließlich mit Daten aus der Zeit vor Ausbruch von Covid-19. Wenn schon vor einer weltweiten Pandemie, einer der größten körperlichen und emotionalen Krisen des Jahrtausends, stetig mehr Menschen an einem gebrochenen Herzen leiden – wie mag dann die Entwicklung seit 2020 erst aussehen? Die psychische Belastung ist mit Corona deutlich angestiegen, das ist bereits erforscht.

„Wir wissen, dass die Pandemie tiefgreifende Auswirkungen auf die Verbindung zwischen Herz und Gehirn hat. Wir stehen erst an der Spitze des Eisbergs, wenn es darum geht, diese Auswirkungen zu messen“, warnt Dr. Susan Cheng. Lasst uns alle gut auf uns und unsere Herzen aufpassen. Lasst uns die eine Tasse Tee mehr trinken, der anderen Erledigung weniger hinterherhetzen und den Stress besiegen.

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9 Kommentare

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  • Mir fehlen hier ein paar sachliche Informationen: Tritt dieses Phänomen tatsächlich stärker auf als früher oder würde es nur früher nicht beschrieben? Wie stark ist der Anstieg? Was genau meinst die Autorin mit "unsere Gesellschaft", wie sieht es im Vergleich in anderen Gesellschaften aus? Wie viel höher ist der Frauenanteil? Wie ist die Altersstruktur? Wie groß sind bei diesen Daten die Unterschiede zu herkömmlichen Herzinfarkten?

    Es wäre generell bei solchen wissenschaftlichen Themen wünschenswert, wenn nicht nur über die Interpretationen der Forscher, sondern zumindest grob auch über die zugrundeliegenden Fakten berichtet würde, damit man die Interpretationen auch kritisch einordnen kann.

    • @Ruediger:

      Stimme dem zu. Ich fnde es ermüdent, immer wieder zu lesen "Immer mehr Menschen leiden unter..." ohne jegliche Zahlen zu bekommen. So ein ernstes Thema brauch diese Aufbrausung nicht.

      • @He-Mäh:

        Zumal man auch dann, wenn die Diagnosen tatsächlich massiv angestiegen sind, in Betracht ziehen muss, dass dies daran liegen könnte, dass Syndrom einfach erst seit wenigen Jahren bekannt ist und vorher solche Fälle gar nicht entsprechend erfasst wurden. Darauf geht der Artikel gar nicht ein, obwohl das ja ausgeschlossen werden muss, wenn man andere Vermutungen zur Ursache aufführt.

  • Es war sehr spannend, den Artikel in der taz zu lesen. Als Pathologe wurde ich wohl öfter uninformiert mit dem Thema konfrontiert, als ich es erahnen kann. Niemand spricht offen über eine kausale Verstrickung, wenn er vermeintlich auf der Verursacher:innenseite den Tod eines Menschen aus Unglück mitverschuldet haben könnte. Dennoch erreichte mich genau diese Frage nach dem "Broken Heart" in einem Fall, der sich zu Beginn der Pandemie als plötzlicher Herztod darstellte. Ich hatte zu einem früheren Zeitpunkt schon darüber nachgedacht, ob auch die traumatischen Kriegsereignisse mit Verlusten zu ähnlichen Manifestationen geführt hatten. Die Obduktion konnte aber damals zweifelsfrei eine "herkömmliche", morphologisch überprüfbare Ursache für den plötzlichen Herztod belegen: Eine virale Myokarditis. Ohne Autopsie bleibt vieles im Dunkeln. Auch die Diskussion um epidemiologische Fakten und Konsequenzen wird durch eine Todesursachenklärung in Pathologie und Rechtsmedizin bereichert. Eine wissenschaftlich orientierte Gesellschaft sollte auch Interesse an ihren "sozialen Opfern" haben, selbstverständlich weit vor letalen Folgen wegen gebrochener Herzen und Dysstress. Bestenfalls übt man Prophylaxe.

  • Das unsere Frauen Brutschmerzen (siehe erster Abschnitt) verspüren, glaube ich nicht.

    Eher ist anzunehmen, das der Autorin - sich in anderen Umständen befindlich - eine Freudscher Versprecher unterlaufen ist.

