Kara Walker in der Schirn Kunsthalle: Keine Lust zum Role-Model
Künstlerin Kara Walker hat ihr Archiv geöffnet. In Frankfurt sind die verstörenden rassistischen Zerrbilder zu sehen – die sie mit Witz ausbreitet.
„Ich fühle nicht wirklich das Bedürfnis, ein Statement zu einer Malerei-Ausstellung abzugeben“, schrieb die Künstlerin Kara Walker 2017 anlässlich einer Eröffnung ebenjener. Die genervte Erschöpfung, mit der sie es dann doch tut, ist dem folgenden Text anzumerken. Sie wisse, was nun von ihr erwartet werde, und habe gewissermaßen ja auch mitgespielt, schreibt Walker.
Nach einer ausführlichen Abhandlung über rassistische Abscheulichkeiten schließt sie mit dem denkbar Konkretesten, was sich über ihre Kunst zu diesem Zeitpunkt sagen lässt; einer Aufzählung von Materialien und Farben nämlich, die sie für besagte Ausstellung verwendet hat. Und dem Fazit, diese sei „in keiner Weise erschöpfend, aktivistisch oder umfassend“.
Eine „Stimme zu haben“ oder, „schlimmer noch, ein ‚role-model‘ zu sein“, wie es in dem Text von ihr heißt, darauf hat die US-Amerikanerin auch in Frankfurt keine Lust. Ja, ihre Kunst handelt davon, eine Frau zu sein, Schwarz, Amerikanerin. Offenkundig. Aber darüber hinaus macht Walker zur Eröffnung von „A Black Hole Is All A Star Longs To Be“ deutlich: Sucht hier bitte nicht nach Welterklärungen. Für einen Ablasshandel im Ausstellungsraum ist sie nicht zu haben.
Seit Jahrzehnten bringt Kara Walker Protagonisten in den Ausstellungsraum, die man in den USA längst vergessen haben wollte: Die Pickaninnies, Mandingos, Mammys und Uncle Toms, rassistische Karikaturen aus den Südstaaten, die sich als Memorabilia bis heute geheimer Beliebtheit erfreuen. Jene verletzenden und verstörenden Bilder breitet Walker seitdem mit beißendem Witz und einer Lust an der Zurschaustellung jener Perversionen, aus denen sie sich speisen, aus.
Zeichnungen, Collagen, Skizzen und Filme
Jetzt werden rund 650 ihrer Arbeiten auf Papier in der Schirn Kunsthalle in Frankfurt präsentiert, zuvor waren sie in Basel zu sehen: klein- und großformatige Zeichnungen, Collagen, Notizen, Skizzen und Aquarelle, vieles ultraassoziativ, zudem einige Filme mit Walkers berühmten Scherenschnittfiguren. Die Künstlerin hat ihr Archiv geöffnet – und auch solche Arbeiten mitgebracht, die sie zunächst als gar nicht geeignet für den Ausstellungsraum befand: die Skizze, das Unfertige, auch mal Unraffinierte, der Affekt.
Doch scheint gerade das Medium der Zeichnung geeignet, um die Widersprüche und Gleichzeitigkeiten zwischen Fremd- und Selbstzuschreibung, Künstlerinnenalltag und Tagespolitik aufzufächern. Denn Walkers Verhandeln ist ein Verhandeln im Wortsinn.
Ein Hadern, Zaudern, Zurückweisen – nur um die Bilder von Lynchmorden und Sklaverei, Afrika-Exotik und Jim-Crow-Ära andernorts vorzuschicken, gegen andere und sich selbst in Stellung zu bringen. Kara Walkers alternative Geschichtsschreibung changiert zwischen Ohnmacht und Selbstermächtigung, enthemmter Gewalt und unerwarteter Zartheit.
Ihre Strichführung ist selbstbewusst; aus primär hellen und dunklen, aber auch bunten Farben erwachsen ganze Historienbilder, während grobe, breite Linien Skizzen und Slogans ergeben. Überhaupt spielt Sprache eine wichtige Rolle im Werk der Künstlerin. Oft grätschen Metakommentare ins Bild oder ergeben selbst eines: „Is Race Less Fluid Than Gender? Like Viscous Dehydrated Semen? Caked Upon Your Face?“
„I Am Not My Negro“
Formal stechen die großformatigen Pastellkreide-Arbeiten heraus, die Barack Obama als Projektionsfolie eigener Obsessionen und der anderer verhandeln. Als „Othello, der Mohr“ trägt der ehemalige US-Präsident den Kopf seines Nachfolgers unterm Arm. Doch auch einem Heilsbringer Obama wird die gebotene Skepsis entgegengebracht, wenn der göttergleich vom Himmel auf die Erde blickt.
Trotz der formal plakativen Sprache weiß man manchmal am Ende nicht, welche Geschichte man hier genau erzählt bekommt und von wem. Witz und doppelter Boden sind wichtiges Arbeitsinstrument. „I Am Not My Negro“, heißt es Schwarz auf Grafitgrau-Weiß, in Anlehnung an Raoul Pecks Film über James Baldwin.
Kara Walker: „A Black Hole Is All A Star Longs To Be“, Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main. Bis 16. 1. 2022, Katalog 45 Euro
Walkers Zeichnungen zeugen vom Bewusstsein, dass race gleichzeitig ausgedachter Bullshit ist wie gesellschaftliche Realität – und wenn das so ist, dann kann man den täglichen Kampf mit den Bildern doch gleich künstlerisch fruchtbar machen.
Ein Rundgang durch Walkers Zeichnungsarchiv wirft zwangsläufig Fragen nach dem Fetischgehalt jener Bilder auf: Was hätte es zu bedeuten, wenn da tatsächlich eine pervertierte Form von Romantik aus manchen der von Walker zitierten Stereotypen trieft, wie es 2002 eine taz-Besprechung nahelegt? Und muss man sie fürchten, kann man ihrem faulen Zauber verfallen?
Walker erlaubt sich keine Angst
Erwähnenswert ist, dass Walker selbst sich erst später, vermittelt durch Bilder und Besuche der Südstaaten, Schwarz zu fühlen begann, wie sie einmal erklärte. Ihre Zeichnungen sind Suchbewegungen, die den Dualismus, den sie sich selbst zu Nutze machen, gleichsam unterlaufen wollen. Nicht zuletzt handeln sie von der Untauglichkeit der Symbole, dem Misstrauen auch gegen die eigene Bildschaffung.
Es bleibt ein stetiges Austarieren zwischen der Vereinnahmung der Bilder und dem Sich-vereinnahmen-Lassen durch ebenjene. Aus dieser nervösen Grundhaltung erwächst ein Kosmos, der im Ausstellungstitel von vergehenden und entstehenden Planeten den Urzustand künstlerischer Schaffenskraft beschreibt, phonetisch aber noch etwas anklingen lässt – will der Stern nun ein Schwarzes Nichts oder ein Schwarzes Ganzes werden? Dieses Alles-oder-Nichts findet sich in Walkers Zeichnungen wieder; einmal verschwindet eine Figur wörtlich in einem See aus Kohlschwarz.
Kara Walker erlaubt sich keine Angst. Sie betrachtet die Zerrbilder der anderen und wirft den Blick zurück auf Papiere und Leinwände. In den Ausstellungshallen suchen sie nun ihr Publikum heim. Es spukt im White Cube. Die erlösende Katharsis bleibt weiterhin aus.
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