piwik no script img

Wahlkampfthema MindestlohnerhöhungLaschets Mindestlohnschwindel

Der Unionskanzlerkandidat pfuscht bei der Frage, warum er eine Erhöhung des Mindestlohns ablehnt. Dabei hätte der von Anfang an höher sein müssen.

Trickser Armin Laschet argumentiert fälschlich mit den Gewerkschaften gegen den Mindestlohn Foto: Willi Weber/dpa

Berlin taz | Wenn es um die von SPD, Grünen und Linkspartei geforderte Anhebung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns geht, gibt Armin Laschet den obersten Verteidiger der Gewerkschaften. Die Tarifparteien machten „einen Vorschlag, wie der Mindestlohn sein soll“, verkündete der Unionskanzlerkandidat bei dem „Triell“ am vergangenen Sonntag. Da dürfe die Politik nicht dazwischenfunken. Dass Menschen besser bezahlt werden müssten, sehe er zwar auch so, aber er wünsche sich, „dass das mit den Gewerkschaften zusammen geht“.

Was für eine verquere Begründung! Schließlich fordern doch die Gewerkschaften selbst eine Erhöhung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro. Der Grund: Als die Große Koalition – auf Druck der Gewerkschaften – 2015 den Mindestlohn einführte, war die festgelegte Höhe von 8,50 Euro brutto eine rein politische Entscheidung. Und er war von Anfang an zu niedrig.

Nach dem Triell verbreitete die CDU auf Twitter einen Videoschnipsel von einer Pressekonferenz der damaligen sozialdemokratischen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles. Dort sagt sie: „Als wir das Mindestlohngesetz gemacht haben, da haben wir uns sehr schnell in der Großen Koalition darauf verständigen können, dass wir keinen politisch festgelegten Mindestlohn wollen.“

Stattdessen sollten „die Sozialpartner den Mindestlohn festlegen in einer unabhängigen, einer eigenständigen Kommission“, so Nahles. Ihnen alleine obliege es, „künftig zu prüfen, welche Höhe des Mindestlohns geeignet ist“. Denn sonst würden „Willkür und Populismus Tür und Tor“ geöffnet.

Rein politisch motivierte Festlegung

Das klingt wie Laschet. Vertritt er also das, was eine Sozialdemokratin früher vertreten hat? Nun ja, das Problem ist: Die Bekundungen von Nahles seinerzeit waren genau so unehrlich, wie es die Laschets heute sind. Denn wie ist die Große Koalition einst auf die 8,50 Euro gekommen? War das etwa ein gemeinsamer Vorschlag der Arbeitgeber und der Gewerkschaften? Mitnichten.

Es ist ganz einfach: Die 8,50 Euro forderte die SPD im Bundestagswahlkampf 2013. Und das setzte sie halt anschließend in den Koalitionsverhandlungen mit der Union durch, was durchaus erfreulich war. Nur: Eine schlüssige Begründung für die Festlegung auf 8,50 Euro fehlte seinerzeit sowohl im SPD-Wahlprogramm als auch im Koalitionsvertrag.

Die Linkspartei – die als erste Partei in der Bundesrepublik bereits zu PDS-Zeiten 2002 die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns gefordert hatte – hat hingegen stets den von ihr jeweils geforderten Bruttostundenlohn damit begründet, dass er hoch genug sein muss, um eine Rente zu erreichen, die über der Grundsicherung im Alter liegt. Deswegen forderte sie zu der Zeit der Einführung des Mindestlohns 10 Euro und heute 13 Euro.

Die Große Koalition entschied sich 2015 jedoch leider nur für 8,50 Euro. Das bildete dann die Basis, auf der sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Mindestlohnkommission seitdem über eventuelle Anhebungen verständigen müssen. Dabei dienen die allgemeinen Tarifsteigerungen als Orientierung. Mittlerweile liegt der Mindestlohn deshalb bei 9,60 Euro. Eine höhere Einstiegshöhe hätte hingegen zu einem deutlich höheren Mindestlohn heute geführt.

Gewerkschaftliche Schwäche

Es ist dreist, wenn Laschet die Unterstützung der Gewerkschaften für eine Mindestlohnerhöhung unterschlägt, wie sie SPD, Grüne und Linkspartei fordern. Noch dreister ist es, dass er die Gewerkschaften sogar auch noch fälschlich zur Begründung seiner Ablehnung heranzieht. Das ist schon eine ziemlich plumpe Wähler:innentäuschung.

