Älterwerden beim Filmfestival Venedig: Biertrinken in der Sonne
In einem Spielfilm mit Tim Roth und einer Doku über Led Zeppelin mit Jimmy Page geht es ums Altern. Letztere lief in Venedig außer Konkurrenz.
D em britischen Schauspieler Tim Roth sieht man einfach gern zu. Er braucht dabei nicht unbedingt gestresste Gangster zu spielen, wie er das bei Quentin Tarantino in Filmen wie „Reservoir Dogs“ oder „Pulp Fiction“ tat. Sein Gesichtsausdruck ist, selbst wenn er bevorzugt mürrisch blickt, auf hilflose Art einnehmend. Der inzwischen 60-jährige Roth hat auch im Wettbewerb der Filmfestspiele von Venedig einen großen Auftritt, in dem Drama „Sundown“ des mexikanischen Regisseurs Michel Franco. Ihn dort zu sehen, bereitet einen leichten Schock.
Denn der Neil, den er im Film verkörpert, scheint kaum noch anwesend zu sein. Und Roth hat entsprechend wenig zu sagen. Neil bekommt zwar viele Fragen gestellt, auf die meisten reagiert er aber stumm, ohne die apathische Miene zu verziehen. Er ist im Urlaub in Mexiko, zusammen mit seiner Schwester Allison (Charlotte Gainsbourg) und deren Kindern.
Man fläzt sich in einem luxuriösen Ferienresort im Pool, auf den Sonnenliegen, trinkt zum Frühstück Cocktails. Dann erhält Allison einen Anruf, ihre Mutter liegt im Sterben. Überstürzter Aufbruch zum Flughafen, beim Check-in sucht Neil auf einmal seinen Pass. Will zurück zum Hotel, ihn holen, und mit dem nächsten Flieger nachkommen.
Passiv am Strand
Nichts davon geschieht. Er sucht sich eine Absteige, geht an den Strand, trinkt Bier in der Sonne, lernt eine Mexikanerin kennen, man kommt sich näher. Bei alledem ist Neil von einer Passivität, die fast ungeduldig macht. Wenn seine Schwester anruft, um zu fragen, wo er bleibt, flüchtet er sich in Notlügen, als sie ihn schließlich holen kommt, bleibt er jede Erklärung schuldig.
Sehr früh im Verlauf dieser Beinahe-Nichtereignisse schneidet Franco, der vergangenes Jahr mit dem deutlich actionfreudigeren „New Order“ im Wettbewerb von Venedig vertreten war, das Bild von Zellen unterm Mikroskop zwischen Bilder der brennenden Sonne. Die Ahnung, dass Neils Verhalten mit seiner Gesundheit zu tun haben könnte, zieht sich von da an durch den Film. Der nebenbei von der mörderischen Kriminalität in Mexiko erzählt und vom blutigen Geschäft der Schlachtfabriken. So welche gehören der Familie von Allison und Neil.
Einen noch etwas älteren Star als Tim Roth gab es bei der Premiere des außer Konkurrenz gezeigten Dokumentarfilms „Becoming Led Zeppelin“ des US-amerikanischen Regisseurs Bernard MacMahon zu sehen. Während der Vorführung im Saal saß der 77-jährige Gitarrist der Band Jimmy Page mit ergrautem Pferdeschwanz und freundlichem Lächeln für das jubelnde Publikum. Der Film erzählt mit viel Archivmaterial die Geschichte der Entstehung des Hardrockquartetts, das in seiner Karriere den Beatles den Chartsrang ablief.
Komponist von Pop-Evergreens
Am interessantesten sind die Wege, die die einzelnen Musiker vorab gingen. Vor allem über den Bassisten John Paul Jones, der wie Jimmy Page als Sessionmusiker anfing, erfährt man, dass dieser auf zahllosen Hits der 1960er mitspielte, etwa „Downtown“ von Petula Clark oder „Goldfinger“ von Shirley Bassey. Und dass er verantwortlich war für die Arrangements von „No Milk Today“ von Herman’s Hermits und „Mellow Yellow“ von Donovan, alles eher sanfte Popklänge.
Ein weiterer Vorzug des Films, in dem man der Band ausgiebig beim Rocken zusehen kann, ist die Konzentration auf deren Anfänge. Nach dem zweiten Led-Zeppelin-Album endet die Geschichte. Heißt konkret: „Whole Lotta Love“ ist drin, „Stairway to Heaven“ nicht.
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