Rechtsexpert*innen an Bremer Schulen: Justiz zum Anfassen
Richter*innen vermitteln nun an Schulen das Rechtssystem. So kann Interesse geweckt werden, praktische Rechtslehre gibt's damit aber noch nicht.
„Für das Volk“ stehen damit an diesem Mittwochvormittag einige Schüler*innen des Beruflichen Gymnasiums Wirtschaft am Schulzentrum Grenzstraße in Walle. Die Elftklässler*innen stellen Schöff*innen und Richter*innen, Anwältin und Staatsanwältin, Angeklagte und Sachverständige dar.
Die Roben sind echt, denn zu Gast ist in dieser Unterrichtsstunde mit Gesa Kasper eine ebenfalls echte Richterin vom Landgericht Bremen, zugleich stellvertretende Vorsitzende des Bremischen Richterbundes. Noch ein zweiter junger Richter ist dabei, auch eine Staatsanwältin ist vorbeigekommen – und die Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD), selber Richterin, höchstpersönlich.
Der Termin ist Auftakt für ein Projekt, das der Bremische Richterbund in Zusammenarbeit mit dem Justizressort gestartet hat. “Bremer Recht macht Schule“ soll Bremer Schüler*innen, nicht nur denen in Walle, den Rechtsstaat näher bringen. Dem „Gericht ein Gesicht“ geben, wie Kasper das nennt. „Der Rechtsstaat ist nur gut, wenn seine Bürger*innen sich dafür interessieren“, sagt sie vor der Klasse – und fragt erst einmal ab, was häufige Straftaten sind und nach welchen Gesetzesgrundlagen geurteilt wird.
„Recht“ als Leistungskurs gibt es nur einmal
Die etwa 16-Jährigen wissen eine Menge – in gewisser Weise ist der Besuch der Jurist*innen ein Heimspiel: Die Elftklässler*innen des Beruflichen Gymnasiums „Wirtschaft Informatik Recht“ sind alle Teil des Leistungskurses Recht, den es so nur einmal in Bremen gibt. Wer seine Schule verlassen hat, um diese Oberstufe zu besuchen, interessiert sich für das Thema.
Ein kleiner Push, um das Interesse weiter zu unterstützen, kann trotzdem nicht schaden, glaubt Stefanie Lehfeld, Klassenlehrerin und stellvertretende Schulleiterin des Beruflichen Gymnasiums. „Die Authentizität ist viel größer“, glaubt sie. „Wir sind Lehrer*innen, die Richterin und die Justizsenatorin kommen aus der Praxis.“
Und aus der wird erzählt, Wichtiges und Banales. Dass Staatsanwält*innen immer am Fenster sitzen zum Beispiel, damit die Angeklagten nicht abhauen; dass ungelernte Schöff*innen die Richterin auch mal überstimmen können; dass Anwälte einen Satinbesatz auf ihrer Robe haben, Richter*innen aber Samt. Dass Richter*innen unabhängig sind – die Staatsanwaltschaft aber durchaus Anweisungen von der Justizsenatorin bekommen kann.
Justizbesuch für alle ab der achten Klasse
Die Schüler*innen sitzen noch fast eine Stunde nach dem Unterricht mit der jungen Staatsanwältin und dem jungen Richter zusammen und stellen Fragen. „Es ist nicht so stumpf, es ist lebendig“, lobt die 16-jährige Charlotte Papenhausen. „Einfach wow“, habe sie gedacht, als ihr erzählt wurde, dass Richter*innen und die Justizsenatorin in den Unterricht kommen, so Beverley Takyiwaa, ebenfalls 16.
Damit der Schulbesuch kein einmaliger Wow-Effekt bleibt, müssen vor allem freiwillige Jurist*innen gefunden werden. Kasper ist zuversichtlich, dass das klappt: 20 Mitglieder des Richterbundes haben sich bereits gemeldet, weitere könnten dazukommen. Auch die Hanseatische Anwaltskammer will mitmachen.
„Mein Haus will, dass das Programm auch in die allgemeinbildenden Schulen kommt“, so Schilling, „rechtliche Themen gehen ja uns alle an.“ Tatsächlich sehen das auch die Richter*innen so – das Programm soll sich deshalb an alle Schüler*innen ab der achten Klasse richten.
Teil des Lehrplans ist Rechtslehre in Bremen nicht
Mit dem Programm tatsächlich alle Klassen abzudecken, wäre aber wohl sehr ehrgeizig. Im Land Bremen sind das knapp 800 Klassenverbände, dazu kommen Leistungskurse aus den Abi-Jahrgängen. Und auch die Schulen, die Glück haben, werden wohl kaum regelmäßig von den Expert*innen besucht. Eher geht es um einen Erstkontakt mit dem Thema.
Um zu verstehen, wie ein Vertrag funktioniert, was eine Eheschließung für rechtliche Konsequenzen hat, wann man gekündigt werden darf, reicht das nicht. An den meisten Schulen sind Verbraucherrecht, Arbeitsrecht und Familienrecht kaum Thema – Recht ist schließlich kein Unterrichtsfach. „Das Bildungssystem ist unfassbar statisch, obwohl wir als Gesellschaft immer neues Wissen generieren“, so der Waller Schulleiter Peter Hons. „Denn für alles, was neu dazukäme, müsste ja etwas anderes wegfallen.“
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