  • Ich männlich, damals 2013 im zarten Alter von 29 Jahren, hatte es auch. Ich erinnere mich noch sehr sehr genau an diese Symptome, wie im Artikel beschrieben: "Engegefühl im Brustkorb, Brutschmerzen und massive Atemnot." Genau das. Es kam urplötzlich, schnell, nachts, überraschend aus dem Unterbewusstsein. Kurz vorher (vielleicht zwei drei Monate) war meine vermeintlich große Liebe in die Brüche gegangen - nahezu grundlos für mich. Es gab nie eine Aufarbeitung seitens der damaligen Freundin die für den plötzlichen Bruch verantwortlich war. Ich hatte und habe vermutlich noch immer Fragen zum "warum?". Wie auch immer, ich habe bereits damals akzeptiert, habe es versucht alleine zu verarbeiten. Es schien geklappt zu haben. Ich hielt mich für darüber hinweg, hatte die Beziehung insgesamt doch auch nur 1,5 Jahre gehalten. Und dann ein paar Monate danach, ich dachte gar nciht mehr an die "Ex", passierte es. Glücklicherweise konnte mich mein Bruder in Krankenhaus fahren. Sie untersuchten mich, konnten aber nichts feststellen. Ich habe es sogar dort schon am Rande der Diagnose erwähnt "vielleicht Liebeskummer?!" oder so sagte ich.

    Wie auch immer, ich blieb eine Nacht unter Beobachtung, am nächsten Tag ging es wieder gut und ich ging wieder nach Hause...

    Heute nennt man dieses Verhalten der damaligen Freundin wohl "ghosting", sich nicht mehr melden, fernbleiben, "ein Geist bleiben" und den Kontakt plötzlich abbrechen.

    Ich schätze ich hatte ebenfalls Glück das mein Bruder da war. Die Symptome, die plötzliche Atemnot war nicht nur erschreckend sondern brutal real.

    Ich kann nur sagen, passt auf Euch auf da draußen. Seid immer so zu anderen, wie ihr es selber gerne von anderen erwartet und bleibt immer positiv =)

  • "So wenig wie Schokolade Liebeskummer heilt, heilt schweigendes Verständnis Stress."

    Nach beschriebenen Studien in USA 1970 ist klar, Schokolade an sich heilt nicht Kummer, was dagegen heilt ist individuelle Codierung von Schokolade oder anderem Nahrungsmittel als Belohnung, weil bereits Aussicht auf Nahrungsaufnahme Zellen erweitert, entkrampfend Speichel auslöst, damit die Sauerstoff Zufuhraufnahmefähigkeit bei Burnout, Kummer, Stress für Herz und Lunge steigert

    www.zeit.de/1970/1...en/komplettansicht

  • Burnout ist keines wegs "schick". Burnout ist medizinisch gesehen schlichtweg eine Depression und hat auch nicht sehr viel mit Überarbeitung zu tun, sondern mit dauernder Selbstüberforderung, besonders gerne aus Angst vor Bedeutungsverlust. Auch bei den Männern ist es vor allem ein "sich selbst unter Druck setzen", oft sogar noch verschärft dadurch, dass sie ihre Stellung im Leben stark mit der Arbeit verknüpfen und oft nur dieses eine Standbein haben. Bei Frauen dürfte die Falle tendenziell noch selbstgemachter sein. Wenn schon die Anerkennung für die soziale Mehrarbeit ausbleibt, dann muss man sich die eigene Unverzichtbarbeit eben selber beweisen. Nicht loslassen können und nicht loslassen wollen sind jedenfalls schon sehr nah beieinander. Und dann kommt noch der hier gar nicht erwähnte Freizeitstress. Es muss ja alles kompensiert werden, es muss sich lohnen, sonst könnte es sich ja als sinnlos erweisen. Spazierengehen fällt aus, aber mit viel Aufwand ein Wandernwochenende zu machen, ja davon kann man sich und anderen schon eher erzählen. Auch das so ein Punkt: auch Freizeit unterliegt Leistungskriterien, dümmer geht es eigentlich nicht.

  • und ich hatte glück ...

    februar 2020 ... schlimmer ging nimmer in der langjährigen beziehung.



    einem kollegen vertraute ich mich an ... herzschmerzen und engegefühl.



    die symptome konnte ich nicht zuordnen.



    bhs ... was ist das ?



    der lockdown begann.



    hinzu kam eine covid erkrankung.



    symptome auf der skala eins bis zehn ... eine vier.



    abends ins bett mit wärmflasche am herzbereich.



    mit blieb freie zeit.



    sturmnächte an der weser.



    ich bin abends raus, ums weserstadion rum, und habe meinen weltschmerz rausgebrüllt ... wie ein tier.



    nach drei nächten verbesserte sich mein befinden.



    das meine körperliche verfassung dem bhs auch geschuldet war, die aufklärung kam später.



    thanks to heaven.