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Wo wilde Natur dem Deich weichen soll

Die Umweltbehörde will den Ellerholz-Deich in Wilhelmsburg rückverlegen. Eigentlich ein Naturschutzprojekt –nur dass ein anderes Biotop dafür zerstört werden müsste

Offiziell informiert wurden die Anwohner:innen erst bei einem Runden Tisch, den sie bei der Behörde selbst einfordern mussten

Von Darijana Hahn

Das Absperrband zieht sich durch unberührte Natur. Da ist ein Pfad durch hohes Gras, da sind voll hängende Obstbäume und da ist ein Storchennest, auf dem seit Jahren der Wilhelmsburger Weißstorch brütet. In einiger Entfernung rascheln die Blätter eines hohen Pappelhains. Wenn es nach den Plänen der Umweltbehörde geht, wird genau an der Stelle des Absperrbandes bald eine Straße verlaufen. Die Behörde will den ein Kilometer langen Deichabschnitt am Ellerholz an der Wilhelmsburger Norderelbe ins Landesinnere rückverlegen. Die weitläufige Wiese mitsamt Storchennest und Bäumen müsste weichen.

„Hier soll eine Ausgleichsfläche gegen eine Ausgleichsfläche getauscht werden“, bringt Claudia Plöchinger die Pläne auf den Punkt. Sie ist Teil einer Anwohner*innen-Initiative gegen die Deichrückverlegung Ellerholz. Der Umweltbehörde zufolge soll durch das Vorhaben im Elbe-Vorland ein Tide-Auen-Wald als Ausgleich für versiegelte Flächen entstehen. Das Biotop mit den weiten Wiesen, Störchen und Pappeln am Ellerholz würde dafür verschwinden – dabei diente es selbst als Ausgleichsfläche für Baumaßnahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA). Von diesen Plänen hatten die An­woh­ner:in­nen zunächst nur „über den Deichfunk“ erfahren, wie Plöchinger es nennt. Offiziell informiert wurden sie erst bei einem Runden Tisch im Juni, den sie bei der Behörde selbst einfordern mussten.

Mit der Deichrückverlegung am Ellerholz will die Stadt ihren Kompensationsverpflichtungen nachkommen, die bei der seit 1995 beschlossenen Erhöhung der Deiche um mindestens 80 Zentimeter entstanden sind. Die Erhöhung der Deiche erfordert auch eine Verbreiterung derselben. Das bedeutet, dass bei einer Deichlänge von 77,5 Kilometern in Hamburg durch die Erhöhung fast 50 Hektar unversiegelte Fläche verloren gehen würden, für die gemäß Bundesnaturschutzgesetzes ein Ausgleich zu schaffen ist.

Ellerholz war neben Zollenspieker und Schweensand an der Süderelbe dabei eines von neun möglichen Gebieten, die als Ausgleichsfläche infrage kamen. Warum fiel die Entscheidung auf Ellerholz? Renate Pinzke, Sprecherin der Umweltbehörde, antwortet auf Nachfrage, die naturschutzfachlichen Anforderungen an Ausgleichsflächen sein hoch, sodass „die Flächen in Hamburg rar sind“. Ellerholz sei eben eine solche geeignete Fläche. Die Machbarkeitsstudie von 2016 gibt mehr Aufschluss: Hier würden „sich keine Flurstücke mehr im privaten Eigentum befinden“. Ähnliche Projekte scheiterten in der Vergangenheit oft am Protest von Anwohnter:innen, deren Grundstücke betroffen waren. Das ist bei den Mitgliedern der Initiative nicht der Fall. Dass sie deshalb zunächst nicht in die Planungen mit einbezogen wurden, stößt ihnen besonders bitter auf.

Außerdem verweisen sie genervt darauf, dass in unmittelbarer Nachbarschaft am Kreetsand bereits ein 30 Hektar großes tidebeeinflusstes Flachwassergebiet als Ausgleichsfläche geschaffen wird. „Damit haben wir unseren Beitrag geleistet“, sagt Nils Schrum von der Initiative. Ausgerechnet Wilhelmsburg soll also gleich zwei Ausgleichsflächen aufnehmen. Die langjährige Wilhelmsburger Aktivistin Liesel Amelingmeyer glaubt, dass Wilhelmsburg, wie so oft in seiner Geschichte, für Planungen herhalten muss, die woanders keine Chance hätten. Wütend sagt sie: „Die glauben wohl, mit denen kann man es ja machen.“ Und sie fragt, was auf dieser circa 20 Hektar großen Fläche eigentlich alles kompensiert werden soll. „Die wollen hier einfach ihr sogenanntes „Ökokonto“ auf Halde anlegen, mit dem naturschutzrechtliche Kompensationsverpflichtungen auch weit über Wilhelmsburg hinaus erfüllt werden sollen“, so Amelingmeyer.

Die Initiative verweist auf die hohe Bedeutung von Ellerholz in Obergeorgswerder für Gesamtwilhelmsburg als Naherholungsgebiet. Sie machen sich aber auch Sorgen um ihre eigenen Häuser: „Wenn die Bäume weg sind, dann ziehen die auch nicht mehr das Grundwasser aus den Kellern“, so Schrum.

Dass sich die Initiative für die Bewahrung des bestehenden Biotops einsetzen, kann Malte Siegert vom Nabu nachvollziehen. Jedoch verweist er auf die Forderung des Nabu, dem Fluss mehr Raum zu geben und den Zustand herzustellen, den die Elbe „mal hatte“. Aufgrund der natürlichen Flussdynamik würde sich eine „eigene Vegetation entwickeln“.

Der Beirat für Stadtteilentwicklung Wilhelmsburg lehnt indes die „jetzige Planung“ ab und beantragt die Prüfung von Alternativen in Hamburg und Niedersachsen.

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