Falsche Ampeln in Stadt und Land: Zur Not eben bei Rot
Wer zu Fuß unterwegs ist, verbringt zu viel Lebenszeit auf Verkehrsinseln. Berlin will das Problem jetzt endlich angehen – doch es droht neue Gefahr.
Wer war noch nie im Berghain? Ich – und Karl Lauterbach. Seine Gründe dafür erläuterte der SPD-Politiker kürzlich in einem sehenswerten Auftritt beim Internet-„Hassformat“ disslike leider nicht. Meine Gründe sind so uninteressant wie einfach: Ich bin nicht bedeutend genug, um bevorzugten Einlass erwarten zu können, und ich kann sehr schlecht warten, vor allem nicht dicht gedrängt.
Trotzdem tue ich genau das fast jeden Morgen: Wenn ich nämlich mit meiner Tochter aus der U-Bahn komme und auf einer von zumeist Alleinautofahrer:innen wild und frei umtosten „Sprunginsel“ festgehalten werde, umringt von zu vielen anderen Kindern, ihren Begleitpersonen und – dies für die Heliokopterelternkritiker:innen – am Schulwesen gänzlich uninteressiertem Rest-Fußvolk.
Da stehen wir also am „Ampelmast“. Wir drücken auf den „Anforderungstaster“ und hoffen auf ein Aufleuchten des „Bestätigungsanzeigers“, nicht selten vergeblich; und wenn es doch blinkt – dann beginnt die „Wartephase“, während von unten aus dem Schacht immer mehr Menschen nach oben auf die Hallig drängen.
Dieser Zustand ist nicht so sehr erniedrigend, weil am Ende kein Besuch im Berghain steht – ein Küsschen am Schultor, ja überhaupt ein Kind, dass in die Schule gehen darf, sind in diesen Zeiten Entschädigung genug. Die Sache ist schlicht lebensgefährlich. Und sie muss aufhören.
Masterplanerin Giffey
Deswegen ist die diese Woche öffentlich gewordene Entscheidung, die Berliner Ampeln wieder durch ein landeseigenes Unternehmen zu betreiben statt durch ein Privatunternehmen ein Vortasten in die richtige Richtung: Wenn denn dabei wirklich Vorrang für Busse, Bahnen und Radfahrende sowie tatsächlich längere und tatsächlich schneller eintretende Grünphasen für Menschen zu Fuß herauskommen.
Zu befürchten ist derzeit allerdings vielmehr, dass unter einer gewohnt-gewieften Masterplanerin Franziska Giffey als Regierender Bürgermeisterin die zarten Ansätze der letzten Legislatur hin zu einer wenigstens nicht vollkommen fußgänger- und kinderfeindlichen Stadt Berlin wieder zunichte gemacht werden. Das, Sie ahnen es, sollte dann wenigstens nicht durch ein Ampelbündnis auf Grün geschaltet werden. Zur Not gehen wir lieber bei Rot über die Straße – und zwar alle zusammen.
Leser*innenkommentare
rero
Ich verstehe den Artikel nicht.
Zum einen sehe ich nicht, wie die Rekommunalisierung der Ampelwartung die Länge der Grünphasen für Fußgänger beeinflusst.
Der private Ampelbetreiber wird die Phasen so gestaltet haben, wie die Senatsverwaltung es vorgab.
Zum anderen spricht der Vorrang für Bus, Bahn und Radfahrer genau dafür, dass Fußgänger auch weiterhin warten müssen.
DiMa
Hä? Jeder Verkehrsteilnehmer steht regelmäßig an roten Ampel (respektive im Stau davor). So ist das Leben. Wer das nicht möchte, sollte aus der Stadt wegziehen.
guzman
Das kann doch gar nicht Grundgesetzkonform sein, dass jemand, der in einer Blechkiste sitzt das ca. 50fache an Fläche gegenüber Fußgängern (Radfahrern 10fache) in Anspruch nehmen darf, an Ampeln bevorzugt wird und auch noch für praktisch jeden Furz Subventionen und Pauschalen kassiert, um sich am Ende, die durch Faulheit erworben Krankenkosten auch noch quer subventionieren zu lassen. Es wird Zeit, dass dem etwas radikaler entgegengetreten wird.
Jörg Radestock
@guzman Ich stelle mir gerade vor, wie Sie 50 Fußgänger auf die Grundfläche meines Skoda Okavia (8,5 Quadratmeter) unterbringen, wo in dem Fahrzeug bequem 4 Personen reinpassen.
Aus der Perspektive eines unabhängigen Singlels in der Großstadt mag Ihr Kommentar treffend sein. Diese Perspektive ändert sich aber schnell mit kleinen Kindern in Anhang. Das Auto ist dann ein zuverlässiger Hafen mit kindgerechter Ausstattung für Ausflüge ins Grüne, Einkauf und Urlaub. Etwas, was die Öffentlichen, Car Sharing, Fahrrad oder gar Fußgänge nie leisten könnten.