Nicht unerwähnt bleiben sollte jedoch, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn tatsächlich immer auch ein Ausdruck gewerkschaftlicher Schwäche ist – weswegen die Gewerkschaften in Deutschland auch lange Zeit nichts von ihm gehalten haben. Denn er ist die Anerkennung, dass die gewerkschaftliche Kraft nicht ausreichend ist, um die Arbeitgeber zu zwingen, keine Dumpinglöhne zu zahlen.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und die Ge­werk­schaft Nah­rung-Ge­nuss-Gast­stät­ten (NG­G) waren die Ersten, die bereit waren, die Realität zugunsten der Ge­ring­ver­die­ne­r:in­nen anzuerkennen. Es hat einige Zeit gedauert, bis die restlichen DGB-Gewerkschaften sich ihnen angeschlossen haben.

Wo Gewerkschaften stark genug sind, da braucht es keinen gesetzlich festgelegten Mindestlohn. So gibt es einen solchen zwar in den meisten EU-Staaten, aber nicht in den skandinavischen Ländern. Warum? Weil dort die Tarifbindung bei über 90 Prozent liegt. In Deutschland liegt sie hingegen unter 50 Prozent.

Im Triell auf Sat.1, ProSieben und und Kabel Eins sagte Armin Laschet, die Politik müsse „zu mehr Tarifbindung beitragen, damit die Jobs auch besser bezahlt werden“. Wer wollte ihm da widersprechen? Bedauerlich nur, dass die Union genau für das Gegenteil steht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Auch NRW ist ein Land der Fleischbarone. Der Skandal: Noch immer existieren bspw. in der Fleischindustie Werksverträge; bei Werksvertägen liegt die Entlohnung der ArbeitnehmerInnen unter dem Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro (Deutschland). Man muss aufpassen, dass diebezügliche Ausnahmen (Verdienst-Abweichungen nach unten) nicht zur Regel werden.

  • wenn ich mal hier in der Gegend (Umland um Stuttgart ) nur für eine Person rechne:

    kleine Bruchbude...750€ aufwärts Minimum



    Nebenkonsten: 150€



    Mobilität: 150-200€



    Nahrung/tagl. Bedarf: 300€

    dann hat man schon Minimal 7,5€ Stundenlohn bei einer 40St Woche weg.

    Keine Kleidung, kein Internet, nix sparen für Verschleiß (Waschmaschine,...), nix weglegen fürs nächste Auto, kein Urlaub, keine Hobbies, keine Kultur. Keine Vorsorge fürs Alter!

    8,5€ ist kein Mindestlohn, das ist Maximalhohn.

  • nur 30% vonden arbeitern sind in einer Gewerkschaft.. ne kleine anmerkung

  • Was war von Herrn Laschet auch anders zu erwarten als eine Mogelpackung. Das Problem ist, dass zwar jetzt die SPD auf den Zug der 12€ aufgesprungen ist, allerdings hat sie es versäumt während ihre Regierungbeteiligung für eine brauchbare Anhebung zu sorgen. Man kann bei einem fälschlicherweise zu niedrigen Mindestlohn nicht als Steigerungsrate die durchschnittliche Lohnentwicklung festlegen, sondern da müsste stehen, dass man z.B. vom Mindestlohn nach 45 jahren eine Rente oberhalb von Sozialhilfe bekommt, also ein besseres Kriterium für die Berechnung, oder, dass man durch eigene Arbeit von Sozialhilfeleistungen unabhängig werden muss (schwieriger, wegen der Wohnkosten)

    • @Martin_25:

      Man könnte es auch machen wie in der Schweiz:

      * Alle zahlen einen fixen Prozentsatz des Einkommens - Alle!



      * Rentenauszahlung ist nach oben gedeckelt



      * Es gibt eine Mindestrente und die Renten werden von klein nach groß ausbezahlt - bis der Topf leer ist, das jeder bekommt garantiert die Mindestrente

      Dann sind die Leute immer noch arm während sie arbeiten, aber zumindest die Renten sind ordentlich

  • Hat jemand mal durchgerechnet : 25 bis 30 Jahre Arbeitsleben im Mindestlohn, was dann für eine Rente zu erwarten ist?



    Die angeblich so freie Presse bespricht so etwas erst gar nicht!!!

    • @Friedrich Spee:

      "Hat jemand mal durchgerechnet : 25 bis 30 Jahre Arbeitsleben im Mindestlohn, was dann für eine Rente zu erwarten ist?"

      Ist doch kein Problem! die Leute die etwas besser verdienen, also alles unter den oberen 10%, die stocken das dann von Ihrem Geld auf. Man kann ja den Arbeitgebern nicht zumuten das deren Vermögen langsamer wachsen!!! Wie sagt der Konservative immer: s Kapital is scheu wie ein Reh.

    • @Friedrich Spee:

      Mehr als ohne Mindestlohn.